# taz.de -- Autor über slowakische Regierung: „Rechtspopulisten regieren las… | |
> Der Schriftsteller Michal Hvorecký spricht über Rechtsruck und | |
> kulturpolitischen Umbau in der Slowakei. Ein mahnendes Beispiel auch für | |
> Deutschland. | |
Bild: Protest gegen die rechte Regierung am Freiheitsplatz in Bratislava, März… | |
taz: Herr Hvorecký, in der Slowakei findet gerade ein politischer und | |
kulturpolitischer Umbau auf Betreiben der Regierung statt. Welche | |
Entwicklungen halten Sie für besonders besorgniserregend? | |
Michal Hvorecký: In der Slowakei haben sich die sogenannten | |
Sozialdemokraten (Hlas) und die Partei von Robert Fico (Smer) 2023 dazu | |
entschieden, mit der rechtsextremen Slowakischen Nationalpartei (SNS) zu | |
koalieren. Mir war von Anfang an klar, dass es eine Illusion ist, zu | |
glauben, die Rechtsextremen würden sich dann entradikalisieren oder selbst | |
entzaubern, wenn sie in der Regierung sind. Und ich habe recht behalten. | |
Inzwischen hat das Land einen massiven Rechtsruck erlebt, die Bilanz ist | |
eine Katastrophe. | |
taz: Worin besteht diese Katastrophe für Sie? | |
Hvorecký: Der größte Skandal liegt in den Nominierungen von Tomáš Taraba | |
zum Umweltminister und von [1][Martina Šimkovičová] zur Kulturministerin. | |
Taraba stammt aus dem Umfeld der völkischen ĽSNS mit Wurzeln in der | |
Neonaziszene, er war früher Vorsitzender der rechtsextremen christlichen | |
Partei Život. Die Kulturministerin ist eine ehemalige TV-Moderatorin, sie | |
wurde von ihrem früheren Arbeitgeber, einem Privatsender, wegen | |
rassistischer Kommentare während der Flüchtlingskrise 2015 entlassen. | |
Seither hat sie Fake News verbreitet, sie ist eine Art rechte Influencerin, | |
mit ihren menschenfeindlichen, homophoben und rassistischen Web-Videos hat | |
sie Hunderttausende erreicht. Ihr Weltbild ist völkisch, und es hat sich | |
nicht verändert, seit sie im Amt ist. Sie wird übrigens auch von der AfD | |
unterstützt. Über die Wahlliste der SNS ist Šimkovičová in die Regierung | |
und ins Ministeramt gekommen, sie ist kein Parteimitglied. Das ist in der | |
Slowakei leider möglich. Vertreter dieser Partei sind hauptsächlich | |
Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Klimawandelleugner und Impfgegner. | |
taz: Šimkovičová hat innerhalb eines Jahres zahlreiche Intendanten und | |
Führungskräfte entlassen. | |
Hvorecký: Ja, sie hat unter anderem den Generaldirektor des Slowakischen | |
Nationaltheaters, [2][Matej Drlička, entlassen.] Auch die Leitungen der | |
Kunsthalle Bratislava, des Kinderkulturzentrums Bibiana, der Slowakischen | |
Nationalbibliothek und der Nationalgalerie hat sie ausgetauscht. Und leider | |
müssen wir mit weiteren Entlassungen rechnen. Der neue Chef der | |
Nationalgalerie, Anton Bittner, ist Finanzmanager, der von sich sagt, er | |
habe keine Ahnung von Kunst. Das genannte Kinderkulturzentrum leitet nun | |
Petra Flachová – auch sie hat keine kulturellen Kenntnisse, sie war aber | |
eine Nachbarin von Šimkovičová, was als Qualifikation offenbar genügt. | |
Kultur soll für Šimkovičová ohnehin bloß Unterhaltung sein und möglichst | |
nichts mit Politik zu tun haben. | |
taz: Das Kulturministerium hat auch die öffentlich-rechtlichen Sender nach | |
polnischem und ungarischem Vorbild umgebaut. | |
Hvorecký: Ja, die öffentlich-rechtlichen Medien sind dem Kulturministerium | |
unterstellt, Šimkovičová hat da vom ersten Tag einen klaren Plan verfolgt. | |
Fernseh- und Radiosender begannen unter neuen Namen, die Ministerin hat | |
selbstverständlich behauptet, sie würden nun ausgewogener und kritischer | |
berichten. Tatsächlich sind es jetzt mehr oder weniger Propagandasender der | |
Regierung. Es werden zum Beispiel ellenlange Monologe des Premierministers | |
ausgestrahlt, ohne kritische Fragen des Moderators. | |
taz: Sie kämpfen dafür, dass Šimkovičová abgesetzt wird. Es gab eine | |
Petition mit mehr als 180.000 Unterschriften, die ihre Absetzung gefordert | |
hat. | |
Hvorecký: Es gab zwei Petitionen, die zweite habe ich mitinitiiert. Wir | |
haben zweimal rund 190.000 Unterschriften gesammelt. Es gab mehrere | |
Demonstrationen, einen Streik in der Kulturszene. Aber sie ist immer noch | |
im Amt. | |
taz: Zuletzt wollte die Koalition auch die Steuer auf Bücher erhöhen, von | |
10 auf 23 Prozent. | |
Hvorecký: Ja, aber sie haben das Vorhaben zurückgezogen. Es gab zu viele | |
Proteste von Verlagen und Literaturinstitutionen. Es lohnt sich also, zu | |
protestieren! | |
taz: Die Kulturministerin hat Sie wegen Verleumdung angezeigt, weil Sie sie | |
eine Neofaschistin genannt haben. Sorgen Sie sich um Ihre eigene Zukunft in | |
der Slowakei? | |
Hvorecký: So weit ist es noch nicht. In dem Fall geht es um einen Text von | |
mir, der bereits bei der Gründung der Koalition vor einem Jahr erschienen | |
ist. Ich habe darin vor der Zusammenarbeit mit Neofaschisten auf | |
Regierungsebene gewarnt. Die Kulturministerin fordert eine Haftstrafe von | |
bis zu fünf Jahren für mich. Das ist absurd. Wenn ich sie eine | |
Neofaschistin nenne, dann es ist es kein Schimpfwort, sondern es beschreibt | |
ihre politischen Ansichten und ihr Weltbild. Sie hat zum Beispiel davon | |
gesprochen, dass die „LGBT-Propaganda“ für „das Aussterben der weißen | |
Rasse“ verantwortlich sei. Grundsätzlich gibt es jetzt viele Versuche, | |
kritische Stimmen und kritische Journalisten einzuschüchtern. Auch | |
Premierminister Fico hat eine Anzeige gegen einen Journalisten gestellt. | |
Ich bin da nicht der einzige Fall. | |
taz: Es gab nun schon viele Protestaktionen, Demonstrationen mit Tausenden | |
Menschen in der Hauptstadt Bratislava. Glauben Sie, Sie können diesen | |
Widerstand aufrechterhalten? | |
Hvorecký: Ich hoffe, dass es gelingen kann. Aber man sollte nicht allzu | |
hohe Erwartungen haben, weil Robert Fico seine vierte Amtszeit meines | |
Erachtens vor allem als Rache an seinen Gegnern versteht. Fico war 2018 | |
nach dem Auftragsmord an dem Investigativ-Journalisten Ján Kuciak und | |
seiner Verlobten eigentlich politisch am Ende. Seit er wieder an der Macht | |
ist, regiert er mit harter Hand, daran hat auch das Attentat auf ihn nichts | |
geändert. Trotzdem: Seine Partei und die sogenannten Sozialdemokraten | |
spüren wohl eigentlich schon, dass es mit diesem Umweltminister und dieser | |
Kulturministerin so nicht weitergeht. Ihr Koalitionspartner von der | |
Slowakischen Nationalpartei liegt in Umfragen nur noch bei 3 Prozent, sie | |
sind extrem unpopulär. | |
taz: Also haben Sie noch Hoffnung, dass die Koalition zerbricht? | |
Hvorecký: Eine kleine Hoffnung besteht, dass sie auseinanderbrechen könnte. | |
Es gab jetzt schon Abstimmungen in der Koalition, die knapper waren. Aber | |
Fico ist ein Machtmensch, er wird alles dafür tun, dass die Stabilität | |
erhalten bleibt. | |
taz: Gäbe es denn mögliche progressive Bündnisse? | |
Hvorecký: Das Problem ist, dass die Slowakei kaum noch proeuropäische, | |
demokratische, linke Parteien hat. Natürlich gibt es noch die Opposition, | |
die Progresívne Slovensko („Progressive Slowakei“). Aber sie haben Angst, | |
sich als links zu bezeichnen. In den ehemaligen Ostblockstaaten ist das ein | |
Problem, weil viele Menschen noch die linksautoritäre Zeit erlebt haben und | |
die Bezeichnung „links“ somit vorbelastet ist. Fico dagegen hätte als | |
möglichen Koalitionspartner immer noch die Partei Hnutie Republika | |
(Republika-Bewegung), die aus der Neonaziszene kommt und gerade in Umfragen | |
bei fast 10 Prozent steht – sie in der Regierung zu haben, wäre auch eine | |
Horrorvorstellung. | |
taz: Sind Sie enttäuscht von den ausbleibenden Reaktionen seitens der EU | |
auf den Rechtsruck in der Slowakei? | |
Hvorecký: Ich bin ein bisschen enttäuscht, wie wenig die Europäische | |
Kommission auf diese Situation reagiert, auch auf die Justizreform zum | |
Beispiel, auf den Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Positiv überrascht aber | |
bin ich von der großen Welle der Solidarität aus der europäischen | |
Kulturszene. Jahrzehntelang blieb die slowakische Kultur eher im Schatten | |
und wurde wenig beachtet, nun nimmt man sie wahr. Gerade aus dem | |
Nachbarland Österreich, wo es mit dem [3][Wahlsieg der FPÖ] ähnliche | |
Tendenzen gibt, ist die Solidarität sehr groß; aber auch aus Deutschland | |
oder Frankreich. | |
taz: Kann die Slowakei ein mahnendes Beispiel für andere Länder wie | |
Deutschland sein? | |
Hvorecký: Auf jeden Fall. Es zeigt, was es bedeutet, wenn man mit diesen | |
Menschen koaliert. Sie werden nicht plötzlich milder oder versuchen, | |
tatsächlich Probleme zu lösen. Viele in den europäischen Ländern sagen | |
jetzt: Lasst die Rechtspopulisten doch regieren, damit die Leute sehen, | |
dass sie es nicht können. Ich sage: Bitte lieber nicht. | |
taz: In der Kultursparte wird in Deutschland im öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunk massiv gekürzt. Wird der kulturelle Sektor als politisches Feld | |
unterschätzt? | |
Hvorecký: Nicht nur als politisches Feld, sondern überhaupt. Gerade in den | |
Zeiten multipler Krisen sollten wir in Kultur und Bildung investieren, sie | |
als Prioritäten betrachten. Wir tun in Europa viel zu wenig, um Tendenzen | |
zum Autoritären zu stoppen. Ich bin in der Diktatur groß geworden. Ich war | |
13, als die demokratische Wende und die Öffnung kamen. Ich möchte, dass | |
meine Kinder auch demokratisch leben dürfen. Insofern ist es auch kein | |
gutes Zeichen, wenn eine Mitte-links-Regierung in Deutschland bei Kultur | |
und Bildung drastisch spart. Denn Kultur ist eine Option, die Demokratie zu | |
stärken. | |
29 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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