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# taz.de -- Verlust und Trauer: An Weihnachten ist Abwesenheit besonders präse…
> Unsere Kolumnistin feiert gern Weihnachten. Auch wenn in der Stillen Zeit
> die Sehnsucht nach geliebten Menschen, die gestorben sind, heftig ist.
Bild: Weihnachten kann auch schön sein – und traurig dabei
[1][Trauer] kommt in Wellen. Mit einem Geräusch oder Geruch wird eine
Erinnerung herangespült, und mit ihr ein Gefühl. Mal ist es Freude über die
gemeinsame Zeit mit einem geliebten Menschen, ein anderes Mal überkommt
mich das schmerzhafte Gefühl von Verlust. Ich kann nicht sagen, was davon
passiert, wenn ich plötzlich die Lieblingsschokolade meines Großvaters in
der Hand halte, das Kipferl-Rezept meiner Großmutter aus dem Backbuch fällt
oder ein Lied im Radio läuft, zu dem ich einst mit meinem Vater in der
Küche tanzte.
Manchmal kommt ein Schmunzeln, manchmal eine Träne. Ich kann nicht gut
einschätzen, wann die Trauer gewinnt. Meistens überrascht sie mich. Doch
die Weihnachtswelle ist vorhersehbar. Ich denke, damit bin ich nicht
allein.
Ich hatte das Glück einer entspannten Weihnachtsfamilie. Unsere Kategorie:
„Atheist, and laughing about it“. Keine Heiligkeiten, kein Tamtam, kein
Druck, aber alles da, was Spaß macht. Ich bin immer gern Weihnachten „nach
Hause“ gefahren. Wenn ich mich bei Freund*innen umhöre, verstehe ich
jetzt, wie besonders das war: Dass es da bei all den Schwierigkeiten, die
Familien eben so mit sich bringen, doch immer etwas gab, das wir
miteinander teilen wollten.
Weihnachten nahmen wir uns die Zeit dafür. Gutes Essen, schöner Baum und
irgendein Familienmitglied (meistens ich) hat im Wohnzimmer eine alberne
Performance hingelegt. Unser Familienverhältnis war liebevoll und
selbstironisch. So unterschiedlich wir waren, wir teilten immer einen
gewissen Humor. Wären wir ein Weihnachtsfilm, wären wir eine Chaos-Komödie
gewesen und uns sehr bewusst über das Genre, in dem wir uns bewegten.
## Geschenke für die Toten
Deshalb tut es jetzt besonders weh, dass nicht mehr alle da sind. Obwohl
ich mir einen neuen liebevollen und ähnlich witzigen Weihnachtsrahmen
geschaffen habe, bleibt das Gefühl, den Tisch für Menschen gedeckt zu
haben, die nie wieder mit mir daran sitzen werden. Jedes Jahr fallen mir
Geschenke ein, für liebe Leute, die nicht mehr leben.
Genauso schnell wie aus einem Familienfest ein Familienstreit werden kann,
kann sich ein Fest der Freude zum Tag der Trauer entwickeln. Selbst für
Weihnachtsmuffel: Gemeinsam machen wir uns jedes Jahr über Konsum und
[2][Kitschfilme] oder christliche Doppelmoral lustig.
Eine kritisiert, wie viele Gänse für diesen Quatsch sterben müssen, ein
anderer lässt sich selbstgefällig darüber aus, wie schön Berlin über die
Feiertage ist, wenn die ganzen Zugezogenen weg sind. Auch das sind Rituale,
die wir miteinander teilen und es tut weh, wenn in diesem Jahr jemand
fehlt, der im letzten noch mitgelästert hat. Es ist einfach eine Zeit, in
der Abwesenheit besonders präsent ist.
Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig Raum wir uns für Trauer geben.
Wie schwer es selbst mir fällt, über Tod und Verlust zu sprechen. Dabei bin
ich eigentlich recht close mit meinen unangenehmen Gefühlen. Ich kann auch
wirklich gut heulen.
Falls es noch nicht zu spät ist, sich was zu wünschen: Mein Wunsch ist ein
offenes Sprechen über Tod und Verlust. Dass sich Trauernde nicht die Frage
stellen müssen, wem sie gerade die Stimmung verderben, sondern sich mit
ihrem Schmerz in Gesellschaft begeben oder allein sein können, ganz so wie
sie es brauchen. Ich möchte immer wieder und immer anders meine Toten
vermissen, ohne dass von mir erwartet wird, über den Verlust
hinwegzukommen.
26 Dec 2024
## LINKS
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[2] /Die-Top-Weihnachts-Episoden-von-Serien/!6051834
## AUTOREN
Simone Dede Ayivi
## TAGS
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