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# taz.de -- USA unter Trump: Mr. Dark und das ewig unerreichbare Amerika
> Donald Trumps Amtsübernahme als US-Präsident löst vielerorts Verzweiflung
> aus. Aufgeben ist in dem Land, das sich stets in Bewegung befindet, aber
> keine Option.
Bild: Baustelle USA
In Ray Bradburys Fantasyklassiker „[1][Something Wicked This Way Comes]“
macht ein Zirkus, dessen Direktor den ominösen Namen Mr Dark trägt, in
einer amerikanischen Kleinstadt Station. Das Gastspiel beginnt harmlos,
doch bald lässt Mr Dark seine finsteren Kräfte und Absichten durchscheinen,
die den Ort an den Rand des Abgrunds bringen. Allein die List zweier
Schuljungen rettet das Dorf und bringt Mr Dark dazu, wieder von dannen zu
ziehen.
Der Film inspirierte die Coverillustration des Magazins The [2][Atlantic ]
zur Wahl von Donald Trump, wo der künftige Präsident unter einem
stürmischen Himmel eine Kutsche im Galopp auf Washington, D. C., zusteuert.
Auf der Ladefläche trägt er einen Käfig mit einem Elefanten, Symbol für
eine von einem sinistren Zirkusdirektor dressierte Republikanische Partei.
Das Cover war die wohl eindringlichste der vielen apokalyptischen Visionen
dessen, was den USA in den kommenden vier Jahren bevorstehen könnte, aber
bei Weitem nicht die einzige. Die USA sehen finsteren Zeiten entgegen,
vielleicht sogar dem Ende dessen, was man bislang unter diesem Akronym zu
verstehen glaubte. „Das amerikanische Selbstverständnis ist in einer tiefen
Krise“, sagte der [3][Philosoph Cornel West], der sich als aussichtsloser
Kandidat gegen Trump aufstellen ließ, um den Wählern eine Alternative zu
den verkalkten Institutionen der US-Politik anzubieten.
Die Szenarien für die Zukunft der Weltmacht sind in der Tat furchterregend.
Ein Präsident, dem die von ihm bestellten Bundesrichter umfassende
Immunität gesichert haben, könnte sich anschicken, seine politischen Gegner
mit allen Mitteln zu verfolgen. Der designierte neue [4][FBI-Direktor Kash
Patel], ein unterwürfiger Höfling Trumps, hat bereits in einem Buch
versprochen, seine Behörde zu ebendiesem Zweck zu missbrauchen.
## Trump zum Zweiten
Nicht einmal vor dem Einsatz des Militärs gegen politische Gegner im
eigenen Land wird Trump haltmachen. Entsprechende Gelüste hat er bereits
während seiner ersten Amtszeit geäußert, und seine Berater arbeiten daran,
einen juristischen Weg dafür zu ebnen. Die Missachtung demokratischer
Normen und Traditionen durch die neue Regierung ist damit noch lange nicht
am Ende. Die Benennung von Elon Musk in ein hohes Regierungsamt
demonstriert Trumps klaren Hang zur Plutokratie.
Gemeinsam schmieden sie unter dem Vorwand der Einsparungen Pläne, den
Regierungsapparat auszuhöhlen und mit Loyalisten zu besetzen. Schließlich
ist davon auszugehen, dass Trump zumindest versuchen wird, seine Pläne
einer Massendeportation wahrzumachen. Angesichts der offensichtlichen
logistischen Hindernisse eines solchen Unterfangens wäre es nicht einmal
unvorstellbar, dass Trump konzentrationslagerähnliche Anlagen errichten
lässt.
Dass die Amerikaner im vollen Bewusstsein dieser möglichen Konsequenzen zum
zweiten Mal [5][einen solchen Mann in das höchste politische Amt des Landes
gewählt] haben, lässt manche am großen Experiment der amerikanischen
Demokratie selbst zweifeln. So sagte jüngst der demokratische Senator Mike
Murphy, dass „viel zu viele Menschen die Augen davor verschließen, was
gerade passiert“.
Trump sei dabei, das Land von einer Demokratie in eine restriktive
Oligarchie zu verwandeln, „in welcher die Opposition zum Schweigen gebracht
wird, die Medien nicht mehr frei sind und die Regierung nur dazu dient,
einer kleinen Kabale rund um den Mann an der Macht“ zu dienen. Ausgerechnet
Kamala Harris schlug jedoch in ihrer Rede zur Wahlniederlage weitaus
optimistischere Töne an.
## Unkaputtbare Zuversicht
„Das Licht des amerikanischen Versprechens wird immer hell erstrahlen“,
rief sie zu ihren Anhängern in deren tränenüberströmte Gesichter. Dies sei
nicht die Zeit zu verzweifeln, sondern eine, um für die amerikanischen
Grundwerte von „Freiheit, Opportunität, Fairness und der Würde aller,
ungeachtet ihrer Herkunft und Identität“, zu kämpfen. Harris’ Optimismus
verweist auf etwas tiefer Liegendes im amerikanischen Selbstverständnis.
Das Ende des amerikanischen Experiments ist für Amerikaner schlicht nicht
denkbar. So erinnerte der Dichter Henry Wadsworth Longfellow zu Beginn des
Bürgerkriegs, als die Staaten zu zerbrechen drohten, mit einem Epos an die
Zeit zu Beginn der Republik: Als die Unabhängigkeit der Kolonien auf
Messers Schneide stand, warnte der [6][Freiheitskämpfer Paul Revere] nach
einem heldenhaften Ritt die kolonialen Kräfte vor der Niederlage gegen die
englischen Truppen.
Das Gedicht endet mit den Worten: „In der Stunde der Dunkelheit, der Gefahr
und der Not werden die Menschen aufwachen und die eiligen Hufschläge dieses
Rosses und die Mitternachtsbotschaft von Paul Revere hören.“ Die Kolonien
behaupteten sich bekanntlich ebenso, wie die Republik den Bürgerkrieg
überlebte. Die Mitte hielt ebenso wie in den 60er Jahren, als zentrifugale
Kräfte die Nation über den Krieg in Vietnam und den Kampf um Bürgerrechte
im Süden auseinandertrieben.
Nicht, dass die zugrunde liegenden Konflikte von damals aufgelöst worden
wären. [7][Rassismus], amerikanischer Militarismus und die imperialen
Neigungen des Landes sind lebendig und rufen bis heute erhebliche
Widerstände und Kritik hervor. „Wir sind ein Imperium im Niedergang, das
korrupt und von Gier getrieben ist und den Schwächsten der Gesellschaft
gegenüber gleichgültig“, sagt Cornel West. Dennoch attestiert er der
amerikanischen Demokratie eine erstaunliche Resilienz.
## Ein fortgesetztes Werden
West leitet die Widerstandsfähigkeit der Staaten aus deren innerer
Verfasstheit ab. Dabei beruft er sich nicht zuletzt auf den Pragmatismus
und seine Vorläufer, jene amerikanische Denktraditionen, die im 19.
Jahrhundert voller Euphorie die Hoffnungen artikuliert haben, die sie mit
dem amerikanischen Experiment verbanden.
Für Ralph Waldo Emerson, den Dichter Walt Whitman oder den Philosophen John
Dewey bestand die große Differenz des amerikanischen Projekts darin, dass
es ein fortgesetztes Werden ist. Die USA sind nicht die empirische
Manifestation einer festgeschriebenen Idee, die amerikanische Geschichte
kennt keinen Determinismus, keinen vorgeschriebenen Weg.
Die USA sind immer unfertig, der Philosoph Stanley Cavell nennt es „this
new yet unapproachable America“ – das neue, aber ewig unerreichbare
Amerika. Rückschläge sind in dieses Werden eingebaut. Das Projekt ist eines
von fehlbaren Menschen. Jede Generation muss aufs Neue den Kampf darum
aufnehmen, eine „etwas perfektere Gemeinschaft“ zu schaffen, wie Barack
Obama, den Gründervater Thomas Jefferson zitierend, immer wieder seine
Aufgabe und die seiner Mitbürger benannte.
An den USA zu verzweifeln ist demnach, so wie Harris es artikulierte, keine
Option – eine Lektion, die alle Amerikaner von ihren afroamerikanischen
Mitbürgern lernen können. Cornel West spricht von der Kunst der „Hoffnung
ohne Optimismus“, die er aus der Bluestradition ableitet, der Kunst zu
hoffen, ohne zu glauben, dass es eine vollkommene Befreiung, einen
glücklichen Endzustand wird geben können. James Baldwin sagte einmal, er
sei zwar zornig, aber Verzweiflung könne er sich nicht leisten.
## Jetzt die Ärmel hochkrempeln
„Wir können den Kindern nicht sagen, dass es keine Hoffnung gibt.“ Der
Glaube an das Projekt Amerika und zentrale Glaubenssätze hält auch in
dunkelsten Zeiten. Aus diesem grundsätzlichen Widerstand der amerikanischen
Mentalität gegen die Verzweiflung selbst speist sich wiederum Hoffnung für
das Land. Amerikaner glauben daran, dass sie etwas bewegen können, dass
sie, wie Harris es ausdrückte, geradezu eine Verpflichtung dazu haben,
jetzt die Ärmel hochzukrempeln und zu gestalten.
Sie haben das bewiesen, nachdem Trump zum ersten Mal ins Amt gewählt wurde
und sich Massen von Amerikanern, vor allem Frauen, in die Politik
einmischten, die das vorher nicht getan hatten. Die Mobilisierung führte zu
einem Aufbruch bei den Zwischenwahlen 2018 und schließlich zu Trumps
Niederlage 2020. Und auch bei der letzten Wahl engagierten sich Millionen
von Amerikanern und Amerikanerinnen, demonstrierten, warben, klopften an
Türen. Auch wenn es letztlich nicht ausgereicht hat, um Mr Dark vom Weißen
Haus fernzuhalten.
Bereits am Tag nach der Wahl schrieb der Kolumnist Nicholas Kristof in der
New York Times ein „Manifest für verzweifelnde Demokraten“. Es war ein
Aktionsplan für die Zeit nach dem 20. Januar. Dazu gehörte: Organisationen
zu unterstützen, die sich gegen Trumps Missbrauch des Rechtswesens stemmen;
solche zu unterstützen, die gegen Menschenrechtsverletzungen kämpfen; sich
gegen wachsende Frauenverachtung zu wehren; sofort damit anzufangen, sich
auf die Zwischenwahlen 2026 vorzubereiten; zu versuchen, die Amerikaner zu
verstehen, die für Trump gestimmt haben.
Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, dass Trump in den kommenden Jahren
die amerikanische Demokratie nicht über die Klippe fährt. Aber es wird ihm
ganz gewiss nicht ohne Widerstand gelingen. Amerikaner verstehen besser als
viele andere Nationen, dass Demokratie eine Sache aller Bürger ist. Und sie
verstehen, dass Resignation keine Option ist.
21 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.imdb.com/de/title/tt0086336/
[2] https://www.theatlantic.com/press-releases/archive/2024/09/atlantic-october…
[3] /Philosoph-West-tritt-bei-US-Wahl-an/!6041094
[4] /Trump-verkuendet-neue-Personalie/!6053827
[5] /Wie-er-die-US-Wahl-gewann/!6048033
[6] https://www.paulreverehouse.org/the-real-story/
[7] /Proteste-in-den-USA-gegen-Rassismus/!5691695
## AUTOREN
Sebastian Moll
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