# taz.de -- US-Präsidentschaftswahl: Der letzte Trump des weißen Mannes | |
> Der Wahnsinn hat in diesem US-Wahlkampf Methode. Wir erleben eine | |
> Enthemmung im Endkampf gegen die multiethnische Gesellschaft. | |
Bild: Was verspricht er sich von Trump? Ein Unterstützer vor einer Wahlkampfve… | |
Washington taz | Anfang Oktober schob sich der Hurrikan „Helene“ von der | |
Karibik über den Golf von Mexiko, wo er einen sanften Rechtsschwenk vollzog | |
und in Form einer Sichel weiter über Florida und North Carolina zog. Die | |
Auswirkungen waren verheerend. Landstriche wurden verwüstet, Bäume | |
entwurzelt, Häuser zerstört, Straßen unterspült. Mehr als 200 Menschen | |
starben. So weit der Wetterbericht der Vereinigten Staaten von Amerika aus | |
diesem Herbst – der allerdings ebenso verheerende Auswirkungen auf das | |
politische Klima nach sich zog. | |
Eine dämonische Verschwörung des Weißen Hauses und von Kamala Harris sei | |
„Helene“ gewesen, hieß es in Youtube-Videos und in Postings auf Elon Musks | |
Plattform X. Mit speziellen Lasern, Tönen und Mikrowellen hätten die | |
Demokraten das Wetter manipuliert, um Donald Trumps Anhänger am Wählen zu | |
hindern. Der Weg für den Abbau geheimer Lithiumreserven an besiedelten | |
Orten solle frei gemacht werden. Die Verschwörungstheorien wurden | |
millionenfach geteilt, unter anderem von der republikanischen | |
Kongressabgeordneten Marjorie Taylor-Greene. Nichts schien zu bizarr, um es | |
nicht zu verbreiten. | |
Die Behauptungen entfalteten eine wilde Eigendynamik. In North Carolina | |
marschierten bewaffnete Milizen auf und verjagten Beamte der | |
Katastrophenschutzbehörde und der Feuerwehr. In Rutherford County geriet | |
eine öffentliche Versammlung zu einem Tribunal. Trump-Anhänger hatten | |
online behauptet, hier solle die Planierung ganzer Wohngebiete beschlossen | |
werden. | |
Man könnte die Berichte als exotische Unterhaltung abtun, wenn sie nicht | |
todernst wären: North Carolina zählt zu jenen sieben „Swing States“, in | |
denen entschieden wird, wer künftig die USA regiert. In den USA des Jahres | |
2024 ist alles politisch, selbst das Wetter. Die politische | |
Auseinandersetzung hat Züge des Wahnsinns angenommen. | |
## Eine Weichenstellung für Jahrzehnte | |
Und doch folgt vieles von dem, was in North Carolina und anderswo passiert, | |
einem wahnsinnig rationalen Drehbuch. Denn bei dieser Wahl wird über mehr | |
als über den nächsten Präsidenten oder die nächste Präsidentin entschieden, | |
über mehr als einen Sieg von Republikanern oder Demokraten. Es geht um eine | |
Weichenstellung für Jahrzehnte. | |
Man kann diese Wahl auf viele Weisen beschreiben, aber im Mittelpunkt steht | |
eine unversöhnliche Machtfrage. Zur Wahl steht das weiße, männliche | |
Amerika, dessen Ideal ein prosperierendes Land wie in den 1950er Jahren | |
ist, in dem Gewinner und Verlierer klar sortiert sind. Eine Weltmacht, die | |
andere Nationen alleine durch die Androhung von Gewalt in die Schranken | |
weist, mit Donald Trump als ihrem Anführer, allmächtig wie einst die | |
Cäsaren. | |
Auf der anderen Seite steht das multiethnische Amerika, das die Summe ist | |
aus Weißen und Schwarzen, Hispanics und Asiaten, alten und neuen | |
Einwanderer.innengenerationen und in dem es keine eindeutig dominante | |
gesellschaftliche Klasse mehr gibt, die sich durch eine besondere Hautfarbe | |
oder ein besonderes Geschlecht auszeichnete. Für diese Vereinigten Staaten | |
steht, politisch wie biografisch, Kamala Harris. | |
Zu beobachten ist eine Auseinandersetzung, in dem Identitätspolitik eine so | |
große Rolle spielt wie nie zuvor in der modernen Geschichte einer Wahl – | |
eine Identitätspolitik von rechts, der Weißen. Der Publizist Joe Klein | |
spricht deshalb von einem „Gringo-Aufstand“, der in Teilen von hispanischen | |
und schwarzen Männern unterstützt wird, die sich durch Trumps muskuläre und | |
maskuline Art der Dominanz angesprochen fühlen. | |
Das Furchterregende besteht darin, wie viele Amerikanerinnen und Amerikaner | |
bereit sind, für den Sieg in diesem neuen Bürgerkrieg den Verlust | |
demokratischer Werte und der Realität als Grundlage von Politik und | |
Zusammenleben zu akzeptieren. „Whatever it takes“ – dieses uramerikanische | |
Motto, das zu tun, was nötig ist, bedeutet heute für Trumps Anhänger und | |
Wählerinnen die Bereitschaft, offenkundigen Wahnsinn zu stützen oder | |
zumindest zu akzeptieren und dabei die Errungenschaften der liberalen | |
Demokratie zu opfern, wenn es ihrer eigenen Dominanz dient. | |
## Ein Schicksal wie das Römische Reich? | |
„Ich denke, wir müssen akzeptieren, dass die Menschen nicht einfach nur | |
stolpern und Trump blindlings folgen“, urteilt der Außenpolitikexperte und | |
Washington-Post-Kolumnist Robert Kagan. „Es gibt eine echte Bewegung, eine | |
sehr mächtige Bewegung, die Trump unterstützt und die wirklich eine | |
Veränderung in der Art und Weise, wie Amerika funktioniert, sehen möchte.“ | |
Man könnte auch sagen: die, über Dekaden hinweg, eben keine Veränderung | |
will. | |
Angetrieben wird diese epochale Auseinandersetzung durch den schleichenden | |
Niedergang der USA, die immer mehr an Einfluss gegen aufstrebende Mächte | |
wie China und Indien verlieren und deren internationale Vormachtstellung so | |
bedroht ist wie die Vormacht der Weißen innenpolitisch. | |
Wenn vom Zustand der Vereinigten Staaten die Rede ist, wird in | |
radikal-konservativen Kreisen die Lage gerne mit dem Römischen Reich | |
verglichen. „Hat Amerika den Untergang wie einst Rom eingeleitet?“, fragt | |
etwa die Heritage Foundation in einem Text der Ökonomen EJ Antoni und Peter | |
St Onge. Als Belege führen sie finanzielle Misswirtschaft an, teure Kriege | |
und verschwenderische heimische Ausgaben. Noch sei Zeit, die Vereinigten | |
Staaten vor einem Zusammenbruch wie dem des Römischen Imperiums zu | |
bewahren. Aber das Zeitfenster schließe sich. | |
Es ist dieser spürbare doppelte, globale wie nationale Dominanzverlust des | |
alteuropäischen Menschentyps, der viel von der Bitterkeit und Düsternis, | |
aber auch der Entschlossenheit und Enthemmung erklärt, mit der Trump und | |
seine Anhänger.innen einen Endkampf gegen ein multiethnisches Amerika | |
führen. | |
## Relativer Statusverlust | |
Aufgrund der demografischen Verschiebungen, die das Ende der weißen | |
Mehrheit in der US-amerikanischen Bevölkerung ab etwa 2050 bedeuten, | |
kursiert in rechten Kreisen die Erzählung, dies sei die letzte Wahl, bei | |
der die Stimme der Weißen noch zähle. Die letzte Wahl, bei der die | |
Machtübernahme der multiethnischen Gesellschaft noch abgewendet werden | |
könne. In dieser Logik ist es kein intellektueller Unfall, dass Millionen | |
Menschen in den USA Donald Trump gewählt haben und es 2024 wieder tun | |
werden. | |
Nach einer Datenanalyse der New York Times steht insbesondere der weiße | |
Mann ohne College-Abschluss heute schlechter da als vor 40 Jahren. Darin | |
steckt eine wirtschaftliche Frage, die in einem Wahljahr entscheidend sein | |
kann: Geht es anderen besser als mir? Bewertet wird nicht die eigene Lage | |
an sich, sondern der Abgleich zum Rest. Es geht, wie die Times es | |
zusammenfasst, um den Status. | |
Verdiente ein weißer US-Amerikaner ohne College-Abschluss 1980 noch 7 | |
Prozent besser als der Durchschnitt – also als alle Frauen unabhängig ihrer | |
Bildung und als ein Schwarzer ohne College-Abschluss –, sind es heute gut | |
10 Prozent weniger als der Durchschnitt. Die Daten zeigen auch, dass weiße | |
Männer ohne College-Abschluss von Frauen mit College-Abschluss (jeder | |
ethnischen Herkunft) überholt wurden. Wie sich dieser relative | |
Statusverlust auswirkt, ist gut erforscht: Rassismus und Rechtsextremismus | |
speisen sich vornehmlich aus der Angst der Mittelschicht vor dem sozialen | |
Abstieg, in der gesellschaftlichen Hierarchie. | |
Und hier sind es längst nicht mehr nur die Hillbillys, jene verarmten | |
US-Amerikaner.innen aus den Appalachen und sonstigen vergessenen | |
Berggegenden, die Trump 2024 in den Endkampf um die alte Ordnung führt. | |
„Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass Donald Trump die Wahlen | |
gewinnen kann, nur weil ihn ungebildete weiße Unterschichten in den | |
ländlichen Regionen blind unterstützen“, warnt Michael Werz vom Center for | |
American Progress, einem demokratischen Thinktank in Washington, vor einem | |
verengten Blick auf das Geschehen. | |
## Identitätspolitische Sehnsucht | |
„Der Großteil seiner 75 Millionen Wählerinnen und Wähler im Jahr 2020 kommt | |
aus prosperierenden weißen Mittelschichten.“ Und das, sagt Werz, „ist die | |
einzig reale Parallele zu den 1930er Jahren in Europa: Wenn das Bürgertum | |
sich für autoritäre Politik begeistern lässt, wird es brandgefährlich.“ | |
[1][Die angeblich Hunde und Katzen essenden Migranten von Springfield], von | |
denen Trump in einer TV-Debatte fabulierte, sind kein Versehen. Sie sind | |
der gezielte Versuch, die identitätspolitische Sehnsucht seiner Anhänger | |
auf zugegeben zugespitzteste Weise zu bedienen: hier die weißen, | |
gesetzestreuen, die echten Amerikaner, dort die marodierenden Migranten, | |
die sich wie die Tiere von Haustieren ernähren. | |
Die Babys, die noch nach ihrer Geburt abgetrieben würden, eine andere wilde | |
These aus jener Debatte, dürfen genauso wenig als Verirrung eines alten | |
Mannes verstanden werden. Mit dem Bild von Frauen, die ihre Neugeborenen | |
töteten, mobilisiert Trump völlig entgrenzt gegen die progressive | |
Gesellschaft, in der Frauen über ihre Reproduktionsrechte selbst bestimmen. | |
Er stellt sie als moderne Monster dar, vor denen das traditionelle, | |
familientreue Amerika geschützt werden muss. | |
Über den Ausgang dieses epischen Aufeinanderprallens wagt in diesen Tagen | |
keine Analystin und kein Analyst eine Prognose abzugeben. Trumps Leute, die | |
in ihrer eigenen Echokammer leben, sind vom Sieg überzeugt. Trump selbst | |
ignoriert negative Nachrichten schlichtweg. Das Harris-Lager schlingert | |
derweil „zwischen Panik und moderatem Optimismus“, wie ein demokratischer | |
Berater es formuliert. | |
## Schockwellen der Angst | |
Doch immerhin gab es zuletzt einen Moment im Wahlkampf, der eine jener | |
„October Surprises“ gewesen sein, die zu jedem amerikanischen Wahlkampf | |
dazugehören, eine jener unkalkulierbaren Überraschung kurz vor der Wahl, | |
auf die die Demokraten so sehnlichst gehofft hatten: [2][Bei einem Auftritt | |
Trumps im New Yorker Madison Square Garden] gab im Vorprogramm der Comedian | |
Tony Hinchcliffe eine Reihe rassistischer Witze zum Besten und verhöhnte | |
Puerto Rico als „schwimmende Müllhalde“. | |
Von den 600.000 Wahlberechtigten Puerto Ricaner.innen im vielleicht | |
wichtigsten Swing State Pennsylvania, so die demokratische Hoffnung, | |
könnten vielleicht ein paar Zehntausend ausreichend davon abgestoßen sein. | |
Und diese paar Zehntausend könnten schon ausreichen, damit sich | |
Pennsylvania am Wahlabend demokratisch blau färbt. | |
Andererseits schickt allein die Vorstellung, Trump könnte die Macht | |
ergreifen, er könnte seine Gewaltandrohung gegen politische Gegner.innen | |
wahrmachen und Massendeportationen anordnen, Schockwellen der Angst durch | |
das liberale, demokratische Amerika. Denn was 2024 in den Vereinigten | |
Staaten auf dem Wahlzettel steht, das muss man inzwischen konstatieren, ist | |
größer noch als bloße Fantastereien weißer Herrenmenschen. | |
Auch die Demokraten ziehen Parallelen zu Rom, nur anderer Art. Amerika | |
vollziehe „auf unheimliche Weise die Schritte Roms zum Untergang nach“, | |
warnt der Historiker Tim Elliot. Der Trump seiner Zeit, Julius Cäsar, habe | |
ebenfalls versprochen, Rom wieder zu altem Glanz zu verhelfen, „doch | |
stattdessen errichtete er sich einen Thron, setzte demokratische Normen | |
außer Kraft, ignorierte die Kontrolle seiner Macht und untergrub die | |
politische Debatte“. | |
3 Nov 2024 | |
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Barbara Junge | |
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