# taz.de -- Bilanz der Ampel-Regierung: Das war die Ampel | |
> Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ist Geschichte. Eine gute oder eine | |
> schlechte Nachricht? Und woran ist die Koalition letztendlich | |
> gescheitert? | |
Bild: Eiseskälte im Schloss Bellevue, als Präsident Steinmeier Christian Lind… | |
Es hätte gut werden können. Die Idee der Ampel lautete: Ein Bündnis, wenn | |
vielleicht auch kein Projekt, so doch aber eine Koalition wird geschaffen | |
für einen sozial-ökologisch-liberalen Politikentwurf, gelenkt von | |
Aufbruchsgeist und Modernisierungswillen. Denn nach 16 Jahren unter Angela | |
Merkel, in denen das Prinzip Aufschub und Zeitgewinn regierte, muss ganz | |
viel passieren, am besten überall gleichzeitig. | |
Man teilte ein liberales Gesellschaftsverständnis und die These, dass im | |
Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität nicht nur Klimaschutz, | |
sondern auch genug Gewinnchancen für (hoffentlich, irgendwie) alle | |
steckten. Die Fotos der AmpelverhandlerInnen aus dem Herbst 2021 | |
vermittelten viel von alldem. Die vielfach gepriesene und aus Pressesicht | |
wirklich erstaunliche Vertraulichkeit der Koalitionsgespräche bezeugte | |
schnell wachsendes Vertrauen in der rot-grün-gelben Truppe. | |
Hat sich erledigt. Die [1][Ampelkoalition ist Geschichte], und nichts | |
deutet darauf hin, dass sie in absehbarer Zeit wiederkehren könnte. Zwar | |
hörten sich die schon in ihrer Inszenierung geschichtsbuchreifen Auftritte | |
am Mittwochabend von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian | |
Lindner (FDP) schwer danach an, als gebe es vor allem ein persönliches | |
Zerwürfnis zwischen diesen beiden. | |
Doch sind die gegenseitigen Vorwürfe der Charakterschwäche, die seither so | |
süffiges Schlagzeilenmaterial hergeben, sehr wohl Folge der | |
Strukturschwäche der Ampel-Idee: Sie brauchte Geld, viel Geld, um all das | |
anzuschieben, was sie anschieben wollte, und das sollte aus teils | |
umgewidmeten Nebenhaushalten – aus Coronatopf mach Klimatopf – kommen, die | |
nicht der Schuldenbremse im Grundgesetz unterworfen waren. Nachdem das | |
Bundesverfassungsgericht vor fast genau einem Jahr dieser großzügigen | |
Auslegung der grundgesetzlichen Haushaltsregeln jedoch den Garaus gemacht | |
hat, ging halt nichts mehr. | |
Eigentlich hätte das niemanden überraschen dürfen. Christian Lindner hatte | |
zum Start der Koalitionsverhandlungen im Oktober 2021 das Motto der FDP | |
ausgegeben, mit dem er dann auch sein Selbstverständnis als Finanzminister | |
verklebte: erstens keine Steuererhöhungen, zweitens Einhalten der | |
Schuldenbremse. Schon da hoben sich viele Augenbrauen: Das versprach | |
interessant zu werden, wie Lindners Gelöbnis sich mit dem Versprechen von | |
SPD und Grünen vereinbaren lassen würde, dass die Industrie die Kosten der | |
klimaneutralen Umrüstung mit Steuergeld bezahlt bekäme. | |
## Umbau der Energieversorgung war ein kolossaler Kraftakt | |
Zur Präsentation des Koalitionsvertrags Ende November 2021 wurden die | |
Fragen lauter, wie all die schönen Pläne von Bürgergeld über Bahn und | |
Digitalisierung bis eben Klima denn finanziert werden sollten. Doch erst | |
einmal sagte der Grüne Robert Habeck nur etwas schnippisch: „Wir wissen | |
genau, wie wir es bezahlen.“ Nicht umsonst war Olaf Scholz zuvor | |
Finanzminister gewesen. Das ausgetüftelte Konstrukt von Schattenhaushalten | |
und umgetauften Coronamitteln der neuen Regierung erkannte die Union | |
jedoch ganz richtig als Angriffsfläche. | |
Als sie im April 2022 ihre folgenschwere Klage wegen Verstoßes gegen die | |
Schuldenbremse beim Bundesverfassungsgericht einreichte, hatte sich der | |
politische Kosmos Europas jedoch komplett verschoben. Über Haushalt musste | |
sowieso noch einmal ganz anders gedacht werden – und jedenfalls nicht | |
kleinteilig. Am 24. Februar 2022 hatte Russland die Ukraine überfallen, | |
drei Tage später Scholz im Bundestag die „Zeitenwende“ ausgerufen. Das | |
100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr hatte er, immerhin, mit | |
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) abgesprochen. | |
Das Grauen des Krieges, die Ängste, die er auslöste, die von Mehrheiten | |
geteilte Einsicht, dass nun Aufrüstung und Wehrhaftigkeit wieder Thema sein | |
würden, auch die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge konnte die Textur | |
der politischen Gefühle in Deutschland nur verändern. Der Umbau der | |
Energieversorgung weg vom russischen Gas samt Ausgleichzahlungen für | |
Unternehmen und VerbraucherInnen war ein kolossaler Kraftakt. Es bleibt | |
eines der Rätsel der Ampel, warum sie so wenig davon profitieren konnte, | |
warum es ihr so wenig als Erfolg zugerechnet wurde, dass sie die enormen | |
innenpolitischen Herausforderungen durch den Ukrainekrieg fürs Erste | |
eigentlich ganz ordentlich bewältigte. | |
## Der Grundkonflikt jeder Klimapolitik | |
Doch vielleicht ist ein Krieg sowieso zu groß, verrückt zu vieles | |
gleichzeitig, als dass das System von Anspruch und Anerkennung in einer | |
Demokratie noch halbwegs berechenbar funktionieren könnte. Und sollte | |
jemand im Frühjahr 2023 gedacht haben, ‚Mensch, die Buden sind im Winter ja | |
gar nicht kalt geblieben, und die Inflation sinkt auch schon wieder‘, so | |
wird er sich daran jedenfalls nicht lange gefreut haben. Denn im Streit um | |
Habecks Heizungsgesetz brach der Grundkonflikt jeder Klimapolitik auf: Im | |
Prinzip sehen die meisten ihre Notwendigkeit ein, ernsthaft anfangen will | |
aber niemand. Jedenfalls nicht die HausbesitzerInnen. | |
Es ist wahrscheinlich müßig darüber nachzudenken, ob die | |
ImmobilieneigentümerInnen nur rechtzeitig von Wärmepumpen-Zuschüssen hätten | |
erfahren müssen. Das kommunikative Versagen der Grünen, die Häme der FDP | |
und die mangelnde Solidarität der SPD konnten von den fossil interessierten | |
Kreisen genutzt werden, um die Stimmung gegen die Pumpe, gegen Habeck, | |
Grüne, ja das ganze Klimabrimborium überhaupt zu drehen. | |
Wäre es nicht [2][die Wärmepumpe gewesen], hätte sich wahrscheinlich bald | |
etwas anderes geboten, um eine grundsätzliche Abwehr des Umstands zu | |
entzünden, dass Klimaschutz mehr als kosmetische Veränderungen im | |
Lebensstil verlangen könnte. Vielleicht ist es umgekehrt sogar eher | |
verwunderlich, dass in Deutschland noch eine ökologisch ambitionierte | |
Regierung an den Start gehen konnte, als der reaktionäre Backlash sich doch | |
längst in ganz Europa – und anderswo – ausbreitete. | |
## Die Schuldenbremse hat die Ampel gekillt | |
Jetzt sieht alles danach aus, als würde eine kommende Regierung, | |
voraussichtlich unter einem [3][Bundeskanzler Friedrich Merz], mindestens | |
in Teilen schon von dem antiliberalen, antiökologischen, antiemanzipativen, | |
rechtspopulistischen Sud getränkt. Zu riechen war er ja schon zuletzt in | |
der Ampel in der Debatte zur jüngsten Verschärfung der Asylgesetze. | |
Auch das Papier mit Vorschlägen, wodurch Olaf Scholz nun ganz am Ende | |
versuchen wollte, Christian Lindner vom Absprung abzuhalten, enthielt | |
fossile, überwunden geglaubte Elemente wie die Erdgasförderung in | |
Deutschland. Doch das wird Lindner schon alles gar nicht mehr gelesen | |
haben. Er hatte seinen Wahlkampfkatalog zur Stärkung des | |
Wirtschaftswachstums ja bereits präsentiert. Investitionen, wie sie Scholz | |
und auch Habeck verlangen, um den tatsächlich schwächelnden deutschen | |
Unternehmen zu helfen, lässt er mit Verweis auf die – genau: Schuldenbremse | |
nicht zu. | |
Die [4][Schuldenbremse hat die Ampel gekillt]. Natürlich brauchte es einen, | |
der sich daran festkettete, und das war Lindner. Doch sein mächtigstes | |
Blockadeinstrument hat ihm vor 15 Jahren eine eine weit über Union und SPD | |
hinausreichende große Koalition geschmiedet – zu einer Zeit, da sich das | |
Haushaltsgebaren einer schwäbischen Hausfrau als hinreichende | |
volkswirtschaftliche Vernunft verkaufen ließ. Das Gas kam schließlich | |
billig aus Russland, und für komplexere Lagen reichte die Fantasie nicht. | |
Darin steckt ironische Tragik. | |
## Verbesserung im Niedriglohnsektor | |
Auf der Strecke bleiben nun aber nicht nur wirtschaftspolitische Maßnahmen, | |
sondern viele Gesetze, die noch gebraucht worden wären: ein | |
Gewalthilfegesetz zum Schutz von Frauen oder die Verbesserungen der | |
psychotherapeutischen Versorgung. Dem „Rentenpaket“ braucht [5][niemand | |
hinterherzutrauern], es war in der Sache nie so wichtig, wie SPD und FDP es | |
gemacht haben. | |
Geschafft hat die Ampel eine anhaltende [6][Verbesserung im | |
Niedriglohnsektor]: Der gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro im Herbst 2022 | |
hat Millionen Menschen mehr Einkommen verschafft. Der Ausbau der | |
erneuerbaren Energien ist angelaufen und kann selbst von Friedrich Merz | |
nicht mehr rückgängig gemacht werden. Cannabis. Selbstbestimmung. Ob es die | |
Krankenhausreform noch durch den Bundesrat schafft, ist offen. Vollständige | |
Bilanzen der Ampel können erst in einigen Wochen geschrieben werden. | |
„Mehr Fortschritt wagen“, war der Koalitionsvertrag überschrieben. Die | |
Ampel war ein Wagnis, und das ist nun gescheitert – an den Altlasten der | |
Großen Koalition, an den Auswirkungen eines Krieges. Aber gescheitert ist | |
die Ampel eben auch an sich selbst – an dem Trugschluss, dass ein paar | |
kulturelle Gemeinsamkeiten den tiefen, den identitären Gegensatz in der | |
Finanz-, sprich Verteilungs- und Gerechtigkeitspolitik überwinden könnten. | |
9 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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