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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Süßes oder revolutionäre Rache
> Halloween, alles Kommerz? Quatsch. Es ist ein antikapitalistisches Fest,
> bei dem es darum geht, die Verhältnisse zum tanzen zu bringen. Die
> Termine.
Bild: Gekommen, um von den Besitzenden zu nehmen: Eine vermummte Gruppe junger …
Vermummte Gangs ziehen durch die Viertel, um Reiche zu enteignen, unter
Androhung von revolutionärer Rache, falls das verweigert wird: Ganz genau,
es ist wieder Halloween, eines der antikapitalistischsten Feste des Jahres,
das völlig ohne Grund den Ruf als US-amerikanisiertes Kommerzfest besitzt.
Die Kommerzialisierung von Halloween steht viel mehr in einer verzweifelten
Tradition der europäischen Mächtigen, sich diese aufrührerische
Feierlichkeit anzueignen.
Weitgehend unbekannt ist Halloween's Ursprung im keltischen Fest Samhain,
dass die Grenze zwischen Sommer und Winter markierte. Samhain war aber auch
eine Grenzüberschreitung zwischen den Welten, wo sich die Geister unter die
Lebenden mischten. Seit es die christliche Kirche gibt, hassten die Pfaffen
die beim Feiern von Samhain gelebte Aneignung der Angst vor dem Tod, sie
fürchteten sich vor dem Protest gegen das Stigma des Unbekannten – weil
genau diese Angst die Macht der Kirche zementierte.
Seither wurden die Ursprünge von Halloween mit einer Vielzahl von
rebellischen Traditionen verknüpft. Kein Grund also, als Linke diese Nacht
nicht zu zelebrieren. In der Potse (31. 10., Columbiadamm 10, 18 Uhr)
findet etwa ein [1][Halloween Punkrock Tresen] statt, um 20 Uhr gibt es
auch einen Horrorfilm zu sehen. Im ZGK gibt es ein [2][Halloween Special
mit Spooky Kneipenquiz] (31. 10., Scharnweberstr. 38 20 Uhr). Und am
Freitag (1. 11.) findet die Soli-Kostümparty [3][„Frankenstein statt von
der Leyen“] in der Zwille statt (TU Berlin, Fasanenstr., 19:30 Uhr).
## Keine mehr!
Doch dem Geist von Halloween wird nur gerecht, wer auch die politischen
Verhältnisse zum Tanzen bringt. Denn es ist kein Zufall, dass bis heute
Hexenverkleidungen ein beliebtes Halloween-Kostüm sind. Im Mittelalter als
„Hexen“ verfolgt und getötet wurden vor allem unabhängige Frauen, die sich
nicht patriarchalen und anderen gesellschaftlichen Normen unterwerfen
wollten. Kein Wunder, dass sich feministische Bewegungen heute wieder die
Symbolik der Hexe als Zeichen des Widerstandes aneignen.
Denn der Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen* ist meilenweit davon
entfernt, vorbei zu sein. Laut dem aktuellen [4][Lagebild zur häuslichen
Gewalt des Bundeskriminalamts], waren etwa 2023 167.865 Menschen in
Deutschland von Partnerschaftsgewalt betroffen – wobei 79,2 Prozent der
Opfer Frauen* und 77,6 Prozent der Täter Männer waren. Etwa jeden zweiten
Tag – 155 Mal ist das 2023 passiert – stirbt in Deutschland eine Frau durch
die Hand ihres:r (ehemaligen) Partner:in, wobei gendern eigentlich unnötig
ist: Der überragende Anteil der Täter ist männlich.
Um der weltweiten patriarchalen Gewalt gegen Frauen, nicht-binäre, inter,
trans und agender Personen zu gedenken, veranstaltet unter anderem das
[5][Netzwerk gegen Femizide] am Widerstandsplatz (bürgerlicher Name:
Nettelbeckplatz) ein Gedenken (Samstag, 2. 11.). Ab 15 Uhr weben Flinta*s
gemeinsam eine große rote Decke, ein Zeichen gegen Feminizide der
[6][Colectiva Hilos aus Mexiko]. Ab 16 Uhr beginnt das [7][All-Gender
Gedenken] an alle Feminizide, Transizide und feminizidalen Suizide, die
2024 nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind oder in den Statistiken
unsichtbar bleiben. Um das Mitbringen von Kerzen wird gebeten.
Am Freitag tritt zudem – endlich – das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft.
Leider sehen das einige trans-ausschließende „Feministinnen“ als Affront
und demonstrieren gegen das Gesetz – wogegen ein Gegenprotest im
Spreebogenpark stattfindet (12 Uhr). Das Bündnis Selbstbestimmung ruft
zudem zu einer [8][parodischen Militärparade] auf, um gegen eine versteckte
Falle im Selbstbestimmungsgesetz zu protestieren, laut dem im Kriegsfall
manche trans Frauen [9][zum „Dienst mit der Waffe“ verpflichtet werden
können] (Freitag, 1. 11., Brandenburger Tor, 15 Uhr).
## „Liebe und Kraft, in Untergrund und Knast“
Halloween ist auch ein Fest, an dem soziale Hierarchien auf den Kopf
gestellt werden. Verkleidung und Maskierung können als Verschleierung der
Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen Herrschenden und Beherrschten
gelesen werden. Soziale Rollen und Machtverhältnisse werden auf den Kopf
gestellt und verspottet. Meistens bleibt diese Rebellion allerdings
symbolisch, wird höchstens angedeutet, statt tatsächlich ausgelebt.
Dabei wäre es höchste Zeit, die Verhältnisse mal wirklich vom Kopf auf die
Füße zu stellen, wie es Marx mal formuliert hat. Beispiel Antifaschismus:
Nachdem der Antifaschist [10][Thomas J., Szenename „Nanuk“, vor einer Woche
verhaftet wurde], sitzt er in der JVA Moabit ein. Nanuk soll zum Kontext um
Lina E. gehören und an Überfällen auf Nazis beteiligt gewesen sein. Doch
statt das regulär als Körperverletzung zu ahnden, werden Antifas zur
staatsbedrohenden Gefahr emporstilisiert – während den Faschist:innen
weiter Rosen auf dem Weg zur Macht gestreut werden.
Die Menschenfeinde sitzen im Parlament – und die Antifas im Knast. Um gegen
diese Rollenverteilung zu protesieren, versammeln sich Antifas am Samstag
(2. 11.) um 17 Uhr vor der JVA Moabit (Alt-Moabit/Rathenower
Str./Paulstr.), wo Nanuk einsitzt. Ziel sei es, ein „kraftvolles Zeichen
der Solidarität“ an alle inhaftierten Antifas zu setzen, auch um der
eigenen Ohnmacht kollektiv zu entgegnen, so [11][der Aufruf]. Der Impuls
der Rebellion gegen die vom Staatsapparat zementierten Rollen dürfte da
wohl auch zu spüren sein.
## Süßes oder Umverteilung
Und natürlich: Halloween ist ein antikapitalistisches Fest, bei dem eine
sozial fast völlig machtlose Gruppe (die Kinder) sich unter Androhung von
Strafen aneignen, was ihnen sonst verwehrt wird. Vielleicht ist diese
Tradition eine Art spielerische Verarbeitung der Realität, in der die
Enteignung tatsächlich täglich stattfindet: Nur dass es die Reichen sind,
die den Armen die Früchte ihrer Arbeitskraft nehmen. Was an Halloween
angedeutet wird, passiert im brutalen Joch der Lohnarbeit tagtäglich.
Die kapitalistische Psychose liegt darin, dass viele Leute diese Realität
nicht mehr sehen, sondern einen Hass schieben auf diejenigen, die aus dem
Hamsterrad herausgefallen sind und nun vom Staat als proletarische
Reservearmee gehalten werden. „Bürgergeld“ wird dieses Am-Leben-Halten
gönnerisch genannt, als handle es sich um einen benovelenten Akt und nicht
um ein paar Krümel, die auch noch den produktiven Zweck erfüllen, dass
Arbeitgeber mit Arbeitslosigkeit drohen können, um Lohnforderungen gering
zu halten.
Um sich über Erfahrungen mit dem Bürgergeld auszutauschen, findet am
Sonntag (3. 11., 14:30 Uhr) in der Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz
[12][ein Austausch] statt. Organisiert wird dieser von
Herausgeber:innen des Buches „[13][KlassenLos. Sozialer Widerstand von
Hartz IV bis zu den Teuerungsprotesten]“. Wer anschließend Lust verspürt,
den Verhältnissen nicht nur spielerisch Feuer unter'm Arsch zu machen, kann
noch bei der [14][Offenen Versammlung „Der Preis ist heiß“] vorbeischauen,
wo im zweiwöchentlichen Turnus die soziale Revolution geplant wird (3. 11.,
New Yorck im Bethanien, Mariannenplatz 2A, 15 Uhr).
30 Oct 2024
## LINKS
[1] https://stressfaktor.squat.net/node/308646
[2] https://stressfaktor.squat.net/node/306252
[3] https://stressfaktor.squat.net/node/308718
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/haeusliche…
[5] https://www.instagram.com/netzwerkgegenfeminizide/
[6] https://www.instagram.com/colectivahilos/
[7] https://asanb.noblogs.org/?event=feminizid-gedenken
[8] https://www.instagram.com/p/DBeJ1znN6YI/?img_index=1
[9] /Neues-Selbstbestimmungsgesetz/!5937342
[10] /Gesuchter-Autonomer/!6044669
[11] https://kontrapolis.info/14204/
[12] https://stressfaktor.squat.net/node/308641
[13] https://diebuchmacherei.de/produkt/klassenlos-sozialer-widerstand-von-hart…
[14] https://stressfaktor.squat.net/node/308223
## AUTOREN
Timm Kühn
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