| # taz.de -- Israel, Palästina und ein Hitler-Bild: Familienstreit ums Nazierbe | |
| > Marius von Mayenburgs Kammerspiel „Nachtland“ erzählt mit viel schwarzem | |
| > Humor von einem Streit um (Nazi-)Kunst, deren Wert und Erbe. | |
| Bild: Missverständnisse und Provokationen sind perfekt zwischen Persiflage und… | |
| Eine AfD-Wählerin aus der bürgerlichen Mitte könnte sie sein, vertritt aber | |
| auch Positionen einer linken Palästina-Versteherin. Das behauptet Nicola in | |
| ihrer schon zu Hass geronnenen Genervtheit: „Irgendwann muss auch mal | |
| Schluss sein.“ Nichts will sie mehr hören von Holocaust, | |
| Nationalsozialismus, Erinnerungskultur, deutscher Verantwortung und | |
| Verbundenheit mit Israel, sondern ihrer jüdischen Schwägerin Judith mal die | |
| Meinung geigen zum Umgang Israels mit den Palästinensern. Das sei deshalb | |
| selbst schuld am aktuell aufflammenden Antisemitismus. | |
| Aber gerade die Juden hätten es doch besser wissen müssen, betont Nicola. | |
| „Weil sie im Dritten Reich verfolgt wurden?“, fragt Judith. „Natürlich�… | |
| wird ihr entgegengeblafft. Die höhnisch-ironische Antwort folgt prompt: | |
| „Das wusste ich nicht, dass der Holocaust eine Art Erziehungsprogramm war | |
| für die europäischen Juden, damit sie sich besser benehmen in Palästina, | |
| aber klar, macht Sinn, und ich Idiotin hab’ immer gedacht, es wär’ darum | |
| gegangen, möglichst viele Juden in möglichst kurzer Zeit umzubringen.“ | |
| Angesichts radikalisierter Palästina-Diskurse traut sich derzeit kaum ein | |
| Theater, eine solche Auseinandersetzung auf die Bühne zu holen. Das | |
| [1][Landestheater Niedersachsen Nord] hat sie nicht aus [2][Marius von | |
| Mayenburgs] Kammerspiel „Nachtland“ gestrichen, sondern mit emotionaler | |
| Kraft in aller Unversöhnlichkeit aufglühen lassen, sodass sich das Publikum | |
| selbst verorten muss. | |
| ## Humor als Mittel der Aufklärung | |
| Dabei ahnte zur Uraufführung des Stücks im Dezember 2022 noch niemand, dass | |
| zehn Monate später palästinensisch-islamistische Hamas-Terroristen den | |
| Nahost-Konflikt massenmörderisch eskalieren ließen. In dieser weiterhin | |
| aufgeheizten Atmosphäre wirkt „Nachtland“ heute höchst aktuell mit den zw… | |
| nur angetippten, aber eben pointierten Disputen über antijüdische | |
| Vorurteile und die Frage, wann Israel-Kritik antisemitisch wird. | |
| Ein gelungener Schachzug des Autors gegen die Eskalation ist, als Mittel | |
| der Aufklärung den Humor einer Gesellschaftskomödie zu nutzen. Dafür | |
| braucht es typisierte, schlagfertige Figuren als Thesenträger. Die treffen | |
| sich zur Wohnungsauflösung des verstorbenen Vaters von Nicola und Philipp, | |
| Judiths Gatte, eine kleingeistig großtuerische Künstlerkarikatur. Wie | |
| Geburtstags- und Familienfeiern ist das ein klassisches Setting fürs | |
| Aufbrechen alter Konflikte, neuer Widersprüche sowie all der angesammelten | |
| Lügen, Verdrängungen und Geheimnisse. | |
| Regisseur Maximilian Schuster arbeitet die im Text angelegten | |
| Streitdynamiken in satirischer Zuspitzung heraus. Die Pingpong-Dialoge mit | |
| ihren Provokationen und amüsanten Missverständnissen funktionieren prima | |
| ausbalanciert zwischen Persiflage und Betroffenheit. Alles läuft auf die | |
| grundlegende Abrechnung mit der menschlichen Eigenschaft hinaus, | |
| Möglichkeiten zu Habgier gern mal zu nutzen und dabei allen moralischen | |
| Anstand ratzfatz abzustreifen. | |
| ## Die Sache hat ein Hakenkreuz | |
| In diesem Fall wird im Dachboden-Nachlass des Verstorbenen die kitschig | |
| aquarellierte Ansicht einer Wiener Kirche gefunden, [3][als Signatur ist | |
| „A. Hitler“ auszumachen]. Die „kunsthandwerkliche Flohmarkt-Pinselei eines | |
| Hobbymalers und Massenmörders“, so Judith, gehöre auf den Müll. Wenn aber | |
| tatsächlich Hitler der Schmierfink war, könnte das Bild viel Geld wert | |
| sein. Philipp sieht da „nur einen Haken“, Judith hingegen „ein komplettes | |
| Hakenkreuz“. | |
| Konkret geht es um eine verdrehte Provenienz-Inszenierung. Wenn Philipp und | |
| Nicola das Hitler-Bild verkaufen wollen, benötigen sie für ihre | |
| Glaubwürdigkeit ein paar Nazi-Verstrickungen in der eigenen Familie. Bisher | |
| hatten sie stets nachkriegsüblich behauptet, alle Verwandten seien | |
| Antifaschisten gewesen, „schon aus ästhetischen Gründen“. Nun wird der Oma | |
| eine Affäre mit dem Hitler-Vertrauten Martin Bormann angedichtet, die das | |
| Gemälde als Geschenk bekommen habe. Evamaria, eine Kunstsachverständige mit | |
| NS-Vergangenheit, bastelt mit an diesem Narrativ. Nun läuft Sven Heiß als | |
| Komödiant zu großer Form auf in seiner Rolle als windiger Herr Kahl, der | |
| für hundert-, ach was, zweihunderttausend Euro den Hitler erwerben möchte. | |
| Nach einer ausführlichen Aufzählung von Idolen der Geistes- und | |
| Kunstgeschichte, die nachweislich als „Judenverächter, Judenfeinde, | |
| Judenhasser“ aufgefallen waren, startet die Diskussion, ob Künstler und | |
| Kunstwerk zu trennen seien. Für Judith bleibt das Hitler-Aquarell ein | |
| Hitler-Aquarell, sie wendet sich unbeirrt an Kahl: Wenn sie das Bild selbst | |
| zerstören dürfe, „gehört mein Körper Ihnen, die ganze Nacht“. Damit ist | |
| dann auch ihre Ehe beendet. Aber der Autor hat noch einen Plot-Twist parat | |
| für diese hinterhältige Variante, die leichte Muse zu bedienen und | |
| politisches Unbehagen auszulösen – anesichts des alltäglichen | |
| Antisemitismus. | |
| 28 Mar 2025 | |
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| Jens Fischer | |
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