# taz.de -- Juristin über mögliche Wiederholungswahl: „Parteiinterner Stimm… | |
> Muss Niedersachsen erneut wählen? Unregelmäßigkeiten der AfD-Liste für | |
> die Wahl 2022 könnten dazu führen, sagt Wahlrechts-Expertin Sophie | |
> Schönberger. | |
Bild: Rechtsbruch? Der AfD-Parteitag 2022 hätte gar nicht über die Liste zur … | |
taz: Frau Schönberger, muss die niedersächsische Landtagswahl von 2022 | |
wiederholt werden? | |
Sophie Schönberger: Das kann nur der Staatsgerichtshof entscheiden. Möglich | |
ist es. | |
taz: Der Staatsgerichtshof prüft zwei Vorwürfe – einmal den, dass die | |
oberen Plätze auf der AfD-Liste für die Landtagswahl verkauft worden sind, | |
und einmal den, dass über diese Liste satzungswidrig ein Parteitag | |
entschieden hat. Können das Wahlfehler sein? | |
Schönberger: Der mögliche Satzungsverstoß wohl kaum: | |
Landeswahlleiter*innen müssen nicht die Einhaltung der | |
Parteisatzungen überprüfen. Sie müssen nur kontrollieren, ob das Wahlgesetz | |
und ob grundlegende demokratische Regeln eingehalten wurden. Denen steht | |
eine Entscheidung auf einem Delegiertenparteitag ja nicht grundsätzlich | |
entgegen. Entscheidender scheint mir der erste Vorwurf. Da sind wir in | |
einem schwierigen Bereich. Hier haben wir nämlich im Grunde eine | |
Rechtslücke. | |
taz: Wie jetzt, Stimmenkauf könnte erlaubt sein?! | |
Schönberger: Er ist bei parteiinternen Wahlen nicht spezifisch verboten. | |
taz: Der ist nicht strafbar? | |
Schönberger: Bei staatlichen Wahlen ja. Aber für die parteiinternen Wahlen | |
haben wir keine entsprechenden Regelungen. Deswegen muss der | |
Staatsgerichtshof da Neuland betreten. Wenn er einen Zusammenhang zwischen | |
den Geldzahlungen und der Listenplatzvergabe bejaht, muss er entscheiden: | |
Genügte deswegen die Kandidatenaufstellung bei der AfD elementaren | |
demokratischen Grundsätzen nicht? Also neben der Frage, ob das so | |
stattgefunden hat, gibt es diese rechtliche Frage, die bisher noch | |
weitgehend ungeklärt ist: Wie weit kann ich durch ein solches Verhalten, | |
das nicht explizit verboten ist, aber natürlich unseren Vorstellungen von | |
einem freien demokratischen Prozess widerstrebt, einen Wahlfehler | |
verursachen? Dazu haben wir keine Präzedenzfälle. Das ist eine echte | |
Regelungslücke. Das Bauchgefühl sagt: Das kann doch nicht richtig sein. | |
Aber der Gesetzgeber hat es für innerparteiliche Wahlen einfach nicht | |
festgeschrieben. | |
taz: Da sitzt der Staatsgerichtshof ja in der Klemme: Entweder, er | |
entscheidet nach diesem gefühlten Naturrecht – oder er bleibt ganz | |
positivistisch, es gilt nur, was ausdrücklich geschrieben steht, und stützt | |
damit den Eindruck, dass bei Wahlen gekungelt werden darf. In beiden Fällen | |
profitieren diejenigen, die das System verächtlich machen wollen? | |
Schönberger: Genau. Man muss auch sagen: Früher ist so etwas durchaus | |
passiert, aber man hat nicht darüber gesprochen oder es gerichtlich | |
überprüfen lassen. Es gibt durchaus Berichte aus den Jahrzehnten davor, wo | |
bei Listenaufstellungen beispielsweise der CSU Stimmen gekauft wurden. Aber | |
da wusste man nicht so viel darüber. Das macht es nicht besser. Aber es hat | |
dem Vertrauen in die Demokratie nicht so sehr geschadet. Mittlerweile ist | |
die Kontrolle gut. Aber die hat natürlich auch diese destruktive Seite: Sie | |
schürt das Misstrauen. Vieles von dem, was in der alten Bundesrepublik an | |
Stillhalteabkommen und internen Postenvergaben funktioniert hat, und über | |
das alle Bescheid wussten, ohne darüber zu sprechen, funktioniert heute | |
halt nicht mehr. | |
taz: Liegt das auch daran, dass es dort Machttaktiken waren – und man es | |
bei der AfD mit einer antidemokratischen Strategie zu tun hat? | |
Schönberger: Das weiß ich nicht. Ich würde das Ausmaß an strategischem | |
Vorgehen bei der AfD auch nicht überschätzen. Vieles ist da, denke ich, wie | |
bei anderen Parteien einfach schnödes Machtinteresse. Vielleicht mit | |
weniger Skrupeln, weil man insgesamt das System mit seinen Regeln nicht in | |
gleicher Weise für schützenswert hält. | |
taz: Die Frage ist: Wie kann es nun weitergehen? Klar, der | |
Staatsgerichtshof könnte sagen: Alles bleibt, wie es ist … | |
Schönberger: Das wäre der einfachste Fall. | |
taz: Aber welche Optionen hat er denn, wenn er die AfD-Liste für | |
rechtswidrig hält? Nur Neuwahlen? | |
Schönberger: Gut, er hätte theoretisch noch die Stellschraube zu fragen, ob | |
der Vorgang mandatsrelevant war. Ein Wahlfehler war mandatsrelevant, wenn | |
eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Landtag ohne ihn anders | |
zusammengesetzt wäre als mit ihm. Das ist hier eigentlich ein klarer Fall, | |
wenn man annehmen muss, dass die Liste ohne Geldzahlungen ganz anders | |
ausgesehen hätte. Das sächsische Landesverfassungsgericht hat das in einem | |
ähnlichen Fall trotzdem anders entschieden. Da hatte – auch dort war es die | |
AfD – der Parteivorstand einfach einen auf die Liste gewählten Kandidaten | |
im Wahlvorschlag wieder gestrichen. | |
taz: Wie hat der Verfassungsgerichtshof das begründet? | |
Schönberger: Er hat so argumentiert, dass ja trotzdem ein AfD-Kandidat das | |
Mandat bekommen hätte. Das halte ich rechtlich eigentlich für überhaupt | |
nicht zu begründen. Aber sie haben das in Sachsen so gemacht. Die Formel, | |
die man daraus ziehen könnte, wäre: Es ist doch wurscht, welcher Hansel von | |
der AfD jetzt im Parlament sitzt. Die sind doch eh alle gleich. Also ich | |
glaube nicht, dass der Niedersächsische Staatsgerichtshof das genau so | |
entscheiden würde. Die andere Lösung wäre eine Neuwahl, ähnlich wie in | |
Hamburg 1993, als das dortige Verfassungsgericht die gesamte | |
Bürgerschaftswahl von 1991 für ungültig erklärt hatte. | |
taz: Aber Neuwahl, nur weil eine Partei Mist gebaut hat – ist das nicht | |
unfair für alle anderen? | |
Schönberger: Das stimmt. Wenn man es ganz genau nehmen würde, und man sagt, | |
die Kandidatenaufstellung bei der AfD war nicht in Ordnung, sodass diese | |
Liste nicht hätte zugelassen werden dürfen, dann müsste das eigentlich zur | |
Folge haben, dass die Wahl wiederholt wird – aber ohne den | |
AfD-Wahlvorschlag. Ob man sich dazu durchringen würde, da bin ich sehr | |
gespannt. Aber wenn ich genau den Buchstaben des Gesetzes anwenden würde, | |
müsste ich dabei landen. Politisch wäre das allerdings schwierig. | |
11 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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