# taz.de -- Scholz’ Mindestlohn-Vorstoß: Überflüssige Mindestlohn-Kommissi… | |
> Die 14-Euro-Forderung des Kanzlers ist wohlfeil. Das Problem ist das | |
> Konstrukt der eigentlich beschließenden Kommission – es gäbe | |
> Alternativen. | |
Bild: Eine Kommission mit Konstruktionsfehler schlägt im vergangenen Jahr die … | |
Die Aufregung ist mal wieder groß: Olaf Scholz hat sich doch tatsächlich | |
dafür ausgesprochen, den Mindestlohn [1][zunächst auf 14 Euro und dann auf | |
15 Euro zu erhöhen]. Schade nur, dass der Bundeskanzler diese gute Idee mit | |
seiner Rumpelkoalition weder umsetzen kann noch will. Es geht ihm wohl eher | |
darum, seine schlechten Zustimmungswerte etwas zu verbessern. Trotzdem ist | |
der Aufschrei der üblichen Verdächtigen laut. Aber wenn jetzt [2][Union und | |
FDP im Gleichklang mit den Arbeitgeber:innenverbänden mal wieder | |
zetern], die Lohnfindung sei ausschließlich eine Sache der Sozialpartner, | |
in die sich die Politik nicht einmischen dürfe, dann ist das in gleich in | |
mehrfacher Hinsicht unehrlich. | |
Erstens verschweigen sie, warum die Große Koalition 2015 überhaupt einen | |
flächendeckend geltenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat. Das | |
beruhte auf der Erkenntnis, dass das deutsche Sozialpartnerschaftsmodell | |
ausgerechnet im untersten Lohnbereich nicht mehr funktioniert. Das liegt | |
vor allem in der Schwäche der Gewerkschaften hierzulande begründet. Denn in | |
Ländern mit starken Gewerkschaften braucht es keinen gesetzlich | |
festgelegten Mindestlohn. | |
Deswegen gibt es ihn beispielsweise [3][nicht in den nordischen Ländern, wo | |
an die 90 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen | |
arbeiten]. In Deutschland gilt das inzwischen nur noch für rund 50 Prozent | |
der Beschäftigten. Wo jedoch die Kraft der Arbeitnehmer:innen nicht | |
reicht, bleibt nichts anderes mehr, als dass der Gesetzgeber die | |
Arbeitgeber:innen dazu zwingt, keine Armutslöhne mehr zu zahlen. | |
## Rein politische Entscheidung | |
Zweitens beruhte die Höhe des Mindestlohns schon bei seiner Einführung auf | |
einer rein politischen Entscheidung – und zwar auf Kosten der betroffenen | |
Beschäftigten. Die damals beschlossenen 8,50 Euro waren eine willkürliche | |
Festlegung ohne schlüssige Begründung – außer der, dass damit die | |
Arbeitgeber:innen nicht allzu sehr verärgert wurden. Dabei erfüllte | |
diese Einstiegshöhe ein wichtiges Kriterium nicht: Sie war nicht | |
ausreichend, um eine Rente erreichen zu können, die über der Grundsicherung | |
im Alter liegt. Der von der Ampelkoalition nach der Bundestagswahl 2021 | |
beschlossene Sprung auf 12 Euro war das Eingeständnis, dass der | |
Ausgangspunkt zu niedrig festgelegt worden war. | |
Drittens hatte die sogenannte Mindestlohnkommission von Anfang an einen | |
schweren Konstruktionsfehler. Die paritätische Besetzung mit jeweils drei | |
Vertreter:innen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber:innen | |
klingt zwar sozialpartnerschaftlich, ist es aber de facto nicht. Denn | |
anders als in Tarifauseinandersetzungen fehlt der Gewerkschaftsseite | |
jegliches Druckmittel, während die Arbeitgeber:innenseite über eine | |
Blockademacht verfügt. | |
Das hat dazu geführt, dass die Gewerkschaftsvertreter:innen in der | |
Vergangenheit minimalen Erhöhungen zugestimmt haben, damit es überhaupt | |
eine Verbesserung des Mindestlohns gibt. Als im vergangenen Jahr | |
schließlich ihr Bauchgrimmen zu groß wurde, wurden sie einfach von den | |
Arbeitgeber:innen mit Hilfe der formal unabhängigen | |
Kommissionspräsidentin überstimmt. Das Ergebnis war eine empörend niedrige | |
Erhöhung um jeweils 41 Cent in diesem und im kommenden Jahr. | |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hätte diesen skandalösen | |
Kommissionsvorschlag nie und nimmer akzeptieren dürfen. | |
## Grundproblem bleibt | |
Genau das hat der Sozialdemokrat Heil jedoch getan. Deswegen hat es auch | |
etwas Wohlfeiles, wenn sich Scholz jetzt den Forderungen von | |
Gewerkschaften, Linkspartei, Grünen und aus den eigenen Reihen nach einer | |
deutlich stärkeren Anhebung anschließt. Das macht es noch nicht falsch. An | |
das Grundproblem wagt er sich allerdings nicht. „Wenn Politik und | |
Gewerkschaften weiter die Verhandlungen zum Mindestlohn in der Presse | |
führen, dann kann man die Mindestlohnkommission auch gleich auflösen“, hat | |
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger gesagt. Da hat er ausnahmsweise recht: | |
Die Mindestlohnkommission sollte aufgelöst werden. | |
Stattdessen würden sich zwei Alternativen anbieten. Eine Möglichkeit wäre, | |
einfach den gleichen Berechnungsmechanismus anzuwenden wie bei der Erhöhung | |
der Abgeordnetendiäten. Deren Grundlage ist die durchschnittliche | |
Lohnentwicklung, was den Abgeordneten in diesem Jahr 6 Prozent mehr | |
bescheren wird. Warum sollte das nicht auch für Malocher:innen mit | |
Mindestlohn gelten? | |
Eine andere Möglichkeit bestünde in der Umsetzung der | |
EU-Mindestlohnrichtlinie. Demnach gelten Mindestlöhne als angemessen, wenn | |
sie mindestens 60 Prozent des mittleren gesamtwirtschaftlichen Lohns von | |
Vollzeitbeschäftigten entsprechen. Das wärens übrigens aktuell knapp über | |
14 Euro, im kommenden Jahr um die 15 Euro. Also ganz, wie es Scholz | |
fordert, nur leider nicht umsetzt. | |
15 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /15-Euro-Mindestlohn/!6010829 | |
[2] /Debatte-um-Mindestlohnerhoehung/!6007755 | |
[3] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-schweden-nur-bedingt-vorbildlich… | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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