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# taz.de -- Zurück in die Ukraine – um jeden Preis: Der lange Weg in die He…
> Ukraine, Russland, Georgien … Von einer, die auszog, um wieder nach Hause
> zu kommen. Und die endlich ihren Platz gefunden hat.
Bild: Nichts würde unsere Autorin lieber tun, als in ihre Heimat aus Kindheits…
Ich wurde in der Nähe von Lwiw geboren, einer Stadt in der Westukraine –
kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Meine Eltern versuchten, ihren
Platz in unserem neuen, unabhängigen Land zu finden. Irgendwie an Geld zu
kommen, war eine Überlebensfrage. Mein Vater arbeitete in der Ukraine,
meine Mutter in Polen – 15 Stunden am Tag, von einer Schneiderei zur
anderen.
Als ich fünf Jahre alt war, verloren wir meinen Vater. Meine Mutter verfiel
in Depressionen. In Polen arbeiten, wollte sie nicht mehr. Aber in der
Ukraine gab es keine Arbeit. Bald wurde meiner Mutter eine Stelle mit
Unterkunft in der Nähe von St. Petersburg angeboten. So landeten wir
zusammen in Russland.
Der Umzug gab meiner Mutter neue Kraft. Sie war endlich vom Schmerz infolge
des Todes meines Vaters abgelenkt und konnte mehr Zeit mit mir verbringen.
Aber für mich war das eine Herausforderung: Es war, als hätte sich mein
Leben verdunkelt. Wir lebten in einer tristen Stadt voller grauer, gleich
aussehender Blockhäuser.
Ich vermisste die großen grünen Höfe, das Haus auf dem Land, die Weiden,
auf denen meine Freunde und ich Kühe hüteten. Und meine Großeltern, die mir
die Liebe zu meiner Heimat eingeflößt hatten. Alles in Russland war mir
fremd und ich fühlte mich einsam. Erschwerend kam hinzu, dass ich kein
Russisch sprechen wollte – was mich nur noch mehr daran hinderte, Freunde
zu finden. Die ukrainische Sprache war der Faden, an dem ich mich
festhielt.
## Nirgendwo fand ich meinen Platz
Schließlich musste ich mich anpassen und gab auf. Meine Mutter und ich
[1][wurden russische Staatsbürgerinnen]. Ich beendete die Schule, die
Universität, fand neue Jobs und wechselte sie wieder. Nirgendwo fand ich
meinen Platz und die meiste Zeit ließ ich mich treiben.
Mit dem Euromaidan 2014 und dem Ausbruch des Krieges im Donbass in der
Ostukraine sah ich wie viele Russen keinen Sinn darin, mich in das
politische Geschehen einzumischen. Ich glaubte, darauf sowieso keinen
Einfluss zu haben. Gleichgültigkeit gegenüber der Politik ist in einem
Land, in dem die Behörden geschickt eine Illusion von Stabilität erzeugen,
zur bequemen Norm geworden. Das spielt Wladimir Putin in die Hände. Als
seine Aggression gegenüber anderen Staaten in einen regelrechten
„Kannibalismus“ umschlug, waren die Russen weder bereit, zu begreifen, was
vor sich ging – noch, sich zu wehren. Bestenfalls murrten sie, wie schlimm
Putin sei, und lebten weiter wie bisher.
Es dauerte eine Weile, bis ich die Realität erkannte. Eine Reise in die
Ukraine rettete mich: Die Geschichten der Maidan-Teilnehmer und der
Bewohner der besetzten Gebiete holten mich aus der „russischen Blase“.
Ich fing an, Demonstrationen zu besuchen, mit Aktivisten zu sprechen und
meinen Mitbürgern zu erklären, warum man Putin und seine Partei nicht
wählen könne. Und warum es sich bei der Krim, Donezk und Luhansk um
annektierte ukrainische Gebiete handelt.
## Da beschloss ich, Russland zu verlassen
Dann dämmerte es mir: Was mache ich eigentlich in Russland? Das schien eine
einfache Frage zu sein, aber sie war mir vorher nie in den Sinn gekommen.
Ich hatte in einer Trägheit gelebt und nicht darüber nachgedacht, dass das
Leben anders sein könnte. Die Entscheidung, nach Hause zurückzukehren und
die ukrainische Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen, schien mir der einzig
richtige Schritt zu sein.
Im Februar 2022 begann Russland seine große Invasion in die Ukraine, es
erkannte die ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als selbstständige
„Volksrepubliken“ an. Die Einreise in die Ukraine wurde für Russen
unmöglich. Ich war von meiner Heimat abgeschnitten.
Da beschloss ich, Russland zu verlassen. Im Alter von 30 Jahren ging ich
nach Georgien, mittellos und ohne eine klare Vorstellung von der Zukunft.
So begann mein neues Leben ohne die Möglichkeit, in die Ukraine
zurückzukehren und meine Familie in Russland wiederzusehen.
[2][Damals war Tbilisi voll von Russen], und ihr frivoles Verhalten war
überwältigend für mich. Ich beobachtete mit Abscheu, wie sie betrunken und
sorglos von Bar zu Bar zogen, wie sie sich über die „Härten“ des Lebens im
Ausland beklagten und sich mürrisch fragten: „Wann wird das endlich
aufhören?“ Die Georgier brachten ihren Unmut offen zum Ausdruck und
erinnerten die Russen daran, dass ihr Land einen Teil Georgiens besetzt
halte und sie hier nicht willkommen seien.
## Ukrainische Firmen wollen keine Russen einstellen
Eines Tages hörte ich jemanden auf der Straße rufen: „Besatzer, Faschisten,
raus!“ Es stellte sich heraus, dass ich gemeint war. Ich habe die
Schreihälse nicht in die komplizierte Geschichte meiner Herkunft
eingeweiht. Wichtiger war mir, dass die Georgier weiter versuchten, die
Russen in ihrem Land an deren Verantwortung für die Gräueltaten ihres
Staates zu erinnern.
Ich wollte mich dem Kampf gegen Russland anschließen und wurde Freiwillige
bei „Helping to Leave“, einer Organisation, die Ukrainer bei der
Evakuierung aus dem Kriegsgebiet und den besetzten Gebieten unterstützt.
Es war schwierig, in Tbilisi Arbeit zu finden, auch da ich kein Georgisch
sprach. Ich wollte nicht in russischen Organisationen arbeiten, und
ukrainische Firmen wollten keine russischen Staatsbürger einstellen.
Nachdem Russland vollständig in die Ukraine einmarschiert war, hatte die
Ukraine eine Visaregelung für russische Staatsbürger eingeführt. Ich
versuchte sofort, ein Visum zu bekommen. Aber es gelang mir nicht einmal,
einen Termin beim ukrainischen Konsul zu bekommen. Das Gespräch war kurz:
„Sie sind russische Staatsbürgerin. Wir können Ihnen nicht helfen.“ Mehre…
Leute versicherten mir, dass es einfacher sei, beim Konsulat in Serbien
Hilfe zu bekommen, also beschloss ich, nach Belgrad zu reisen.
## „Gehen Sie zurück nach Russland!“
Auch dort wurde ich enttäuscht. Ohne meinen Fall auch nur zu kennen, ließ
die ukrainische Konsularbeamtin ihren Hass auf Russen an mir aus: „Ich
weiß, was Sie wollen. Sie wollen in Ruhe durch Europa reisen, und ein Visum
bekommen. Also gehen Sie zurück nach Russland!“.
Ich reiste zurück nach Georgien, wo ich mich nach dem prorussischen Serbien
viel mehr zu Hause fühlte. Bald fand ich Arbeit in Tbilisi, ich bekam einen
Job bei einem georgischen Medium, begann Georgisch zu lernen und fand
Freunde, auch ukrainische. Wir unterstützten uns gegenseitig.
Gleichzeitig setzte ich meine ehrenamtliche Arbeit bei Helping to Leave
fort: Ich sammelte Zeugnisse und Geschichten von Menschen, die die
Besatzung und die Misshandlungen durch die Russen überlebt hatten, um sie
für die Geschichtsschreibung festzuhalten. Endlich fühlte ich mich sicher
und wusste: Ich habe meinen Platz gefunden und bewege mich in die richtige
Richtung.
Ich werde mein Ziel, in meine Heimat zurückzukehren, nicht aufgeben. Mit
viel Mühe gelang es mir, doch einen Termin beim ukrainischen Konsulat zu
erhalten. Und zum ersten Mal spürte ich einen Hoffnungsschimmer: Endlich
konnte ich die Wiedereinbürgerung beantragen. Obwohl mir niemand eine
Garantie geben kann, dass das funktionieren wird, bringt mich dieser
Schritt meiner Heimat näher.
## „Ich möchte nach Hause“, sage ich
Ich beende diesen Text in der Küche eines Gästehauses in einem abgelegenen
Dorf in Tuscheti, einer Hochgebirgsregion in Georgien. Während der Kaffee
langsam kocht, fahre ich mit den Augen über die Zeilen: Wie kann ich ein
Leben in ein paar Tausend Zeichen unterbringen?
In diesem Moment kommt Ia, die schöne und lächelnde Gastgeberin des Hauses,
in die Küche. Ich erzähle ihr, dass ich morgen nach Tbilisi abreise. Sie
fragt, wie lange ich in Georgien zu bleiben gedenke. Ich zucke mit den
Schultern. Und sage ihr, dass ich hoffe, bald in die Ukraine zu ziehen.
„Aber dort herrscht doch Krieg“, sagt sie, „warum?“ „Ich möchte nach
Hause“, sage ich. Ia umarmt mich und flüstert: „Alles wird gut, der Krieg
wird enden. Nichts währt ewig.“
8 Nov 2024
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## AUTOREN
Yulia Kalaban
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