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# taz.de -- Zaun um den Görlitzer Park: Malen nach Zahlen
> Nachts im Görli werden mehr Straftaten erfasst. Doch der Statistik ist
> nicht zu trauen. Polizei und Senat rechnen sich den Park absichtlich
> gruselig.
Bild: Wo die Polizei kontrolliert, da wird es kriminell: Einsatz im Görli im M…
Als Regierender Bürgermeister hat man es manchmal einfach schwer. Man würde
so gern sinnvolle Entscheidungen treffen, alles anders machen, vielleicht
sogar menschenfreundliche Politik. Aber was muss, das muss nun einmal, und
da kann sich auch der mächtigste Mann Berlins nicht den nüchternen
Sachzwängen widersetzen.
So zumindest klingt es, wenn Kai Wegner beklagt, ihm seien beim [1][Thema
Görli-Zaun] schlichtweg die Hände gebunden: „Mir wäre am liebsten, ich
müsste den Zaun gar nicht bauen“, seufzte der CDU-Politiker Anfang der
Woche [2][bei einem Bürgerdialog in Kreuzberg].
Doch anscheinend muss er. Schließlich habe die Polizei ihm empfohlen, die
Kreuzberger Grünfläche einzuzäunen und nachts abzuschließen. „Und das
machen wir jetzt“, sagte Wegner.
Auf den ersten Blick geben ihm [3][die neuen Zahlen zur Kriminalität im
Görli] recht. Denn sie zeigen zwar, dass insgesamt im Park weniger
Straftaten verübt werden als noch im Vorjahr. Bei Nacht aber sind es
doppelt so viele wie noch 2024. Ist der Görli also nachts gefährlicher
geworden?
## Wo die Polizei kontrolliert, wird es kriminell
Spoiler: Nein, das lässt sich so nicht belegen. Was die Zahlen aber wieder
einmal demonstrieren: Der Görli ist und bleibt ein Politikum – und die
Polizei ein politischer Akteur, dessen Statistiken keine objektiven Fakten
darstellen. Die Einsatzstrategie der Polizei produziert die Daten, die den
Park nachts gefährlich erscheinen lassen.
Wie funktioniert das? Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass die Polizei
im bisherigen Jahr 2024 deutlich – fast ein Drittel – weniger
Einsatzstunden für den Görlitzer Park und den Wrangelkiez aufgewendet hat.
Kein Wunder, schließlich war und ist in Berlin eine Menge los, wie etwa die
[4][Fußball-EM] im Sommer und die regelmäßigen [5][Nahost-Demos].
Gleichermaßen sind auch die im Görlitzer Park erfassten Straftaten um ein
Drittel gesunken. 909 waren es von Januar bis September, im gleichen
Zeitraum 2023 waren es noch 1.351 gewesen. Das ist kein Wunder, schließlich
führt weniger Polizeipräsenz zumeist auch zu weniger registrierten Delikten
in Kriminalstatistiken.
Hinzu kommt, dass mit der [6][Teillegalisierung von Cannabis] die erfassten
Drogen-Vergehen im Görli drastisch eingebrochen sind: um mehr als 40
Prozent sind Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Gesetz zu
neuen psychoaktiven Stoffen zurückgegangen.
## Massiver Anstieg gegen den allgemeinen Trend
Zwei Gründe also, die den allgemeinen Rückgang der Kriminalität im Park gut
erklären. Aber wie kann es dann sein, dass die nächtlichen Straftaten so
massiv zugenommen haben? 669 Delikte hat die Polizei von Januar bis
September in den Nachtstunden von 22 bis 6 Uhr registriert – also fast drei
Viertel aller Taten, die bislang dieses Jahr im Görli dokumentiert wurden.
Im selben Zeitraum im Vorjahr waren es bloß 339 nächtliche Straftaten, bei
einem viel größeren Gesamtaufkommen.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn zum größten Teil handelt es sich
bei den Straftaten im Görli um sogenannte Kontrolldelikte, die nur
auffliegen, [7][wenn die Polizei Menschen kontrolliert]: Drogendelikte und
Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz.
Der Verdacht liegt nahe, dass die Polizei sich noch stärker als bisher
darauf konzentriert, nachts im Park zu patrouillieren – obwohl die
Einsatzstunden insgesamt deutlich zurückgefahren wurden. Polizei und Senat
betreiben hier also Malen nach Zahlen; es entsteht ein Grusel-Bild vom
Görli, Zaun und nächtliche Schließung scheinen alternativlos.
Noch im Frühjahr hatte Kai Wegner einfach mit völlig falschen Zahlen zum
Arbeitsaufwand der Polizei argumentiert, um die Notwendigkeit des Zauns zu
untermauern. Peinlich, als Innensenatorin Iris Spranger [8][später
einräumen musste, dass ihr Chef komplett übertrieben hatte].
## Der Zaun bleibt ein Irrweg
Praktisch also, wenn jetzt eine korrekt erhobene und schwer zu
interpretierende Statistik die Behauptung vom nachts gefährlichen Görlitzer
Park untermauert. So kann Wegner vorschieben, ihm bleibe nichts anderes
übrig, als die Grünfläche einzugittern und zu verriegeln.
Doch es [9][bleibt ein Irrweg]. Denn der Blick auf die Daten verrät auch,
dass die Situation in den Kiezen rund um den Görlitzer Park dramatisch ist.
Rund um Reichenberger und Wrangelstraße ist die Zahl der Straftaten nahezu
gleich hoch geblieben – trotz des Rückgangs der Drogendelikte um mehr als
40 Prozent.
Denn gleichzeitig schnellt die Zahl der Fahrraddiebstähle, Einbrüche und
Raubüberfälle in die Höhe. Typische Anzeigedelikte – also unabhängig von
mehr oder weniger Polizeikontrollen –, die auf ein massives und weiter
wachsendes Problem mit Beschaffungskriminalität hindeuten.
Hinter diesen Zahlen verbergen sich die Schicksale von Menschen, die
[10][von Sucht, Armut und Verelendung betroffen sind], von Migrant*innen,
denen wegen fehlender Papiere keine Perspektive gewährt wird. Es sind diese
Ursachen, die Gesellschaft und Politik angehen müssen. Die Polizei ist
dabei keine Hilfe – und der Zaun erst recht nicht.
1 Nov 2024
## LINKS
[1] /Streit-um-Goerlitzer-Park/!6039054
[2] /Kai-Wegner-in-Kreuzberg/!6046060
[3] /Kriminalitaet-am-Goerlitzer-Park/!6042703
[4] /Schwerpunkt-Fussball-EM-2024/!t5308320
[5] /Polizeigewalt-auf-Palaestina-Demos/!6029454
[6] /Cannabis/!t5007686
[7] /Racial-Profiling-im-Goerlitzer-Park/!6031770
[8] /Polizeieinsaetze-im-Goerlitzer-Park/!5985634
[9] /Zaunplaene-im-Goerlitzer-Park/!5993751
[10] /Obdachlosenhilfe-trifft-Drogennotdienst/!6011687
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
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