# taz.de -- Umgang mit Trauer: Deutschland, warum weinst du nicht? | |
> Spanien weint gemeinsam um die Opfer der Überschwemmungen. In Deutschland | |
> gäbe es genug Gründe, gemeinsam zu trauern. Warum gelingt uns das nicht? | |
Bild: Spanien weint und trauert | |
In Spanien herrscht Staatstrauer. Nach den [1][verheerenden Unwettern mit | |
Starkregen und Überschwemmungen] im Süden und Osten des Landes, die | |
bereits knapp hundert Menschen das Leben und viele mehr ihre | |
Lebensgrundlage gekostet haben, hat die spanische Regierung drei Tage | |
Staatstrauer ausgerufen. | |
Ein Zeichen der Ehrerbietung für all jene, die [2][durch die | |
Naturkatastrophe Verluste erlebt haben]. Ein nationaler Akt des Respekts, | |
der Zusammenhalt demonstriert. | |
Symbolpolitik, die in keiner Weise ersetzt, was an Hilfe und Prävention | |
geleistet werden muss, die aber dennoch ein positives Wir-Gefühl stärken | |
kann. | |
Deutschland kennt so etwas nicht. „Das Institut der ‚Staatstrauer‘ gibt es | |
in der Bundesrepublik nicht“, heißt es seitens des Innenministeriums. | |
„Nicht zuletzt die föderale Struktur“ des Landes mache es unmöglich, „d… | |
Form kollektiver staatlicher Trauer zu verordnen“. Klappe zu, Affe tot. | |
Ende der Diskussion. | |
Wir haben Feiertage, die an historische Ereignisse und deren Opfer erinnern | |
(zu Recht) oder nur bestimmte Teile des Lande betreffen, aber uns fehlt die | |
Fähigkeit, gemeinsam innezuhalten und Trauer anzuerkennen, wenn sie akut | |
ist. | |
## Wir analysieren und denken – aber wir fühlen nicht | |
[3][„Warum weinst du nicht, Deutschland?“, fragte die Journalistin Büşra | |
Delikaya] drei Jahre nach dem Terrorattentat in Hanau in einem Artikel. | |
Dieselbe Frage hätte man auch [4][nach Halle] stellen können, nach dem | |
Attentat in Berlin und unlängst in Solingen. Nach den Taten des NSU, dem | |
Hochwasser im Ahrtal, der Pandemie, nach [5][dem 7. Oktober] bis heute und | |
vielleicht zuallererst nach dem Zweiten Weltkrieg. | |
Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich attestierte der deutschen | |
Bevölkerung eine kollektive „Unfähigkeit zu trauern“. Wir sind stolz | |
darauf, dass wir dichten und denken, und auf deutsche Innovationen. Ich | |
sage nicht, dass all das nicht wichtig ist. Es sind elementare Bestandteile | |
der Handlungsfähigkeit. Dennoch muss Zeit sein für das gemeinsame Fühlen, | |
um die Trauer verarbeiten zu können, damit sie sich nicht als Trauma | |
manifestiert. Damit sie nicht in Affekten zutage tritt, die nach Schuldigen | |
verlangen und [6][uns dabei voneinander entfernen]. | |
Aktuell findet in Mexiko der día de los muertos statt, bei dem jährlich der | |
Toten gedacht, getanzt, gegessen, gelacht und geweint wird. So kann Trauer | |
auch aussehen. | |
1 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Unwetterkatastrophe-in-Spanien/!6042972 | |
[2] /Starkregen-in-Spanien/!6046296 | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/drei-jahre-nach-dem-terror-von-han… | |
[4] /Gedenken-an-Halle-Anschlag/!6041971 | |
[5] /7-Oktober--ein-Jahr-danach/!6034827 | |
[6] /Juedische-Feministinnen-nach-7-Oktober/!6040246 | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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