| # taz.de -- Millionen Beschäftigte mit Niedriglöhnen: Mindestlohn steigt – … | |
| > SPD-Chefin Saskia Esken will die Mindestlohnkommission reformieren, um zu | |
| > niedrige Festlegungen zu verhindern. Die Linke setzt auf eine | |
| > EU-Richtlinie. | |
| Bild: Hairdresser on fire: Der Mindestlohn soll steigen | |
| Berlin taz | Die gute Nachricht zuerst. Der Niedriglohnsektor in | |
| Deutschland schrumpft. Vor 20 Jahren arbeitete noch jeder Vierte zu | |
| miserablen Löhnen, derzeit hat nur noch jeder Sechste einen sehr schlecht | |
| bezahlten Job. Zum Niedriglohnsektor zählt, wer weniger als zwei Drittel | |
| des Durchschnittslohns bekommt. Das sind derzeit rund 13 Euro. | |
| Der wesentliche Grund für diese Entwicklung ist der Mindestlohn, der 2015 | |
| eingeführt wurde. Der Mindestlohn, von Unternehmern damals hartnäckig als | |
| Jobkiller bekämpft, ist ein Erfolgsmodell. Er hat effektiv Armut reduziert, | |
| [1][es gab keinen Arbeitsplatzverlust] und er stärkt die Binnennachfrage. | |
| Aber es gibt ein Problem: [2][Er ist 2024 mit 12,41 Euro] nach der | |
| Inflationsphase zu gering. „Die Erhöhung in diesem und im nächsten Jahr ist | |
| viel zu niedrig angesichts der Belastungen der Beschäftigten“, so | |
| SPD-Chefin Saskia Esken in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk | |
| Deutschland. Die Ampel hatte den Mindestlohn per politischem Entscheid auf | |
| 12 Euro angehoben, nun ist wieder die Mindestlohnkommission verantwortlich, | |
| in der Gewerkschaften, Arbeitgeber und eine neutrale Stimme sich einigen | |
| sollen. Bei der letzten Festlegung im Sommer 2023 kam es zum Eklat. Die | |
| Gewerkschaften protestierten, dass der Anstieg von 12 auf 12,82 Euro im | |
| nächsten Jahr viel zu bescheiden ausfalle, die Unternehmerverbände und die | |
| neutrale Vorsitzende setzten sich über das Gewerkschaftsvotum hinweg. | |
| Esken hat eine Idee, wie Fehlentscheidungen der Mindestlohnkommission | |
| künftig ausgeschlossen werden können. Es soll wie bei Tarifverhandlungen | |
| nur noch Konsensentscheidungen geben. „Man muss sich einigen, die eine | |
| Seite kann die andere nicht überstimmen“, so die SPD-Chefin. Allerdings | |
| bleiben Fragen: Was, wenn sich beide Seiten blockieren? | |
| ## Untauglicher Versuch | |
| Victor Perli, linker Bundestagsabgeordneter, hält Eskens Vorschlag für | |
| „einen verständlichen, aber untauglichen Versuch, die Mindestlohnkommission | |
| zu reparieren“. Die Kommission habe seit 2015 die Mindestlöhne immer | |
| niedriger als die Reallöhne taxiert, so Perli zur taz. Die Linkspartei | |
| setzt auf ein anderes Instrument: die EU. Denn Deutschland muss in diesem | |
| Jahr die EU-Mindestlohnrichtlinie umsetzen. Die schreibt vor, dass der | |
| Mindestlohn nicht unter 60 Prozent des mittleren Lohns liegen darf. Das | |
| wären in Deutschland derzeit 14,14 Euro. Die Mindestlohnkommission sei, so | |
| Perli, entbehrlich, wenn es eine automatische Anpassung an die Reallöhne | |
| gibt. | |
| Der Niedriglohnsektor ist zwar kleiner geworden. Aber es gibt immer | |
| [3][noch jede Menge schlecht bezahlter Jobs]. Die Linkspartei im Bundestag | |
| hat kürzlich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, wie viele | |
| Menschen weniger als 14 Euro in der Stunde verdienen. Die Antwort: Im | |
| Frühjahr 2023 bekamen 8,4 Millionen Menschen weniger als 14 Euro, das Gros | |
| (7,1 Millionen) in den westlichen Bundesländern. Und das Gros im | |
| Gastgewerbe. | |
| Perli hält diese Zahl für beunruhigend – gerade mit Blick auf die Rente. | |
| „Wer derzeit weniger als 14 Euro bekommt, wird im Alter arm sein.“ Erst ab | |
| dieser Höhe erreiche man nach 45 Arbeitsjahren eine Rente oberhalb der | |
| Grundsicherung im Alter. Die Linkspartei fordert die Erhöhung des | |
| Mindestlohns auf 15 Euro. Auch SPD-Linke und einzelne SPD-Landesverbände | |
| wie Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wollen 15 Euro. Doch beim | |
| Parteitag im Dezember 2023 scheiterte der Versuch des linken Flügels, die | |
| SPD auf 15 Euro zu verpflichten. | |
| Ein weiteres, oft zu wenig beachtetes Problem des Mindestlohns ist der | |
| massive Betrug. Viele Unternehmer sind äußerst erfinderisch, um den Lohn | |
| mit Tricks zu drücken. Und die Fälle nehmen zu. 2023 gab es weniger | |
| Kontrollen als 2022, trotzdem stieg die Zahl der Ermittlungsverfahren. Will | |
| sagen: Nach der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist, wie zu erwarten | |
| war, der Mindestlohnbetrug stark angestiegen. | |
| Was tun? Nötig, so Perli, seien mehr Kontrollen, um Betrug unattraktiv zu | |
| machen. Und es gibt ein Instrument, die beliebte, schwer nachweisbare | |
| Arbeitszeitverlängerung zu stoppen. „Wir brauchen die digitale | |
| Arbeitszeiterfassung“, so Perli. Dass die kommt, ist unwahrscheinlich. Die | |
| FDP blockiert in der Ampel. | |
| 29 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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