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# taz.de -- Linke Selbstverteidigung: Schreien, schieben, boxen!
> Mit Nazis reden? Damit ist jetzt Schluss. Um sich auf die nächste
> Begegnung mit Nazis vorzubereiten, geht unsere Kolumnistin zum
> Boxtraining.
Bild: Die Linke trifft: Selbstverteidigung lernen auch mit geringem Kampfgewicht
Links, rechts, links, rechts, links. Ich haue meine Hände in die Luft. Mit
über dreißig Frauen stehe ich in einem stinkenden Raum, der Boden ist grau
gepolstert, als erstes Lied läuft „Eye of the Tiger“ (ja, wirklich). Dazu
sollen wir diagonale Haken schlagen, gleichzeitig springen die Füße
abwechselnd vor und zurück „Handgelenke anspannen“, sagt die Trainerin. Wie
soll das gehen? Wahrscheinlich sehe ich aus wie eine Heuschrecke, die
Hampelmänner macht. Ich konzentriere mich aufs Atmen, weil ich sonst
losprusten muss. Was mache ich hier?
Im August war Christopher Street Day in Bautzen. Rund 700 Neonazis
[1][marschierten gegen die queere Demonstration auf]. Sie schwenkten
Reichskriegsflaggen und skandierten ekelhafteste Sprüche. Eine Woche später
[2][versuchten Rechte in Leipzig das gleiche]. Aggressive Neonazi-Mobs,
meiner Kollegin macht das Angst: „Mit Nazis reden, vielleicht ist das jetzt
vorbei“, sagt sie. Stattdessen sollten wir lieber lernen uns für den
Ernstfall zu verteidigen.
Ich bin 1,63 Meter, 51 Kilo Kampfgewicht. Wenn mich jemand umhauen will,
haut er mich um. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zwar habe ich letztens
nach regelmäßigem Pilatestraining meinen Trizeps entdeckt, aber der wird
nicht reichen. Also gehe ich [3][zum Boxtraining].
Mein rechtes Bein ist das starke. Aber ich beginne mit links, mit
Front-Kicks. Ich soll mich in die Auslage stellen, das heißt: starkes Bein
nach hinten, schwächeres nach vorne – und mit dem vorderen Bein in den
Bauch der Frau gegenüber kicken. Ich habe noch nie jemanden getreten. Was,
wenn ich ihr wehtue? Mir ist die Situation unangenehm. Also grinse ich sie
an, während ich kurz oberhalb ihres Bauchnabels tippe, da wo die Leggings
aufhört. Hoffentlich geht das bei einer Naziwampe besser.
Mit dem Boxkissen habe ich kein Mitgefühl. Kick nach vorne, Treffer, meine
Fußsohle klatscht genau auf die eingerissene Stelle in der Mitte des
Kissens. Mit rechts fühlt sich mein Tritt fast schon gefährlich an.
## Immer lauter schreien als Nazis!
Dann sollen wir uns gegenseitig durch den Raum schieben, eine Übung für die
Selbstbehauptung. Ich fasse meine Übungspartnerin an den Schultern, stemme
mich gegen sie und schiebe sie nach vorn. Schwerer als gedacht. Im nächsten
Schritt sollen wir schieben und gleichzeitig schreien, am besten aus dem
Bauch heraus, da kommt auch die Kraft her. Ich hole tief Luft, suche nach
dem Lautstärkeregler meiner Stimme. Viel zu kehlig schreie ich ihr ins
Gesicht und schiebe. Ich bin überrascht: Sie lässt sich durch das Schreien
einfacher wegschieben. Als würde sie plötzlich sieben Kilo weniger wiegen.
Dann die dritte und letzte Stufe, wir sollen beide schreien. Ahhhhhhhhh,
als würde eine Sirene heulen. Die Trainerin verlässt den Saal, um ihre
Ohren zu schonen. Ich drücke die Schultern meiner Partnerin von mir weg,
mein Körper stemmt sich gegen ihren Widerstand, aber sie hat die Kilos
wieder drauf. Es ist, als würde ich durch Honig waten. Nachdem ich sie
geschätzt zwölf Meter über die Matte geschoben habe, ächze ich nach Luft.
Wenn wir uns mit unserer Stimme wehren und schreien, macht das einen
spürbaren Unterschied, lerne ich. Das Schieben fällt leichter, aber es ist
auch einfacher standzuhalten.
Was heißt das? Immer lauter schreien als Nazis!
20 Oct 2024
## LINKS
[1] /CSD-in-Bautzen/!6029166
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[3] /Im-Box-Camp-in-Thailand/!6022253
## AUTOREN
Sophie Fichtner
## TAGS
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