# taz.de -- Kampf gegen Diskriminierung: Die Rückkehr der Mobbing-Culture | |
> Die einen nennen es „Cancel Culture“, die anderen Entnormalisierung von | |
> Ausgrenzung. Doch auf Jahre des Fortschritts folgt gerade ein Backlash. | |
Bild: Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Stefan Raab – das Fernsehen der Juge… | |
2024 wurde ich zum ersten Mal auf eine 90er-Jahre-Party eingeladen. Auf | |
meine Frage, ob ich einen Baseballschläger mitbringen soll, gab es nur | |
irritierte Blicke. Das Jahr hatte schräge Retro-Vibes und Grusel-Comebacks: | |
Stefan Raab hat wieder gegen Regina Halmich verloren, Donald Trump ist | |
wieder US-Präsident und Christian Lindner hatte mal wieder keine Böcke auf | |
Regierungsarbeit. [1][Thomas Gottschalk] hat uns wieder erzählt, dass er | |
nichts mehr sagen darf und darum wohl wieder irgendwo aufhört, und Pocher | |
ist irgendwie wieder da und verbittert. Selbstverständlich muss zum | |
Jahresende noch Dieter Bohlen Friedrich Merz seine Unterstützung anbieten. | |
Diese Liste der nervigen Männer und ihre Medienpräsenz sind ein Hinweis auf | |
das wohl prägendste Comeback des Jahres: die Rückkehr der Mobbing-Culture. | |
Sie war nie wirklich weg. Aber so ist das eben mit Trends: Sie kommen in | |
Wellen. Und noch mehr als Buffalo-Schuhe und Arschgeweih bringt dieser | |
Trend das ein oder andere Schulhoftrauma in mir hoch. Es ist erstaunlich, | |
dass wir uns so viele Jahre mit der Diskussion über sogenannte | |
Cancel-Culture aufgehalten haben, wenn dieses Canceln doch offensichtlich | |
nicht stattfindet (siehe oben). | |
Der Begriff [2][„Cancel-Culture“] half vor allem dabei, eine | |
Mobbing-Culture zu bewahren und alle, die sich wehren – meist diejenigen, | |
auf deren Kosten sich amüsiert wurde – als Spaßbremsen hinzustellen. | |
Die Polenwitze eines Harald Schmidt, Klassismus und Schwulenfeindlichkeit | |
von Raab, die Berufsgrapscherei von Gottschalk – das war das Fernsehen | |
meiner Jugend. Gefolgt von der Häme und dem „Fremdschamfaktor“ von | |
Castingshows und Reality-TV der 2000er: Wenn auf Marginalisierten nicht | |
rumgehackt wurde, kamen sie einfach kaum vor. Wenn man die Schwarzen | |
Personen im deutschen TV der 90er namentlich aufzählen kann, bestätigt das | |
wie unterrepräsentiert sie waren (und sind). | |
## Einiges hat sich verbessert | |
Man muss sich all das vor Augen halten, wenn jemand fragt, warum die | |
Forderungen nach Repräsentation in den Medien, der Protest gegen | |
diskriminierende Aussagen und das Verlangen nach mehr Sensibilität in den | |
2010er Jahren so laut wurden. Und es ist kein Wunder, dass diejenigen, die | |
gerne Witze auf Kosten anderer machen oder eben sonst davon profitieren, | |
dass andere unterdrückt werden, sich genau an diesem Fortschritt stören und | |
sich gegen die Entnormalisierung von Mobbing und Ausgrenzung wehren. | |
Dass die ganzen „Man wird doch noch mal eine Frau anfassen dürfen“- oder | |
„Man wird doch noch Witze über Behinderte machen dürfen“-Takes heute nicht | |
unwidersprochen bleiben, zeigt, dass sich einiges verbessert hat. | |
Doch betrachtet man das im Zusammenhang mit dem Zuwachs bei konservativen | |
und rechten Parteien, rassistischer, antisemitischer und queerfeindlicher | |
Gewalt, gemeinsam mit der sozialen Kälte und der Hetze gegenüber | |
Geflüchteten und Armutsbetroffenen, dem Streichen von | |
Diversitätsinitiativen sowohl in der Wirtschaft als auch im öffentlichen | |
Sektor, zusammen mit den Kürzungen im Kulturbereich bei Bund und Ländern – | |
in Berlin bekam die zuständige Senatsverwaltung vor kurzem noch den | |
Namenszusatz „für gesellschaftlichen Zusammenhang“, damit man auch sieht, | |
[3][was da gekürzt werden soll] – zeigt sich die Arbeit an einer Rückkehr | |
der Mobbing-Culture, in der auf allen Ebenen nach unten getreten wird. | |
15 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gutgemeinter-Rat-an-Thomas-Gottschalk/!6041005 | |
[2] /Kulturkampf-um-El-Hotzo/!6021096 | |
[3] /Sparplaene-in-Berlin/!6051481 | |
## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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