| # taz.de -- Bremens Gesundheitssenatorin: „Die Fundamentalkritik an der Klini… | |
| > Mit Claudia Bernhard macht ausgerechnet eine linke Gesundheitspolitikerin | |
| > eine Klinik dicht. Dazu verteidigt sie die umstrittene Krankenhausreform. | |
| Bild: Resolut: Claudia Bernhard (Die Linke) | |
| taz: Frau Bernhard, ich habe mal einen Spruch gehört: Wenn du als Politiker | |
| nicht wiedergewählt werden willst, dann schließe ein Krankenhaus. | |
| [1][Claudia Bernhard]: Ja, den kenn ich. | |
| taz: Sie haben im vergangenen Herbst verkündet, dass Sie eines der | |
| bekanntesten Krankenhäuser Bremens schließen werden. | |
| Bernhard: Verlagern, nicht schließen. Wir verlegen die medizinischen | |
| Angebote an eine andere Bremer Klinik. | |
| taz: Bei der örtlichen Presse sind Sie damit jedenfalls nicht gut | |
| weggekommen. Ausgerechnet eine linke Gesundheitssenatorin schließt ein | |
| Krankenhaus, hieß es da. | |
| Bernhard: Krankenhaus-Umstrukturierung ist kein einfaches Thema, das ist | |
| sehr emotional. Aber 2019 stand der kommunale Klinikverbund kurz vor der | |
| Insolvenz. Mindestens zweistellige Millionenbeträge wurden da jährlich | |
| reingebuttert, das halten Sie auf Dauer nicht durch. | |
| Es gab nur die Frage: Riskieren wir den gesamten Verbund von vier | |
| städtischen Krankenhäusern, um alles so zu lassen wie bisher, oder wagen | |
| wir drastische Einschnitte bei einem einzelnen. Die Haltung „Alles richtig | |
| machen, aber nichts verändern“ lässt sich nur aus der Opposition gut | |
| vertreten. Als kommunale Politikerin muss ich dafür sorgen, dass hier die | |
| Kliniken auf Dauer überleben können. | |
| taz: Ist das die Blaupause für das, was bundesweit in den nächsten Jahren | |
| kommen soll? Die Gesundschrumpfung durch die Krankenhausreform? | |
| Bernhard: Die Krankenhausreform ist kein Sparprogramm und darf auch nicht | |
| als solches verstanden werden. Es geht darum, das Geld so zu verteilen, | |
| dass die Patientenversorgung verbessert wird. Das ist das A und O. | |
| taz: Ist es das auch wirklich? | |
| Bernhard: Wir haben eine Reihe von Interessengruppen, bei denen das | |
| Patientenwohl nicht immer nur an erster Stelle steht – das gilt für die | |
| niedergelassenen Ärzte, die Krankenkassen, die Träger der Krankenhäuser bis | |
| hin zum Bund. Alle haben mehr oder weniger eine ökonomische Schraube im | |
| Hinterkopf, und die macht die Versorgung nicht besser. | |
| Die Finanzierung muss so gestaltet sein, dass es mehr ambulante | |
| Behandlungen gibt, die Hochleistungsmedizin konzentriert wird und | |
| gleichzeitig die Grundversorgung so breit und gut aufgestellt ist, dass sie | |
| auch in der Fläche funktioniert. Billiger ist das jedenfalls nicht, aber | |
| effizienter für die Patienten. | |
| taz: Dass Krankenhausleistungen von zu vielen Standorten angeboten werden, | |
| das ist vor allem ein Problem in den Ballungsräumen. Haben Sie ein | |
| praktisches Beispiel aus Bremen? | |
| Bernhard: An fünf bis sieben Standorten werden in Bremen Gefäßchirurgie | |
| oder orthopädische Eingriffe angeboten. Aus Effizienzgründen müsste das | |
| nicht sein. Aber die Krankenhausträger schauen natürlich, was für sie in | |
| der Akut- und Nachbehandlung lukrativ ist. Auch unsere städtischen Kliniken | |
| machen das so. Wir konnten auch nicht riskieren, dass bestimmte | |
| Behandlungen nur noch von privaten Kliniken angeboten werden. Damit wäre | |
| das Gesundheitsangebot gar nicht mehr beeinflussbar. | |
| taz: „Links der Weser“ heißt die Klinik, die Sie schließen beziehungsweise | |
| deren Angebote verlagert werden. Das war doch mal ein sehr erfolgreiches | |
| Krankenhaus, oder? | |
| Bernhard: „Links der Weser“ hatte lange Zeit schwarze Zahlen geschrieben, | |
| was bei einem Herz-Kardio-Schwerpunkt-Krankenhaus auch erwartbar ist. Aber | |
| auch dort gingen die Erlöse ab 2019 entgegen den Prognosen zurück. Man | |
| dachte, die Erlöse im Gesundheitsbereich, die Anzahl der Eingriffe würden | |
| immer weiter steigen. Aber spätestens 2019 stellte sich heraus, dass sie | |
| stagnieren beziehungsweise zurückfallen. Die Defizite wurden größer, schon | |
| da wurde es für die städtischen Träger bedrohlich. | |
| Und dann kam die Coronapandemie, und die Menschen gingen nur noch ins | |
| Krankenhaus, wenn es unbedingt sein musste. Da kam der freie Fall, anders | |
| kann man das nicht sagen. Bis heute haben wir die schon 2019 schrumpfende | |
| Zahl an Behandlungen nicht wieder erreicht. Dazu kam die Energiekrise, die | |
| die Krankenhäuser als echte Energieschleudern besonders getroffen hat. Und | |
| die allgemeine Verteuerung. [2][Und der Personalmangel]. Diese Punkte | |
| zusammengenommen haben inzwischen dazu geführt, dass die Insolvenzen massiv | |
| gestiegen sind und drei Viertel der Krankenhäuser rote Zahlen schreiben. | |
| taz: Während Links der Weser ins Minus rutschte, eröffnete eine Klinik, neu | |
| gebaut am Krankenhausstandort Bremen-Mitte. | |
| Bernhard: Das ist genau der Punkt. Wenn wir Angebote verlagern, sind | |
| Umbauten notwendig. Es muss Geld ins System, dann sind auch Investitionen | |
| notwendig. Effiziente Medizin braucht nachhaltige Gebäude mit optimierten | |
| Wegen. Das können einige der alten Häuser nicht leisten. Ein Umbau von | |
| Links der Weser hätte einen hohen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. | |
| taz: Was genau ist passiert, als Sie im September 2023 [3][die Verlagerung | |
| und Schließung] von Links der Weser verkündet haben? | |
| Bernhard: Wir haben die Pläne und die Gründe in einer großen | |
| Regionalkonferenz vorgestellt. Die war brechend voll und wurde auch via | |
| Social Media gestreamt. Ich war da mit dem Bürgermeister (Andreas | |
| Bovenschulte, SPD; Anm. der Red.) und dem Finanzsenator und wir wurden drei | |
| Stunden gezwiebelt. Das war keine angenehme Veranstaltung, und das ist ja | |
| auch klar: Da steckt viel Herzblut drin, Emotionen, Ängste. | |
| taz: Nun ist Bremen zwar nicht riesig, aber was machen die Leute, die links | |
| der Weser wohnen – haben die dann nicht deutlich weitere Wege? | |
| Bernhard: Es sind fünf Kilometer, einmal über die Brücke, bis zum Klinikum | |
| Mitte. Außerdem haben wir in einer Analyse festgestellt, dass ein Großteil | |
| der Patienten des Klinikums gar nicht aus der unmittelbaren Umgebung | |
| kommen. Sondern zum Teil sogar aus angrenzenden Bundesländern – die sich | |
| aber natürlich nicht an den nötigen Investitionskosten beteiligen. Wir | |
| wollen am Standort auch eine medizinische Anlaufstelle erhalten, ein | |
| ambulantes Zentrum. | |
| Diesen Bedarf gibt es im Übrigen auch in anderen Stadtteilen, die noch nie | |
| eine Klinik hatten. Die Arztpraxen gehen ein, der Nachwuchs fehlt. Die | |
| ambulante Struktur müssen wir in der Gesundheitsplanung unbedingt | |
| mitdenken, das lässt sich gar nicht trennen von der Krankenhausplanung. Da | |
| muss der Bund auch schneller werden, um die sektorenübergreifende, | |
| niedrigschwellige Versorgung einfacher zu machen und finanziell zu | |
| unterstützen. | |
| taz: Hat Bremen das Soll der Krankenhausreform jetzt schon erfüllt oder | |
| muss noch mehr verlagert werden? | |
| Bernhard: Die ursprünglich geplanten Vorgaben des Bundes könnten weit | |
| drastischere Auswirkungen haben. Wenn ich das radikal durchdekliniert | |
| hätte, dann hätten wir hier im Stadtgebiet Bremen nur noch die Hälfte an | |
| Kliniken statt bisher zehn. | |
| taz: Ist das der Kahlschlag, von dem die örtliche Presse schreibt? | |
| Bernhard: Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Die konkreten Vorgaben | |
| werden über die Verordnungen festgelegt, die Anfang 2025 definiert werden. | |
| Das Reformgesetz soll am Donnerstag durch den Bundestag, und ob es den | |
| Bundesrat im November passiert, ist offen. Ob Lauterbach für die | |
| Landesverordnungen, die für die Umsetzung des Gesetzes nötig sind, die | |
| Zustimmung der Bundesländer bekommt und wie die genau aussehen wird – das | |
| sind Fragen, die noch gar nicht beantwortet sind. | |
| taz: Es gibt eine gemeinsame Stellungnahme der Bundesländer, in der sie | |
| sich gegen eine Einflussnahme des Bundes auf die Krankenhausplanung | |
| verwehren. Wäre es denn nicht viel einfacher für die Lokalpolitiker, wenn | |
| mehr Vorgaben vom Bund kommen? | |
| Bernhard: Schon ganz zu Beginn meiner Amtszeit habe ich ein Gutachten zur | |
| Krankenhausumstrukturierung in Auftrag gegeben, weil klar war, so geht es | |
| nicht weiter. Dann habe ich versucht, die Leiter der Krankenhäuser alle an | |
| einen Tisch zu bekommen, damit sie sich in Sachen Kooperationen und | |
| Zusammenlegung freiwillig aufeinander zubewegen. Da gab es durchaus | |
| vorsichtiges Bemühen, aber letztlich fokussieren sich alle darauf, ihren | |
| Standort zu bewahren und abzuwarten. Dann kam Lauterbach mit seinen | |
| Reformplänen, und der Druck wurde größer. Das ist durchaus von Vorteil, ja. | |
| taz: Man könnte etwas böse sagen: Die Bundesländer bestehen auf ihrer | |
| Krankenhausplanungskompetenz, haben sie aber seit Jahrzehnten nicht | |
| besonders gut wahrgenommen. | |
| Bernhard: Dem würde ich nicht widersprechen. Man hätte schon viel früher | |
| anfangen können. Aber Wahlperioden sind kurz und Haushaltsperioden noch | |
| kürzer. | |
| taz: Also wäre Ihnen mehr Steuerung durch den Bund gar nicht so unrecht? | |
| Bernhard: Sie denken, eine zentrierte, staatliche Gesundheitsplanung wäre | |
| einfacher? Vielleicht. Dafür gibt es ja auch aktuelle Beispiele aus dem | |
| skandinavischen Raum. Aber man darf nicht vergessen: Das ist unglaublich | |
| teuer, das hat man schon in dem viel kleineren Land Dänemark gesehen. Der | |
| Bund beharrt außerdem darauf, dass die Länder die Investitionskosten | |
| mittragen, dann wollen wir natürlich auch mitbestimmen. | |
| taz: Aber die Länder zahlen doch seit vielen Jahren nicht einmal die Hälfte | |
| der nötigen Investitionen. Oder ist das in Bremen anders? | |
| Bernhard: Das kommt schon hin. Es gab mal vor längerer Zeit die Fiktion, | |
| dass die städtischen Kliniken so viel Gewinn machen, dass sich daraus die | |
| Baukosten für das neue Klinikum in Bremen-Mitte finanzieren lassen. Das hat | |
| sich nie bewahrheitet. Aber mal ehrlich: Glauben Sie, beim Bund würde das | |
| anders aussehen? Mit Schuldenbremse und Herrn Lindner im Nacken? Der Bund | |
| verlagert doch auch, wo er kann, die Kosten für die Umstrukturierung auf | |
| die Bundesländer und die gesetzlich Versicherten. | |
| taz: Bei allen offenen Punkten und Detailkritik: Können Sie mit dem | |
| Reformgesetz, wie es jetzt im Bundestag beschlossen werden soll, leben? | |
| Bernhard: Wenn die Reform jetzt scheitert, das wäre fatal. Dann wird es für | |
| uns Realpolitiker in den Ländern bezüglich jeglicher Veränderung sehr viel | |
| schwerer. Das Gesetz wird die Situation zumindest verbessern. | |
| taz: Dem würden Ihre Linke-Parteikollegen im Bundestag aber widersprechen. | |
| Die üben Fundamentalkritik an der Reform. Auch bei den Ost-Wahlen stand auf | |
| den Wahlplakaten der Linken „Jede Klinik zählt“. | |
| Bernhard: Ich teile die Kritik, dass die neue Finanzierung sich noch immer | |
| zu stark an Fallzahlen orientiert. Perspektivisch muss sich das ändern. | |
| Aber die Fundamentalkritik – man sollte den Krankenhäusern einfach das | |
| zahlen, was es kostet –, die teile ich nicht. Das Krankenhauswesen ganz | |
| frei von ökonomischen Zwängen halten zu wollen, das halte ich für naiv. Das | |
| funktioniert nicht, und zwar in keinem politischen System. | |
| taz: Die Eigeninteressen aller Beteiligten sind auch im Reformprozess | |
| deutlich zu spüren. | |
| Bernhard: Oh ja, da erwarte ich noch große Widerstände. Aber ich bin der | |
| Überzeugung, dass wir als kleines Bundesland hier gute Voraussetzungen | |
| haben, um die nötige Umstrukturierung beispielhaft zu realisieren. | |
| taz: Zurück zum Spruch vom Anfang: Riskieren Sie Ihre Wiederwahl, weil Sie | |
| einen oder mehr Klinikstandorte verlagern und schließen müssen? | |
| Bernhard: Es wurde schon im Wahlkampf 2023 versucht, gegen mich Stimmung zu | |
| machen, mit grenzwertigen Argumenten und ausgeprägten Anfeindungen. Hat | |
| nicht funktioniert. | |
| 17 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.gesundheit.bremen.de/das-ressort/senatorin-16853 | |
| [2] /Modellprojekt-setzt-auf-gute-Bedingungen/!5988959 | |
| [3] /Klinikschliessung-in-Bremen/!5944920 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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