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# taz.de -- Clemens Meyer auf der Buchmesse: Welches Modell hätten Sie gern?
> Clemens Meyer ist ausgerastet, weil er den Deutschen Buchpreis nicht
> bekommen hat. Die Preisträgerin Martina Hefter ist das Gegenteil:
> solidarisch.
Bild: Martina Hefter, Gewinnerin des Deutschen Buchpreis 2024
Große Aufregung um Clemens Meyer. Ganz zu Recht! Ein Autor, der „Ihr
elenden Wichser“ pöbelt, weil er den Deutschen Buchpreis nicht bekommen
hat. Der sich dann [1][in einem Spiegel-Interview] in eine Linie mit Alfred
Döblin und Günter Grass stellt und darüber hinaus sein Verhalten damit
erklärt, dass er schon allein deshalb mit dem Preis fest gerechnet hat,
weil er seine hohen Steuerschulden und eine Scheidung bezahlen muss. Das
ist schon ganz großes Kino und wie gemacht für die Erregungskurven der
sozialen Medien.
Die einen können von „Fremdscham“ berichten oder die Abschaffung des
„männlichen Autoren-Egos“ fordern. Die anderen können sich zumindest für
sein Werk in die Bresche werfen und behaupten, dass Meyers Roman „Die
Projektoren“ doch auf jeden Fall den Preis verdient gehabt hätte. Wieder
andere können anerkennen, dass der Autor mit diesem Eklat immerhin auf die
prekäre Einkommenssituation auch bekannter Schriftsteller aufmerksam macht.
Und noch andere können ihrem Ärger Ausdruck verleihen, dass nun alle über
Clemens Meyer reden und nicht wenigstens ein paar Tage lang vor allem über
die tatsächliche Preisträgerin Martina Hefter. Das klickt sich alles.
Vielleicht sollte man sich aber auch einmal ansehen, wie sich Clemens Meyer
und Martina Hefter zueinander verhalten. Dann könnte man wahrnehmen, dass
sie geradezu idealtypisch zwei Autorenmodelle verkörpern, zwischen denen es
im gegenwärtigen Literaturbetrieb offenbar eine Entscheidungssituation
gibt.
Clemens Meyer verkörpert in diesem Doppel das einsame, aus brachialer
Schaffenskraft handelnde Originalgenie. Große, Ehrfurcht gebietende Werke
behaupten – 1.000 Seiten! –, Anerkennung und Aufmerksamkeit einfordern,
sonst die Welt verfluchen: Als Clemens Meyer 2008 den Leipziger Buchpreis
gewann und sofort jubelnd, Bierflasche noch in der Hand, die Arme hochriss,
wurde das noch als Authentizität gewertet. Jetzt steht er eher wie ein
Elefant im Porzellanladen da.
## Solidarische Gewinnerin
Martina Hefter ist dazu der aktuelle Gegenentwurf. Schon als Nominierte auf
der Long- und dann der Shortlist zum Deutschen Buchpreis hat sie stets
besonders deutlich gemacht, wie gut sie die anderen nominierten Romane
findet, bei jeder Gelegenheit hat sie die Solidarität unter den
Schriftsteller*innen betont.
Als sie den Preis bekommen hat, hat sie in ihrer Dankesrede ihr soziales
Umfeld erwähnt. Insgesamt knüpft sie an die Aktion des Autors Dinçer
Güçyeter an, der, als er 2023 den Leipziger Buchpreis gewann, auch die
Autor*innen, die leer ausgegangen waren, mit auf die Bühne holte. So ein
Bild wechselseitiger Anerkennung mit Clemens Meyer? Kaum denkbar.
Diese Unterschiede spiegeln sich auch in ihren jeweiligen Romanen. Meyers
„Projektoren“ verkörpern das gewichtige Epochenwerk: dick, erzählerisch
ausholend, breitbeinig. Klar geht man davor erst mal ein Stück weit in die
Knie. Hefters Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ ist dagegen
spielerischer, auch ein eleganter Umgang mit Schicksalsschlägen. Man kann
an diesem Text bewundern, wie die Autorin Schmerz in Literatur verwandelt.
## Knappe Entscheidung
Wie man hört, hat sich die Jury des Deutschen Buchpreises sehr schwergetan,
sich zwischen diesen beiden Büchern zu entscheiden, kein Wunder. Dass
Meyers Roman bedeutend ist, wurde gesehen, letztendlich hat sich die
Mehrheit aber für einen nicht so auftrumpfenden Literaturansatz
entschieden. Das kann im nächsten Jahr die nächste Jury schon wieder anders
halten. Doch dass Clemens Meyers Autorenmodell zum Glück nicht mehr von
sich aus hegemonial ist, das wird bestimmt so bleiben.
20 Oct 2024
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/kultur/clemens-meyer-und-der-deutsche-buchpreis-scha…
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
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