# taz.de -- Kulturabbau in der Slowakei: „Sie will alles vernichten“ | |
> Die rechtspopulistische Ministerin Martina Šimkovičová demontiert in der | |
> Slowakei den Kulturbetrieb. Es zeigt, was auch in Deutschland droht. | |
Bild: Kulturministerin Martina Šimkovičová führt einen Feldzug gegen den un… | |
Bratislava taz | Im Goethe-Institut von Bratislava sitzt ein schmaler Mann | |
mit runder Brille an einem Schreibtisch. Eine der mächtigsten Frauen des | |
Landes würde ihn lieber im Gefängnis sitzen sehen. Denn nach dem | |
Amtsantritt der slowakischen [1][Kulturministerin Martina Šimkovičová] vor | |
gut einem Jahr veröffentlichte der Autor und Publizist Michal Hvorecký | |
einen Artikel. Er nannte die Politikerin eine Neofaschistin und warnte vor | |
den Schäden, die die Rechtspopulistin im Kulturbetrieb anrichten könne. In | |
einem Facebookvideo wiederholte er die Warnung. Das Video ging viral, kurz | |
darauf zeigte sie ihn an. Ihm drohen fünf Jahre Haft. | |
Heute ist Hvorecký überzeugt, dass seine damaligen Warnungen harmlos waren | |
im Vergleich zur aktuellen Realität. „Damals war alles noch im | |
Anfangsstadium, aber ich kannte Šimkovičovás Weltbild und wusste, was von | |
ihr zu erwarten ist“, sagt er. „Es ist viel schlimmer gekommen.“ | |
Die Slowakei erlebt turbulente Zeiten. Im Frühjahr erschütterte ein | |
[2][Anschlag auf Premierminister Robert Fico] das Land. Kulturministerin | |
Šimkovičová nutzte die Tat, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk | |
aufzulösen und durch ein Staatsmedium zu ersetzen, dessen Vorsitzender vom | |
Parlament benannt wird. Und kritische Journalist*innen einzuschüchtern, | |
die sie für die „schlechte Stimmung“ und das Attentat verantwortlich | |
machte. Šimkovičová, die auf der Wahlliste der rechtspopulistischen Partei | |
SNS stand, die bei den letzten Wahlen 5,6 Prozent bekam, demontiert seither | |
den Kulturbetrieb: Sie entließ die Leitungen des Nationaltheaters und der | |
Nationalgalerie und tauschte etwa 40 Prozent der Belegschaft im | |
Kulturministerium aus. Manche nennen sie „Ministerka nekultúry“, Ministerin | |
der Unkultur. | |
Im [3][slowakischen Kulturbetrieb herrschen seither Chaos und Angst]. Die | |
Zerstörungswut von Martina Šimkovičová lässt erahnen, was auch in | |
Deutschland drohen könnte, wenn Rechtspopulist*innen über | |
demokratische Wahlen an die Macht gelangen. Wenn sich ihnen die Möglichkeit | |
bietet, Staat und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen umzubauen – und | |
welche Folgen das für die Kultur hätte. Nirgendwo sonst in Europa lässt | |
sich das derzeit so gut beobachten wie in der Slowakei, weil der Umbau so | |
enorm schnell geht. | |
## „Einfach nur absurd“ | |
Barbora Šajgalíkovás Büro liegt im sechsten Stock des Nationaltheaters in | |
Bratislava, sie ist Direktorin für Kommunikation. Sie erzählt, dass „der | |
Matej“ sie angerufen habe, als ihn im August ein Schicksal ereilte, das | |
mittlerweile viele in der Branche kennen. Matej Drlička, der ehemalige | |
Direktor des Nationaltheaters, war krankgeschrieben, als eine Mitarbeiterin | |
des Kulturministeriums in Begleitung von zwei Bodyguards an seine Haustür | |
klopfte. Er öffnete im Bademantel und sie überreichte ihm die Kündigung. | |
„Was hier passiert, ist einfach nur absurd“, sagt Šajgalíková. | |
In ihrem Büro hängen Plakate vergangener Theaterveranstaltungen. Hunderte | |
davon hat sie gestaltet, doch inzwischen wartet sie nur noch auf die | |
Kündigung – oder auf den Mut, das Land zu verlassen. Vielleicht zurück nach | |
Wien, wo sie studiert hat. Hier in der Slowakei sieht sie jedenfalls keine | |
Zukunft. | |
## Ersatz findet sich schwer | |
Wer massenhaft Leute entlässt, muss auch neu besetzen. Aber Ersatz findet | |
sich nur schwer. Kaum jemand in der Branche nimmt ein Jobangebot der | |
Kulturministerin an. „Und die, die das annehmen, haben kein Rückgrat“, sagt | |
Šajgalíková. | |
Die neuen Führungskräfte sind unerfahren: Die Nationalgalerie wird zunächst | |
von einem Geschäftsmann geführt, der offen zugibt, nichts von Kunst zu | |
verstehen. Die Leitung eines Kindermuseums wurde an Šimkovičovás Nachbarin | |
vergeben, deren einzige Qualifikation offenbar darin besteht, dass sie | |
Mutter zweier Kinder ist. | |
## Lähmende Unsicherheit und Drohungen | |
Die slowakische Tageszeitung Denník N berichtet von massiven Problemen im | |
Kulturministerium seit Šimkovičovás Amtsantritt. Angst, lähmende | |
Unsicherheit, impulsive Entscheidungen und ständige Drohungen prägten das | |
Klima. Ganze Abteilungen wurden aufgelöst. Ein Beispiel für die | |
dysfunktionale Führung war der kurzzeitige Staatssekretär Štefan Kuffa: | |
Nach seinem Amtsantritt ließ er sein Büro und das Vorzimmer weihen – eine | |
amüsante Anekdote auf den Fluren des Ministeriums. Weitaus ernster waren | |
seine abfälligen Bemerkungen gegenüber Mitarbeiterinnen, die Hosen trugen, | |
sowie seine Aussage, dass Frauen für bestimmte Positionen ungeeignet seien. | |
Er musste inzwischen gehen, aber das Problem bleibt: Die Expertise der | |
Beamten wird ignoriert, Gesetzesentwürfe zu Kulturthemen werden ohne das | |
Ministerium direkt ins Parlament eingebracht. Für Barbora Šajgalíková fühlt | |
sich die Situation an wie ein Auto, das ausgekuppelt wurde und sich nicht | |
mehr steuern lässt. „Ich glaube, sie will alles vernichten.“ | |
## „Sie fühlte sich verraten“ | |
Warum arbeitet Šimkovičová gegen die Kulturinstitutionen statt für sie? Was | |
treibt sie an? Die taz hätte diese Fragen der Kulturministerin gerne | |
gestellt. Sie ließ mehrere Anfragen unbeantwortet. | |
Fragt man dagegen Tomáš Kriššák, einen Experten für Desinformation, erzä… | |
er die Geschichte so: Fast zwei Jahrzehnte lang kannten die Menschen in der | |
Slowakei Martina Šimkovičová als Moderatorin aus dem Fernsehen. Als der | |
Hass gegen [4][Geflüchtete] im Jahr 2015 seinen Höhepunkt erreichte, teilte | |
sie Artikel in den sozialen Medien und schrieb dazu: „Sie kommen. Bereitet | |
eine Unterkunft vor, Vollpension, Taschengeld und macht die kleinen Mädchen | |
frisch, damit sie sich nicht mit uns langweilen.“ Der TV-Sender feuerte sie | |
daraufhin. „Ich glaube, sie fühlte sich verraten“, sagt Kriššák. „Sie | |
suchte eine neue Gemeinschaft und fand sie in der Verschwörungsszene.“ | |
Šimkovičová fing an, über die „Bedrohung durch Chemtrails“ zu sprechen … | |
teilte die Falschmeldung, die EU wolle Toilettenpapier verbieten und durch | |
Stroh ersetzen. | |
## Tief verstrickt mit Kriminellen | |
Wer Martina Šimkovičovás politischen Aufstieg verstehen will, kommt auch an | |
Premierminister Robert Fico nicht vorbei. Im Jahr 2018, während seiner | |
dritten Amtszeit, [5][wurde der Investigativjournalist Ján Kuciak | |
ermordet]. Kuciak hatte aufgedeckt, wie tief die slowakische Polizei, das | |
Justizsystem und die Politiker mit Kriminellen, einschließlich der | |
italienischen Mafia, verstrickt waren. Zehntausende slowakische Bürger auf | |
der Straße zwangen Fico zum Rücktritt. Er galt als politisch erledigt. | |
Doch Fico fand eine neue Erzählung. Er machte die westliche Einmischung für | |
den Widerstand gegen ihn verantwortlich und behauptete, der jüdische | |
Finanzier George Soros habe die Demonstrationen organisiert. Im Wahlkampf | |
sagte er, dass „ukrainische Faschisten“ den Krieg 2014 begonnen hätten und | |
die Ukraine die Halbinsel Krim unmöglich zurückerobern könne. | |
## Ablenkungsmanöver | |
Das kam gut an: Eine Umfrage des slowakischen Thinktanks Globsec Trends | |
2023 ergab, dass die Hälfte der Slowaken die Ukraine oder den Westen für | |
den Krieg verantwortlich macht, während nur 40 Prozent die Schuld bei | |
Russland sehen. Das ist der niedrigste Wert in Mittel- und Osteuropa und | |
macht die Slowaken zu den russlandfreundlichsten Menschen in der Region. Da | |
passt es ins Bild, dass Šimkovičová als eine der ersten Amtshandlungen die | |
kulturellen Beziehungen zu Moskau wiederaufnahm, die nach Russlands | |
Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgesetzt worden waren. | |
Doch viele in der Slowakei glauben nicht daran, dass bei Šimkovičová | |
überlegte Strategien dahinter stehen. Im Kulturministerium ist Martina | |
Šimkovičová laut Berichten von Denník N nur selten. Manche aus den Reihen | |
des Ministeriums meinen, sie mache das, was sie von ihrem Job als | |
Fernsehmoderatorin kenne: vorlesen, was andere ihr vorschreiben. Das Chaos | |
in der Kultur und der Zerfall des Ministeriums wird von vielen als | |
Ablenkungsmanöver gesehen, das der Regierung gelegen kommt – unabhängig von | |
den Folgen. | |
## Premierminister in Angst | |
Michal Hvorecký, der Mann, den die Kulturministerin am liebsten hinter | |
Gittern sähe, mobilisiert zwar gegen Šimkovičová. Er startete zuletzt eine | |
Petition, die ihren Rücktritt fordert und die innerhalb kürzester Zeit über | |
180.000 Menschen unterschrieben haben – so viele wie noch nie eine Petition | |
in der Geschichte der Slowakei. Doch auch Michal Hvorecký glaubt, dass für | |
Fico der Trubel in der Kultur nützlich sei. | |
So wie Hvorecký vermuten viele, dass der Premierminister Angst habe. Nach | |
dem Mord an Ján Kuciak folgten Ermittlungen und Festnahmen hochrangiger | |
Politiker – ein seltenes Lebenszeichen des slowakischen Rechtsstaats. Mehr | |
und mehr zeichnet sich das Bild ab, dass Fico die demokratischen Strukturen | |
umbaut, um möglichen Konsequenzen für seine eigene Vergangenheit zu | |
entgehen – und um in der Regierung zu bleiben. Ohne die Zusammenarbeit mit | |
der Partei der Kulturministerin wäre die Regierung nicht zustande gekommen. | |
Aktuelle Umfragewerte zeigen zudem, dass der Rückhalt für Ficos Partei | |
schrumpft. | |
Das slowakische Parlament thront auf dem Burgberg über der Donau. An einem | |
Freitag im Oktober steht das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen | |
Šimkovičová auf der Tagesordnung, eingebracht von der Opposition. Zuvor | |
hatten die Oppositionsparteien im Mai dieses Jahres schon einmal ein | |
Verfahren bewirkt. Vor dem Parlament demonstrieren Adam Straka und seine | |
Kolleg*innen vom „Kulturstreik“, einem Protestbündnis gegen die | |
Ministerin. „Auch wenn der Name es nahelegt – streiken dürfen wir noch | |
lange nicht“, sagt Straka. Das Streikrecht sei viel zu begrenzt, die | |
Menschen seien verunsichert. Viel Hoffnung setzt er nicht auf das heutige | |
Verfahren – Šimkovičová sei für Fico noch zu nützlich, als dass er sie | |
fallen lasse. | |
Adam Straka soll recht behalten, ein paar Tage später scheitert der | |
Versuch, Šimkovičová aus dem Amt zu entfernen. Doch Straka hält an zwei | |
Hoffnungen fest: „Dass wir innerhalb der Kulturszene stark zusammenstehen. | |
Und dass sich die Regierung durch Vetternwirtschaft und Inkompetenz | |
letztlich selbst zerlegt.“ | |
In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass Martina | |
Šimkovičová „Nichtkulturministerin“ genannt wird. Die richtige Übersetz… | |
bedeutet aber „Ministerin der Unkultur“. | |
20 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Linda Huber | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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