| # taz.de -- Famoser Theaterabend in Wilhelmshaven: Der Traum vom Eigenheim wird… | |
| > Was passiert, wenn die Vorstellung vom Häuschen im Grünen das Leben | |
| > beherrscht? Ferdinand Schmalz spielt das in seinem Stück „Der Tempelherr“ | |
| > durch. | |
| Bild: Verweigert allen die Landlust-Idylle: Bühnenbild aus gezackten Schuppen,… | |
| Wilhlemshaven taz | Einer wie Heinar, der kann aus seiner Wohlstandsnarkose | |
| schon mal als lebendiges Symbol für aktuelle Eskapismustrends erwachen. Zu | |
| denen gehört auch die Mode, die Selbstverwirklichung [1][mit den Mitteln | |
| der Stadtflucht zu suchen]. Wie viele desillusionierte Bürgerkinder träumt | |
| der gestresste Lehrer Heina[2][r in seinem Sabbatical hübsch wald- und | |
| wiesenromantisch vom friedlichen Leben abseits des steinig urbanen Raumes]. | |
| Ein Eigenheim im Grünen soll gebaut und mit Do-it-yourself-Furor gestaltet | |
| werden. „Der Tempelherr“ hat der österreichische Autor Ferdinand Schmalz | |
| seine kauzig poetische Zeitgeistkritik-Komödie betitelt und als | |
| „Erbauungsstück“ charakterisiert. Nicht weil es moralisch erbaulich ist, | |
| wie „Nathan der Weise“ oder ein Tempelherr wie bei Lessing als edel | |
| werdender Kreuzritter auftritt, sondern weil sich alles um die „Erbauung“ | |
| von Heinars neuem Heim dreht. | |
| Das gerät zunehmend – zurück zu den Wurzeln der westlichen Kultur – zur | |
| Sakralanlage mit griechischen Säulen und Weihehallen. In ihr verschwindet | |
| der Bau- als Tempelherr schließlich. Geht er verloren? Verweht er in höhere | |
| Sphären? Jedenfalls gewinnt sein wahnwitziges Projekt hohe Medienpräsenz | |
| und eine große Fan-Gemeinde mit Sektencharakter. Ja, was ist dort | |
| geschehen? | |
| Erkundet wird das [3][in Wilhelmshaven] passenderweise in einem ehemaligen | |
| Baumarkt, jetzt „Provisorium 29“ genannt, in das mit spartanischer | |
| Bühnentechnik ein charmant schäbiges 400-Plätze-Theater errichtet wurde, | |
| weil das Haupthaus der Landesbühne Nord saniert wird. | |
| ## Geerdet in Gummistiefeln | |
| Aus jeweils eigener Perspektive umkreisen Heinars Freunde sein | |
| Verschwinden. Berichten rückblickend, interpretieren gegenwärtig, vermuten | |
| Utopisches. Gut geerdet fühlen sie sich, die Darsteller:innen in | |
| Gummistiefeln. Geben so auch die ordnungsliebenden Typen der „autochtonen | |
| Landbevölkerung“, die als Heinars Bauzaungäste grundsätzlich über die | |
| Kitschburgen der „Schönwetterlandbewohner“ lästert: „Wie Hundehaufen / | |
| scheißen sie uns ihre Häuser in die Gegend rein“. | |
| Heinars Arbeitseifer aber bewundern sie und sprechen dabei gern mal wie ein | |
| antiker Chor, tragen statt Masken aber nur Sonnenbrillen. Die Bühne | |
| verweigert allen die Landlust-Idylle. Ein paar gezackte Schuppen hat | |
| Ausstatterin Cornelia Brey auf die leere Spielfläche installiert, schick | |
| stehen sie dort herum, können mehrfarbig leuchten und auch blinken. | |
| So schön, dass die Regie sogar einmal alle Schauspieler:innen von der | |
| Bühne holt und der Installation ein Light-Show-Solo spendiert. Was | |
| geheimnisvoll wirkt, wie gemorste Nachrichten aus einer anderen Welt. | |
| Passend zu Heinar, den die Hinterbliebenen vor allem mit kryptischen | |
| Aussagen zitieren. Lebendig wird er also nur im Konjunktiv. | |
| Was den Häuslebauer angetrieben hat? Vielleicht erkannte er den hohlen | |
| Kitschcharakter des wahren, echten, schönen Lebens in der | |
| bremsenumschwärmten Natur und sah daraufhin seine Orientierungslosigkeit in | |
| seiner inneren Leere baden. Diagnose: Unbehaustes Denken in der | |
| Midlife-Crisis. Jedenfalls erklärte er sich zum „Bauherrn seiner selbst“, | |
| was laut Gattin Petra bedeutet, „erst sich selbst als Bauruine zu | |
| erkennen“. | |
| Die Ruinenmetapher wird bald auf ganz Europa mit all seinen gescheiterten | |
| Ideologien und verbrauchten Illusionen ausgedehnt, wenn es heißt, „aus den | |
| Ruinen, den Ruinen dieses Kontinents heraus müsse man sich selber neu | |
| erfinden“, also „mit eigner Kraft diese Ruinen dann zu Ende“ denken. Für | |
| Ursprungssucher und Neuanfangsmaurer Heinar „der Versuch, ein zentrales | |
| Geheimnis, / eine Unverfügbarkeit, ein Heiligtum zu schaffen, / von dem aus | |
| weitergebaut werden könne“. | |
| Das Leben ist und bleibt erbaulich, also eine Baustelle, was in diesem Fall | |
| allerdings die Petra zur Anklage schreiten lässt: Du „lässt mich allein da | |
| in der Rolle der besorgten Mutter, damit du hier dein Monument, dein scheiß | |
| Vermächtnis bauen kannst. Was du hier anlegst, ist ein Grab, ein Mausoleum. | |
| Nur dass wir uns, der Karl nicht, und ich genauso wenig, werden wir uns da | |
| reinlegen“. Karl ist beider Sohn. | |
| Entsprechend des fein sein Personal sezierenden Textes halten die fünf | |
| Schauspieler:innen mit abwesendem Lächeln oder ins Groteske | |
| karikierender Mimik ihre wichtigtuerisch konformistischen Figuren auf | |
| Abstand – besonders treffend wie Vollblutkomödiant Jeffrey von Laun den | |
| Besserwisser-Kumpel Thomas mit Mr.-Bean-Komik verlebendigt. Eine dezent | |
| vielschichtigere Charakterisierung bekommt nur Petra (Aida-Ira | |
| El-Eslambouly). Empfindlich, verunsichert, unprätentiös wirkt sie, auch | |
| mutig, wenn sie Heinars Freund Markus offensiv als Fluchthelfer aus ihrem | |
| Ehe-Elend angeht. | |
| Meist reiht sie sich aber mit den Kolleg:innen vorm Publikum auf wie | |
| fünf Entertainer:innen. Wenn zwei von ihnen dialogisieren, stehen die | |
| anderen unbeteiligt wie Salzsäulen da. Aber diese Statik schadet der | |
| Inszenierung nicht. „Der Tempelherr“ ist ein raffiniertes Sprachkunstwerk, | |
| das gehört, nicht munter entfesselt werden will. | |
| ## Spaß in eleganter Diktion | |
| Prima passt dazu Regisseur Jakob Arnold, der weniger ein szenischer | |
| Visionär denn genauer Arbeiter an den wohlfeil komponierten Worten ist. So | |
| sind die eigenwillig rhythmisierten Schmalz’schen Wortgirlanden nicht als | |
| große Anstrengung zu erleben, sondern als großer Spaß in fließend eleganter | |
| Diktion, die besonders dem Humor des Autors zugetan ist. | |
| Den er mit wortverrückten Reimen, Formulierungsknoten und -schleifen, ins | |
| Absurde kippenden Wiederholungen, Doppeldeutigkeiten sowie musikalisch | |
| getriebenen Satzverkürzungen in einem klangreich überdrehten Kunstidiom | |
| erzeugt. So ausgefeilt schräg, so gedrechselt natürlich. Famos! | |
| „Der Tempelherr“ von Ferdinand Schmalz, [4][Landesbühne Nord, Stadttheater | |
| Wilhelmshaven], Virchowstraße 44, nächste Aufführungen: 18. 3., 5. 4. und | |
| 5. 5., jeweils 20 Uhr | |
| 16 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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