# taz.de -- Jeff Bezos und die Pressefreiheit: Für eine Zwangsabgabe an Qualit… | |
> Amazon-Gründer Jeff Bezos hat der Washington Post verboten, ihre | |
> traditionelle Wahlempfehlung abzugeben. Mit Unabhängigkeit hat das nichts | |
> zu tun. | |
Bild: Noch gedruckt, dann digital – auch ohne Zwangsabgabe | |
Ein amerikanischer Verleger greift in die Freiheit seiner Redaktion ein – | |
ich hätte nicht gedacht, dass diese Meldung auf deutschen Nachrichtenseiten | |
in die meistgelesenen Artikel aufsteigt. Als Journalist neigt man dazu, | |
Meldungen aus der eigenen Branche als Gossip abzutun, über den man auf dem | |
Raucherbalkon oder im Aufzug reden kann, wenn man mit dem Thema Wetter | |
durch ist und einem sonst nichts einfällt. | |
Aber offensichtlich interessieren sich auch viele normale Menschen für | |
Nachrichten aus der Medienwelt. Der Amazon-Gründer und Eigentümer der | |
Washington Post, Jeff Bezos, hat entschieden, dass seine Zeitung vor der | |
US-Wahl nicht den traditionellen Text veröffentlicht, in dem sie eine | |
Kandidatin empfiehlt. Die Empörung ist groß, jede zehnte Abonnentin hat | |
seitdem gekündigt. | |
[1][Bezos begründet seine Entscheidung in der Zeitung damit], dass | |
traditionelle Medien das Vertrauen großer Teile der Öffentlichkeit verloren | |
hätten. Deshalb sei es nötig, die Zeitung politisch unabhängig zu | |
positionieren. Viele halten das für vorgeschoben und glauben, dass Bezos es | |
sich nicht mit dem möglicherweise kommenden US-Präsidenten verscherzen | |
will. | |
Aber selbst wenn man sein Argument ernst nimmt, liegt Jeff Bezos falsch: | |
Wer glaubt, in Zeiten des Rechtsrucks mit Texten in Zeitungen die gesamte | |
Gesellschaft zu erreichen, ist entweder Journalist oder hat nicht | |
verstanden, wie fragmentiert die Öffentlichkeit ist. | |
## Zeitung als Produkt der liberalen Elite? | |
Zeitung, das ist heute ein Produkt für eine liberale Elite, und die steht | |
einer demokratischen Kandidatin zwangsläufig näher als einem | |
Rechtsradikalen. Wer versucht, Zeitungen attraktiver zu machen für | |
Menschen, die lieber verschwörungstheoretische Youtube-Videos anschauen als | |
für Qualitätsmedien zu zahlen, erreicht keine neuen Leser, aber vergrault | |
Abonnentinnen. | |
Doch mich stört an der Geschichte nicht nur der eigenmächtige Verleger, | |
sondern auch die rebellische Geste der Abokündigung. Denn die schadet nicht | |
dem zweitreichsten Mann der Welt, sondern der womöglich zweitwichtigsten | |
Redaktion der USA und damit der Aufklärung über die Verfehlungen des oder | |
der nächsten Präsidentin. Wer seinen Protest gegen die Macht von Jeff Bezos | |
ausdrücken will, könnte auch sein Amazon-Abo kündigen und die | |
Weihnachtsgeschenke woanders bestellen. | |
Warum ist das überhaupt erlaubt – sein Zeitungsabo zu kündigen? | |
Pressefreiheit steht in der Verfassung; ich kann ja auch nicht meine | |
Steuern kündigen, weil die Bundesregierung wieder mal unwürdig daherkommt. | |
Ein geschätzter Kollege würde jetzt sagen: Kersten, nicht alles, was schief | |
ist, ist auch ein Vergleich. | |
Aber in der ohnehin überdrehten Debatte um eine Reform des Rundfunkbeitrags | |
fordere ich eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen. Das Geld würde die | |
Abhängigkeit von Verlegern und Lesern reduzieren und ist allemal besser | |
angelegt als in großen Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und wer | |
seichte Unterhaltung vermissen sollte, dafür sorgen wir auch (ich verrate | |
nicht, wo). | |
## Vorbild Frankfurter Allgemeine | |
Solange meine Forderung nicht mehrheitsfähig ist, würde ich es gern | |
handhaben [2][wie die FAZ in den Achtzigerjahren]. Die drehte den Spieß um | |
und kündigte ihrerseits einem Abonnenten, mit den Worten: „Ihr | |
selbstgerechter und auch unhöflicher Brief missfällt uns, zumal er | |
jeglichen Respekt vermissen lässt, auf den wir Anspruch haben. Über die | |
Frankfurter Allgemeine Zeitung sollen Sie sich nicht mehr ärgern.“ | |
Vermutlich hilft es, eine Stiftung als Eigentümer zu haben statt einen | |
Verleger, um sich diesen Schritt zu trauen. | |
Wie schön, ebenfalls für eine Zeitung zu arbeiten, die keinem Milliardär | |
gehört. Und für Leserinnen, die nicht nur stets klug, sondern meistens auch | |
freundlich sind. | |
1 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.washingtonpost.com/opinions/2024/10/28/jeff-bezos-washington-po… | |
[2] https://www.spiegel.de/kultur/faz-ruege-fuer-leser-a-0547d3de-0002-0001-000… | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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