# taz.de -- Israel gegen UN-Palästinenserhilfswerk: Nach dem Ende der UNRWA | |
> Das UN-Palästinenserhilfswerk darf nicht mehr in Israel operieren, auch | |
> in Gaza und dem Westjordanland steht sie vor Hürden. Wie geht es nun | |
> weiter? | |
Bild: Wer sollte sie sonst versorgen? Palästinensische Binnenvertriebene in Ga… | |
Jerusalem taz | Mit deutlicher Mehrheit von rund drei Vierteln der 120 | |
Abgeordneten hat Israels sonst so gespaltenes Parlament am Montagabend zwei | |
historische Gesetze verabschiedet. Sie untersagen dem | |
UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA in Israel die Arbeit und lokalen Behörden | |
jeden Kontakt zu der Organisation. Die Folgen sind schwer absehbar, dürften | |
aber gewaltig sein. So tragen etwa die 13.000 größtenteils | |
palästinensischen Mitarbeiter der Organisation im Gazastreifen die | |
Hauptlast der humanitären Hilfe für [1][rund zwei Millionen Vertriebene]. | |
1. Warum will Israel UNRWA verbieten? | |
Das UN-Palästinenserhilfswerk steht dort seit Jahrzehnten in der Kritik. An | |
UNRWA-Schulen sollen antijüdische und antiisraelische Inhalte gelehrt | |
werden. Die israelische Nichtregierungsorganisation Impact-SE hat mehrfach | |
in UNRWA-Schulen genutzte Schulbücher kritisiert. Manche Karten zeigten | |
demnach das Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer als rein | |
palästinensischen Staat. Andernorts würden Palästinenser heroisiert, die | |
für Terroranschläge auf Israelis verantwortlich waren. | |
Untersuchungen kommen zu unterschiedlichen Schlüssen: Der Schweizer | |
Bundesrat berichtete nach einer Anfrage des Schweizer Parlaments im Jahr | |
2021, dass die genannten Texte „einen winzigen Teil des Schulmaterials“ | |
ausmachen und zudem teils durch UNRWA Kontrollmechanismen entfernt worden | |
seien. Eine UN-interne Untersuchung aus dem vergangenen April hingegen | |
stellte fest, dass „neutralitätsbezogene Probleme fortbestehen“, darunter | |
Schulbücher mit „problematischen Inhalten“. Inwiefern UNRWA verantwortlich | |
ist, ist zudem umstritten: Häufig nutzen deren Schulen Lehrpläne und | |
-bücher der Gastländer. | |
Darüber hinaus beschuldigen viele in Israel die Organisation, den Konflikt | |
durch eine Weitergabe des Flüchtlingsstatus an die folgenden Generationen | |
zu verlängern. Waren ursprünglich bis zu 850.000 Palästinenser aus dem | |
heutigen Israel vertrieben worden, sind heute rund sechs Millionen Menschen | |
bei UNRWA registriert. Kritiker sehen dieses Argument jedoch eher als | |
Nebelkerze. Die Betroffenen seien andernfalls Staatenlose, das zugrunde | |
liegende Problem, warum die Organisation auch Jahrzehnte nach ihrer | |
Gründung noch existiere, sei der ungelöste Konflikt zwischen Israelis und | |
Palästinensern. | |
2. Nach dem 7. Oktober warf Israel der UNRWA vor, dass sich zwölf | |
Angestellte an dem Massaker beteiligt hätten. Was ist dazu bekannt? | |
Im Laufe des vergangenen Jahres wurden weitere Anschuldigungen erhoben. | |
Außerdem soll die UNRWA insgesamt 190 Mitglieder der Hamas und des | |
Palästinensischen Islamischen Dschihads beschäftigt haben. Das beträfe gut | |
jeden 200.-sten UNRWA-Mitarbeiter. | |
Die Vereinten Nationen haben seither mit einer externen und einer internen | |
Untersuchung reagiert und zehn Angestellte entlassen. Darüber hinaus habe | |
eine Prüfung „die Vorwürfe anhand der von Israel zur Verfügung gestellten | |
Belege nicht unabhängig bestätigen können“, hieß es in einem Bericht des | |
Oios-Büros, der höchsten internen Prüfinstanz der Vereinten Nationen im | |
August. Für eine weitläufige Unterwanderung der Organisation hat Israel | |
bisher keine Beweise vorgelegt. UNRWA hat in der Vergangenheit regelmäßig | |
Listen seiner Mitarbeiter israelischen Behörden zur Prüfung vorgelegt. | |
3. Welche Folgen hat das Verbot der UNRWA? | |
Die UNRWA könnte auch im Westjordanland und im Gazastreifen ihre Arbeit | |
einstellen müssen. „Die Koordinierung mit israelischen Behörden ist von | |
entscheidender Bedeutung für die Beschaffung von Visa oder die Absprache | |
mit der Armee für die Bereitstellung von humanitärer Hilfe“, sagt Suhad | |
Bishara von der israelischen Menschenrechtsorganisation Adalah. | |
Bedroht sei neben der Arbeit in Gaza auch der Betrieb von 43 | |
Gesundheitszentren und 96 Schulen im besetzten Westjordanland, an denen | |
rund 343.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet würden. Das hätte auch | |
Folgen für Israel: „Als Besatzungsmacht ist es rechtlich verpflichtet, | |
diese wesentlichen Dienste zur Verfügung zu stellen“, so Bishara. | |
4. Welche weiteren Folgen hat das für Israel? | |
Auch außenpolitisch drohen Konsequenzen: Der scheidende US-Präsident Joe | |
Biden hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu Mitte Oktober eine Frist von | |
30 Tagen gesetzt, um die humanitäre Situation im Gazastreifen deutlich zu | |
verbessern. Andernfalls könnten [2][die US-Waffenlieferungen an den | |
Verbündeten gestoppt werden]. Bisher hat sich die Lage besonders im Norden | |
Gazas jedoch kaum verbessert. Ein Ende von UNRWA, darin sind sich die | |
meisten Beobachter einig, würde die bereits jetzt katastrophale Situation | |
massiv erschweren. | |
Die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinten Nationen erreichen | |
außerdem einen neuen Tiefpunkt. Anfang Oktober hatte das Land | |
UN-Generalsekretär Guterres die Einreise verweigert. Israels UN-Botschafter | |
schredderte im Mai auf dem Rednerpult der Generalversammlung die UN-Charta. | |
Seit Kriegsbeginn wurden mehr als 200 UN-Angestellte getötet, mehr als in | |
jedem anderen Konflikt seit der Gründung der UNO. | |
Im schlimmsten Fall droht Israel ein Ausschluss aus den UN. Ein solcher | |
Schritt wäre auf Grundlage der UN-Charta möglich, wenn ein Mitgliedstaat | |
deren Grundsätze beharrlich verletzt. In der UN-Geschichte wäre das ein | |
Novum. Die USA würden einen solchen Schritt aber fast sicher durch ein Veto | |
verhindern. | |
5. Wer übernimmt UNRWAs Rolle? | |
Die [3][von der Knesset beschlossenen Gesetze sehen keine Alternative vor]. | |
Netanjahus Büro teilte noch am Abend mit, Israel sei bereit, mit | |
internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um humanitäre Hilfe für | |
Zivilisten in Gaza zu ermöglichen. [4][Wie das funktionieren soll, ist | |
völlig unklar]. „Ohne UNRWA käme die Versorgung, die Betreuung von | |
Unterkünften und der Betrieb von Gesundheitseinrichtungen für den Großteil | |
der Menschen in Gaza zum Erliegen“, sagte UNRWA-Sprecher Jonathan Fowler am | |
Dienstag. | |
Israelische Organisationen oder die Armee kommen kaum als Ersatz in Frage, | |
da sie kein Vertrauen in der Bevölkerung genießen und angesichts noch immer | |
operierender Hamas-Zellen leicht zu Zielen von Angriffen werden könnten. | |
Andere internationale Organisationen dürften kaum binnen weniger Wochen ihr | |
Personal ausreichend aufbauen können, um rund 13.000 UNRWA-Angestellte zu | |
ersetzen. Andere UN-Organe, etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO oder | |
das Welternährungsprogramm WFP, könnte ehemalige UNRWA-Beschäftigte | |
übernehmen. Das aber würde der israelischen Sicht widersprechen, die UNRWA | |
als von der Hamas betrachtet. | |
29 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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