| # taz.de -- Stück „Bühnenbeschimpfung“: Vom Niedergang und der Auferstehu… | |
| > Die Landesbühne Niedersachsen Nord inszeniert „Bühnenbeschimpfung“ von | |
| > Sivan Ben Yishai. Das Stück seziert humorvoll die Krise des Theaters. | |
| Bild: Nicht mehr ins Theater? Doch! Am Ende wird aus der Bühnenbeschimpfung ei… | |
| Wer einen Blick in den Theatersaal werfe, schreibt Dramaturgin Kerstin Car | |
| in ihrem erfreulich theaterselbstkritischen Programmheft-Beitrag, werde | |
| sehen, dass ganze Sitzreihen „heute frei bleiben“. So ist es wie immer bei | |
| zeitgenössischen Stoffen im Stadttheater Wilhelmshaven. Also warum nicht | |
| auf der Bühne dieses Missverhältnis von Angebot und Nachfrage, ja, das | |
| Theater als Minderheitenveranstaltung erkunden und analysieren, wie ihm die | |
| Rechtfertigungsmythen – Systemrelevanz! – wegbrechen, während | |
| Zuschauer:innen schon aus demografischen Gründen verschwinden. | |
| Dafür steht Sivan Ben Yishais „Bühnenbeschimpfung“ auf dem Spielplan der | |
| [1][Landesbühne Niedersachsen Nord]. Damit kann Regisseur Daniel Kunze die | |
| Probleme auf der Künstler:innenseite, die Erwartungen auf Publikumsseite | |
| und die Konventionen auf beiden Seiten satirisch aufbereiten. Und dazu | |
| Fragen zu [2][Macht], [3][Missbrauch], [4][Mobbing], [5][Widerstand] und | |
| [6][Narzissmus] ausleuchten. | |
| Fünf Schauspieler:innen spielen Schauspieler:innen, tüllig schwarz mit | |
| Halskrause kostümiert wie Hamlet in Glitzer. Sie treten aus dem Rahmen | |
| ihrer Kunst, einem Bühnenbildrahmen, und steigen im eher privaten Tonfall | |
| ein in den Tiefenbohrungstext über die Verabredungen zwischen Kunst und | |
| Publikum sowie die Behauptung, das Ensemble sei die Verkörperung der | |
| Institution. | |
| Das Ensemble will Grundsätzliches diskutieren. Los geht es überdeutlich mit | |
| einer selbst geschriebenen Szene zu Klassikeraktualisierungen. Geradezu | |
| kabarettistisch wird der Vorschlag goutiert, die Themen „Polyamorie und | |
| neue Beziehungsformen“ am Beispiel von „Schneewittchen“ zu verhandeln. Und | |
| sollte nicht bei „Maria Stuart“ die Frage nach Vereinbarkeit von | |
| [7][Familie und Beruf] gestellt werden? | |
| Schon sind wir auf einer Probe, Hannah Sieh steigt pathetisch auf Schillers | |
| Worte für Königin Elisabeth ein, das Klagen über die Einsamkeit in ihrem | |
| Beruf. Da klingelt das Telefon, die Darstellerin soll ihr krankes Kind aus | |
| der Kita abholen. Der Regisseur aber nötigt sie zum Bleiben. „Dieses Thema | |
| ist einfach zu wichtig. Familie und Beruf, das müssen wir verhandeln, uns | |
| dem künstlerisch nähern, um so Impulse in die Gesellschaft zu tragen.“ | |
| Eine Schauspielkollegin bietet sich an, die Rolle zu übernehmen. Die | |
| Elisabeth-Darstellerin schluckt dieses unsolidarische Verhalten empört | |
| herunter, der Regisseur nutzt ihre glühende Wut für eine Rollengestaltung | |
| aus, die ihm gefällt: Klappe halten und weitermachen aus Angst vor der | |
| Nichtverlängerung des Engagements. | |
| Schauspielende sind Lästermaulhelden abseits der Bühne und Opportunisten | |
| bei der Arbeit, das kritisiert die Aufführung – beispielhaft als | |
| gesamtgesellschaftlich bekanntes Verhalten in institutionellen Zwängen. | |
| Angemerkt sei: In einem anständig geführten Theater/Betrieb, die es ja auch | |
| gibt, würden Belegschaft, Betriebsrat und Frauenbeauftragte wohl die | |
| Abberufung des Regisseurs durchsetzen. | |
| Dann stehen mit Aktenordnern verklebte Menschen im Papierregen für den | |
| Dauerärger mit einer lähmenden Bürokratiemaschinerie. Eine Künstlerin | |
| bietet devot dem Intendanten eine Projektidee an und ist entrüstet, als | |
| alles abgesagt wird. Alle fühlen sich entmündigt, weil sie Texte sprechen | |
| müssen, die ihnen nicht passen. | |
| Im zweiten Teil werden Stereotype von Theaterbesuchern comedymäßig | |
| abgewatscht. Man kann eine von Kulturüberfütterung gelangweilte Kritikerin | |
| erleben, einen verklemmten Schlauberger und einen bildungsbürgerlichen | |
| Smartie – sie finden zusammen in einer hübschen Choreografie aus Niesen, | |
| Husten, Gähnen, Schmatzen und Gesang. Die Regie übersetzt Aussagen in | |
| körperliche Eskalationen und treibt sie ins Absurde – gegen die passive | |
| Haltung der Zuschauenden, die nur wegen des Rotweins danach ins Theater | |
| gegangen sind. | |
| Also einfach das Theater verlassen? Nein! Oder doch? Warum nicht? Die | |
| Darsteller:innen schalten das Licht aus. Totale Dunkelheit. | |
| Jetzt beginnt das Gebäude als Zivilisationszombie aus dem Off über seine | |
| Schließung zu sprechen und resümiert das bisher Geschehene: „Der Tod hat | |
| von innen heraus angefangen.“ Die Natur übernimmt das Haus, lässt wachsen | |
| und gebären – genährt von einem magischen Objekt, dessen Licht mit dem | |
| Bühnennebel tanzt. Bald stehen wieder Zweibeiner auf den die Welt | |
| bedeutenden Brettern und entdecken die Möglichkeiten ihres Körpers mit | |
| frisch erfundener Bewegungskunst, aber auch das Publikum im Parkett. | |
| Es ist Zeit für den Start eines anderen, neuen Theaters. Diese Neugierde, | |
| Lust und Liebe bringt das Ensemble mit abgründig komödiantischer | |
| Spielfreude über die Rampe. Der Abgesang funktioniert als Loblied auf die | |
| Bühnenkunst, Theaterbashing als Theaterhighlight. | |
| 14 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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