# taz.de -- Geringe Literalität: „Es ist nicht unser Ziel, das Lesenlernen z… | |
> Für Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können, sind viele | |
> Alltagsaufgaben Hürden und Stress. Könnte Künstliche Intelligenz sie | |
> unterstützen? | |
Bild: Für den Alltag sind es kleine Dinge, die KI erleichtern kann | |
taz: Frau Skowranek, was haben Menschen, die nicht gut lesen und schreiben | |
können, im Alltag von Hilfestellung durch künstliche Intelligenz, etwa | |
durch ein Tool [1][wie ChatGPT]? | |
Kristin Skowranek: Wenn ich als alleinerziehende Mutter eine Entschuldigung | |
für meinen Sohn schreiben muss, der krank geworden ist, kann ChatGPT dabei | |
helfen. Genauso kann ich Texte auch einscannen und zusammenfassen lassen | |
oder die KI darum bitten, mir die Inhalte in einfacher Sprache wieder | |
auszugeben. Beispielsweise wenn ich einen Brief von einer Behörde bekomme, | |
oder wenn mein Vermieter mir schreibt, muss ich den Text verstehen und | |
darauf antworten können. Das kann mit KI gut funktionieren. | |
taz: Wie funktioniert so etwas für die Betroffenen bisher? | |
Skowranek: Studien zeigen, dass das Umfeld der Betroffenen viele Aufgaben | |
übernimmt, die mit Lesen und Schreiben verbunden sind. Künstliche | |
Intelligenz könnte ein Werkzeug sein, das die Menschen im Alltag | |
selbständiger macht. In Deutschland leben schätzungsweise 3,3 Millionen | |
Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprechen und nicht gut lesen und | |
schreiben können. Diese Menschen sind im Alltag auf viel Unterstützung | |
angewiesen. | |
taz: Sie beschäftigen sich damit, wie Betroffene mit KI umgehen. Wie sieht | |
solche Forschung konkret aus? | |
Skowranek: Zusammen mit Lehrenden der Volkshochschule Hamburg habe ich | |
Kurse besucht, in denen Menschen lesen und schreiben lernen. Dort habe ich | |
die Teilnehmer:innen mit KI Aufgaben lösen lassen, um den Status quo | |
festzuhalten: Was können diese Menschen schon? Worauf müssen sie | |
vorbereitet werden? Das ist die Datengrundlage, die wir jetzt auswerten. | |
Daraus entwickeln wir ein Workshopkonzept, das Lehrende befähigen soll, | |
selbst Kurse durchzuführen, in denen Wissen über KI vermittelt wird. | |
taz: Sprachmodelle wie ChatGPT können zwar Texte generieren, am Anfang muss | |
ich aber immer selbst etwas eingeben. Ist das nicht ein Problem? | |
Skowranek: Auch wenn man einzelne Füllwörter weglässt, kann die KI eine | |
sinnvolle Antwort generieren. Das ist erst mal ein Vorteil für die | |
Betroffenen. Entscheidend ist der Satzbau. Wenn dieser durcheinandergerät, | |
wird es schwierig, als Antwort einen sinnvollen Text zu erhalten. Eine | |
unerwartete Hürde war außerdem die Schreibweise bestimmter Laute. Wenn zum | |
Beispiel im Wort „für“ das ü fehlt, kann das Modell den Kontext oft nicht | |
mehr erkennen. | |
taz: Könnten die Menschen das, was sie eingeben möchten, nicht einfach | |
einsprechen? | |
Skowranek: Für unser konkretes Forschungsprojekt hatten wir die | |
Diktierfunktion ausgestellt. Alle Teilnehmer:innen mussten also mit der | |
Tastatur tippen. Vor allem diejenigen, die auf einem sehr niedrigen Level | |
lesen und schreiben können, hatten dabei Probleme. Aber die Diktierfunktion | |
könnte ihnen die Eingabe im Alltag sicherlich erleichtern. | |
taz: Oft geben Sprachmodelle lange Antworten. Ist das nicht umständlich für | |
Menschen, [2][die nicht gut lesen können]? | |
Skowranek: Ja, das kam häufig vor. Viele der untersuchten | |
Teilnehmer:innen hatten daher Verständnisprobleme. Das lässt sich aber | |
leicht lösen, indem man den Text zusammenfasst. Zum Beispiel, indem man | |
„kürzer“ dahinterschreibt. Ein Wort genügt also, um dieselbe Aussage in | |
einem wesentlich kürzeren Text zu erhalten. Ich kann mir Texte auch | |
vorlesen lassen, um sie besser zu verstehen. | |
taz: KI neigt auch zum [3][Halluzinieren und erfindet Antworten frei]. Wie | |
sollen Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können, das erkennen? | |
Skowranek: Grundsätzlich würden wir bei KI-generierten Texten immer die | |
Empfehlung geben, einen Faktencheck zu machen. Menschen mit geringer | |
Literalität sind da eingeschränkt in den Möglichkeiten. Das heißt, wenn sie | |
sich wichtige Texte von der KI generieren lassen, sollte immer eine zweite | |
Person mit draufschauen. | |
taz: Lohnt es sich für die Betroffenen dann überhaupt, KI zu nutzen? | |
Skowranek: Einen Text generieren lassen, also das alleine mit technischer | |
Unterstützung zu schaffen, wäre schon ein Meilenstein, selbst wenn vor dem | |
Abschicken noch mal eine zweite Person auf das Ergebnis schaut. Für den | |
Alltag sind es ansonsten kleine Dinge, die KI erleichtern kann. So etwas | |
wie etwa eine Kleinanzeige erstellen, das klappt schon gut. | |
taz: Statt mit Menschen an KI-Tricks zu arbeiten – wäre es nicht | |
sinnvoller, sich auf eine Verbesserung der Angebote zu konzentrieren, mit | |
denen die Menschen das Lesen und Schreiben wirklich lernen können? | |
Skowranek: Unser Ziel ist es nicht, das Lesen- und Schreibenlernen zu | |
ersetzen. KI kann dabei sogar unterstützen. Da sehe ich tatsächlich einen | |
großen Vorteil für Grundbildungs- und Alphabetisierungskurse, weil KI die | |
Möglichkeit bietet, Unterricht auf eine andere Art und Weise zu | |
personalisieren. | |
taz: Wie denn ganz konkret? | |
Skowranek: Personen können sich Lernmaterialien zu Themen, die sie | |
interessieren, selbst generieren. Wenn sie zum Beispiel die Beatles mögen, | |
lassen sie sich einen Lückentext genau dazu generieren und trainieren so | |
bestimmte Wörter. Das motiviert beim Lernen und regt dazu an, neue Texte zu | |
lesen. Die Forschung sieht grundsätzlich KI eher als Tool, ähnlich wie | |
einen Taschenrechner. Als der Taschenrechner eingeführt wurde, gab es | |
Befürchtungen, dass Menschen das Rechnen verlernen würden. Stattdessen | |
haben wir gelernt, ihn sinnvoll zu nutzen. | |
3 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jerrit Schloßer | |
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