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# taz.de -- Nazi-Kunsterbe: Ein echter Hitler
> Lisa Elflein bewahrt das Bild im Safe auf: „A. Hitler“ steht am unteren
> Rand des vergilbten Aquarells. Sie will es loswerden. Aber das ist nicht
> so einfach.
Bild: Die Unterschrift Hitlers auf einem Aquarell.
„Gemälde von Hiller“, stand erst auf der Rechnung von 1916, die Lisa
Elflein zusammen mit dem Bild in einem Safe aufbewahrt. Mit einem anderen
Stift hat jemand nachträglich einen kleinen Querstrich durch das erste l
gezogen und es zum t gemacht: „Hitler“ steht da jetzt.
Das Aquarell, in Sepia gemalt, zeigt das Münchner Standesamt am
Marienplatz, dahinter der Turm des Alten Rathauses. Als Elfleins Großeltern
das Bild in München kauften, kannte niemand diesen Namen. Das junge Paar
hat gerade ein Haus in Thüringen bezogen. Dort hängt das Bild fast 25 Jahre
lang, bis die Elfleins die krakelige Signatur am linken unteren Bildrand
entziffern und feststellen: Da hängt der Pinselstrich des „Führers“ an der
Wand.
Lisa Elflein kennt diese Geschichte mittlerweile gut. Ihre Tante hat sie
ihr erzählt. Als diese vor zehn Jahren starb, erbten Elflein und ihre drei
Cousinen das Gemälde. Elflein heißt nicht Elflein. Ihren richtigen Namen
will sie nicht in einer Zeitung lesen. Zumindest nicht, so lange sie dieses
Bild besitzt.
Ein Antiquar hatte ihr vor Jahren angeboten, es für sie zu verkaufen.
Elflein lehnte ab. Das Bild soll nicht in die Hände von Neonazis geraten.
Aber wohin sonst? Behalten will sie es nicht. Sie verschließt das Bild, das
viele Geheimnisse birgt, in einem Safe bei der Bank.
Die Suche nach der Geschichte des Bildes beginnt bei Birgit Schwarz in
Wien. Die Kunsthistorikerin ist eine der wenigen, die sich wissenschaftlich
mit Hitler als Gemäldesammler beschäftigt hat. Das Problem mit seinen
Bildern, erklärt sie, läge darin, dass diese so oft gefälscht wurden.
„Hitler hatte keinen eigenen Stil. Er hat andere Maler dieser Zeit kopiert.
Später, als er politisch aufstieg, wurde er kopiert. Irgendwann konnte
nicht mal mehr er selbst seine Originale von Fälschungen unterscheiden.“
Zeit seines Lebens sieht sich Hitler als verkanntes Genie. Zweimal fällt er
durch die Aufnahmeprüfung der Kunstakademie in Wien. Schwarz meint, die
Ablehnung habe ihn im Glauben an sein unerkanntes Talent bestärkt. 1913
zieht er nach München, besessen von der Idee, Architekt oder Bauzeichner zu
werden. Er malt bayerische Landschaften und Stadtansichten, kopiert
Postkarten und Fotografien. Aus dieser Zeit muss Elfleins Aquarell stammen.
## Das Immergleiche malen
Etwa 2.000 bis 3.000 Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder soll er zu
Lebzeiten gemalt haben. Sicher ist das nicht. Es gibt keine umfassende
Aufstellung dieser Bilder. Mitte der achtziger Jahre hat der amerikanische
Sammler Billy P. Prive von Hitlers Bildern ein Werkverzeichnis
veröffentlich. Eine Ausgabe liegt im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in
München.
Darin findet sich auch Elfleins Motiv, und zwar mehrmals: das Münchner
Standesamt, immer wieder, gleicher Bildausschnitt, gleiche Perspektive,
gleiche Farbe. Tagelang sitzt er vor dem Gebäude am Marienplatz, das heute
nicht mehr steht. Er wartet auf die neuvermählten Paare und verkauft ihnen
seine Aquarelle. Damit finanziert er sein kümmerliches Leben in einem
kleinen Zimmer in Schwabing.
Elfleins Großeltern wissen das alles nicht, als sie das Bild kaufen. 1916
ist Hitler schon lange nicht mehr in München. Er ist Soldat in Frankreich,
ein Unbekannter.
Der Gemälde-Salon Alois Baldauf am Münchner Hauptbahnhof, der das Bild
damals anbot, dürfte kein bedeutender gewesen sein, glaubt Christian
Fuhrmeister, Kunsthistoriker am Zentralinstitut in München. In der
Schützenstraße 1, die als Adresse auf der Rechnung steht, ist heute ein
Frisör.
Die Elfleins kaufen bei dem Händler Baldauf mehrere Bilder. Zwei von
Hitler. Wo der zweite Hitler hingekommen ist, weiß Elflein nicht. Die
anderen Maler auf der Rechnung sind heute unbekannt. Kunsthistorische
Lexika und Personenregister führen keinen der vier Namen. Fuhrmeister
vermutet, sie alle waren auf touristische Motive spezialisiert. Genau das,
was die Elfleins für ihr neues Heim suchten. Dort kommt es an die Wand im
Wohnzimmer.
Als Hitler politisch aufsteigt, arbeitet er hartnäckig daran, seine
Vergangenheit als mittelloser Straßenmaler zu verwischen: Ab 1938 setzte er
Mitarbeiter der NSDAP darauf an, seine Bilder in Österreich und Deutschland
aufzuspüren und den Besitzern für horrende Summen abzukaufen. Findet er sie
gut, lässt er sie archivieren. Findet er sie misslungen, lässt er sie
vernichten.
Dass Elfleins Gemälde nicht gefunden wird, liegt daran, dass zu dieser Zeit
niemand in der Familie wusste, dass der „Führer“ das Bild gemalt hat.
Anfang der vierziger Jahre kommt der Sohn zu Besuch von der Front. Zum
ersten Mal schaut er sich das Bild genau an und entziffert die Signatur am
linken unteren Bildrand: A. Hitler.
Die Familie schickt eine Kopie des Bildes an Albert Bormann, den Leiter von
Hitlers Privatkanzlei. Der antwortete: „Soweit aus der von Ihnen
eingesandten Kopie ersichtlich, scheint es sich tatsächlich um eine der
Arbeiten des Führers zu handeln … Mit deutschem Gruß, Albert Bormann“.
Heute kann sich da niemand mehr sicher sein: Die Rechnung von 1916, das
Motiv einer Serienproduktion und die Geschichte der Großeltern – das alles
spricht aber dafür, dass das Bild echt ist.
Das Bayerische Hauptstaatsarchiv hat vor einigen Jahren angebliche
Hitler-Gemälde gestiftet bekommen. Die Echtheitsprüfung hat Wochen
gedauert: Mehrere Experten haben Stil, Inhalt und Pinselstrich untersucht.
Das Landeskriminalamt hat mit Ultraschall nach verborgenen Schichten oder
Signaturen in den Bildern gesucht. Nichts. Vieles spricht dafür, dass es
Originale sind, aber eben nicht alles. „So lange niemand hundertprozentig
sicher sein kann, müssen wir davon ausgehen, dass es Fälschungen sind“,
sagt Sylvia Krauss, die die Nachlässe im Archiv verwaltet.
Elfleins Großeltern hingegen haben nach Bormanns Brief keinen Zweifel. Sie
wollen das Bild ihrer Heimatstadt stiften und damit lebenslanges Wohnrecht
erwerben. Aber dazu kommt es nicht: Das Ehepaar stirbt nach dem Krieg. Als
Elfleins Tante später in die BRD flieht, versteckt sie das Bild hinter
einem anderen Gemälde. Den Briefkopf der Bormann-Korrespondenz schneidet
sie ab, damit niemand auf den Gedanken kommt, die Familie habe Geschäfte
mit den Nazis machen wollen. Die Beamten an der deutsch-deutschen Grenze
finden das versteckte Bild nicht. In ihrer neuen Heimat verstaut die Tante
es im Schrank.
Das Bild wird zum offenen Familiengeheimnis: Die Kinder erfahren davon,
aber sonst soll es niemand wissen. 60 Jahre nach Kriegsende und fast 100
Jahre nach Kauf des Bildes will Elflein es jetzt endlich loswerden.
## Begehrte Bilder
Einer der größten Märkte für Hitler-Devotionalien ist der angelsächsische
Raum. Dort werden die Bilder regelmäßig für enorme Summen versteigert.
Originale wie Fälschungen. In Deutschland passiert das sehr selten und
wenn, dann meist im Verborgenen unbedeutender Auktionshäuser. Werden solche
Versteigerungen doch publik, sorgt das meist für kleine, durchaus
verkaufsfördernde Skandälchen.
Das Nürnberger Auktionshaus Weidler hat in den letzten Jahren immer mal
wieder Gemälde von Hitler versteigert. Im Jahr 2009 brachten zwei Aquarelle
zusammen 32.000 Euro ein – ein Betrag, da sind sich Kunsthistoriker einig,
der viel zu hoch ist, für die unpräzise Malerei Hitlers.
Eines der weltweit größten Auktionshäuser für Militaria sitzt in München.
Es ist auf die Versteigerung militärhistorischer und geschichtlicher
Objekte spezialisiert: alte Waffen etwa, Orden, Geschütze, Abzeichen und,
wie alte Auktionskataloge zeigen, von Zeit zu Zeit auch Hitler-Gemälde.
Gegenüber der taz will die Sprecherin des Aktionshauses das nicht
bestätigen, um „nicht in eine falsche Ecke gestellt zu werden“.
Anfragen potenzieller Kunden hingegen beantworten die Mitarbeiter des
Auktionshauses schon offener. Ich biete das Bild unter falschem Namen an.
Die Geschichte: Ich habe es geerbt, habe keine Ahnung von Kunsthandel und
möchten es gewinnbringend verkaufen. Egal an wen. Scans von Bild,
Bormann-Brief und Rechnung anbei. „Originalität vorausgesetzt“, schreibt
ein Mitarbeiter auf die erste E-Mail-Anfrage, „können wir das Bild gern für
sie versteigern.“ In einem späteren Telefonat erzählt er, dass sie schon
öfter vermeintliche Hitler-Originale verkauft haben.
„Es gibt einen kleinen, aber wachsenden Sammlerkreis, der vor allem in den
USA und in Russland sitzt.“ Das seien aber keine Neonazis. „Die können sich
so was doch gar nicht leisten“, sagt der Mann später am Telefon und lacht.
Hitlers Malerei spreche eher das konservative Bildungsbürgertum an, die,
die „ihn als Künstler schätzen“. Das zeigt sich auch an den Summen, die
Käufer für die Bilder bezahlen. Für Elfleins Zeichnung, sagt der
Mitarbeiter, könne man mit einem vierstelligen oder sogar fünfstelligen
Erlös rechnen.
## Kunden im Ausland
Zu den Kunden des Auktionshauses gehören nicht nur Privatsammler, sondern
auch Museen im Ausland, erzählt der Mitarbeiter. Die Amerikaner hätten ein
anderes Verständnis von Geschichtsaufarbeitung als die Deutschen. Dort
würde solche Kunst als zeitgeschichtliches Dokument ausgestellt. In
hiesigen Museen sei das nicht möglich, bedauert der Mitarbeiter.
Ist es in der Tat nicht. Kunstmuseen wollen die Bilder nicht, Depots wie
das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Bundesarchiv oder die
Bayerische Staatsbibliothek besitzen nur Kopien. Auf Anfrage der taz sagt
eine Sprecherin des Deutschen Historischen Museums, dass sie ein
Originalgemälde von Hitler nicht in der Dauerausstellung zeigen würden.
Höchstens temporär, wenn der politische Kontext deutlich gemacht würde. Die
Staatsarchive würden das Bild von Elflein annehmen. Zahlen würden sie dafür
nicht.
Lisa Elflein wird nicht allein entscheiden, was mit dem Bild passiert. Sie
wird sich mit ihren Cousinen beraten. Das Geld reizt sie, sagt sie. Aber
nicht, wenn es von Neonazis kommt. Im Safe soll das Bild nicht mehr lange
liegen. Dann doch lieber in einem Museumskeller.
19 Jan 2014
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Hitler
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