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# taz.de -- Lebenskrisen und Lösungsansätze: Besser Leben oder Das Private is…
> Antworten auf eine Instagram-Story unserer Kolumnistin zeigen: Das Leben
> ist härter geworden. Aber die Antworten drauf sind nicht immer
> angemessen.
Bild: Vielleicht mal Atemübungen oder Yoga machen?
Plötzlich war das Bedürfnis da, meine Misere zu teilen. Spontan erstelle
ich eine Instagram-Story, in der ich frage, ob ich die Einzige bin, deren
Leben viel stressiger geworden ist, und ob anderen auch so viele
„persönliche Katastrophen“ passieren. Und ich frage, ob wer Tipps hätte,
wie man damit umgehen kann. Die Story verschwand nach vierundzwanzig
Stunden, aber die Antworten blieben hängen. Die wenigsten haben beide
Fragen beantwortet. Die meisten: die erste.
Ich hatte bewusst von „persönlichen Katastrophen“ gesprochen. Es war die
Formulierung, die mir einfiel, um klarzustellen: Ich lebe nicht in einem
Kriegsgebiet, ich habe mein Zuhause nicht durch eine Flut oder eine andere
Naturkatastrophe verloren.
Ich sitze hier doch eigentlich ganz gemütlich in Berlin, nicht hungernd,
nicht von Abschiebung bedroht. Von hier aus erzähle ich allen, dass ich
mich melde, wenn es wieder ruhiger wird. Die Sache ist die: Es wird nicht
ruhiger.
Vielen in meinem Umfeld geht es wohl genauso. Auf jeden Fall fand der
Begriff „persönliche Katastrophen“ Resonanz, und einige haben mir von ihren
erzählt: Eine Person stand kurz vor der Zwangsräumung (Eigenbedarf). Jemand
bekam eine beängstigende Diagnose, aber keinen Termin bei Fachärzt*innen
(zur Behandlung).
## Weil nichts mehr funktioniert
Bei einer anderen Person gab es einen medizinischen Verdacht, aber auf den
Termin zur Diagnostik muss nun Monate gewartet werden. Eine Bekannte hat
wichtige Dokumente durch einen Wasserschaden verloren – und die Liste ließe
sich fortsetzen.
Dazu kommen Schilderungen, wie stressig der Alltag geworden ist. Berichte
von kafkaesken Behördengängen, WG-Streit, der nicht auszuhalten ist, doch
es findet auch niemand eine andere Bleibe. Von Arbeitswegen, die sich ewig
in die Länge ziehen, [1][weil bei den Verkehrsbetrieben nichts mehr
funktioniert.]
Es ist völlig legitim, von solchen Dingen gestresst zu sein. Gut also, dass
ich gleichzeitig nach Tipps gefragt hatte, die könnte ich ja weitergeben.
## „Ich atme schon ganz gut“
Die Sache war nur: Lösungen und Probleme passten nicht zusammen. Es war
schön zu sehen, wie viele Menschen sich Zeit für tröstende Worte genommen
haben, aber die Vorschläge, was helfen könnte, gingen an meinen und den
gesammelten Problemen vorbei. Mir wurden [2][Atemübungen geschickt und
Yogapraktiken] empfohlen.
Die beschriebenen Probleme, „Katastrophen“ und Stressoren sind strukturell.
Sie sind Resultate maroder Infrastruktur, schlechter medizinischer
Versorgung und katastrophaler Stadtpolitik. Es wäre wunderbar, wenn sich
das wegatmen ließe. Die Sache ist die: Ich atme schon und (ohne angeben zu
wollen) ich kann das auch ganz gut. Andere sitzen tiefer in der Klemme.
Denen bleibt die Luft weg.
Trotzdem ist Positives aus meiner Initiative entstanden. Wenn auch nur
vereinzelt, es gibt sie: die Gespräche über die politische Ebene. Eine alte
Freundin hat mir Kuchen nach Hause geschickt und eine flüchtige Bekannte
hat mir Geld angeboten. Was mich auf die Idee gebracht hat, zumindest eines
meiner Probleme mit Geld zu lösen. Etwas, das diejenigen, [3][die Geld
schon immer hatten, ohne nachzudenken tun] und diejenigen, die keins haben,
nicht tun können.
Es wäre also nicht fair, wenn alle, die noch frei atmen können, nach Hause
gehen und meditieren, statt ihre Luft dafür einzusetzen, an einem besseren
Leben für alle zu arbeiten.
19 Oct 2024
## LINKS
[1] /Sanierungsplan-der-Deutschen-Bahn/!6034495
[2] /Esoterik-und-Religion/!5587032
[3] /Soziale-Ungleichheit/!6009151
## AUTOREN
Simone Dede Ayivi
## TAGS
Kolumne Diskurspogo
Lebenskrisen
Infrastruktur
GNS
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Schwerpunkt Europawahl
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