# taz.de -- Fotograf über seinen USA-Bildband: „Ich will wissen, was auf den… | |
> Der Fotograf Michael Dressel lebt seit Jahrzehnten in den USA. Seinen | |
> Blick auf das Land zeigt der Bildband „The End Is Near, Here“. | |
taz: Herr Dressel, in gut drei Wochen wird in den USA gewählt. Sie haben | |
kürzlich den Bildband „The End Is Near, Here“ veröffentlicht. Für Sie | |
scheint klar, wer gewinnt: Donald Trump. | |
Michael Dressel: Nein, ich möchte da nicht dran glauben, so ein furchtbarer | |
Nihilist bin ich dann doch nicht. Aber ich bin Realist. Und als Realist | |
sehe ich, dass die Hälfte der Bevölkerung [1][Trump als Kandidaten] in | |
Betracht zieht, schon das sagt etwas über den Geisteszustand dieser Nation | |
aus, und der ist höchst beängstigend. Trump ist nur das Symptom für etwas | |
Größeres, für eine Krankheit, die darunter liegt. Er ist das hässliche | |
Geschwür, das man sieht. | |
taz: Sie zeigen auf Ihren Bildern Elend, die Begeisterung für Waffen, den | |
extremen Nationalismus, verödete Landschaften. Viele Figuren haben etwas | |
Fratzenhaftes und Verkommenes. | |
Dressel: Ich empfinde ein großes Unbehagen darüber, was sich kulturell und | |
politisch zusammenbraut. Diesem Gefühl wollte ich Ausdruck verleihen. Ich | |
wollte fünf Minuten vor dem Knall mal kurz zur Kenntnis geben, wie ich die | |
Sache sehe. | |
taz: Indem Sie den Verfall zeigen? | |
Dressel: Es gibt Leute, die sagen, meine Fotos seien einseitig und | |
tendenziös, es gebe schließlich auch schöne Dinge. Da kann ich nur sagen: | |
Ja natürlich, aber ich will ja die Welt oder Amerika nicht objektiv | |
beschreiben. Der Bildband ist ein persönliches Statement, ich überziehe | |
bewusst. Natürlich sind die Strände in Malibu immer noch schön, natürlich | |
ist [2][das Wetter in Los Angeles] weiterhin gut. Aber darum geht es in | |
diesem Fall nicht. | |
taz: Manche Menschen auf Ihren Bildern übertreffen jedes Klischee, das ist | |
schon wieder lustig. Wie finden Sie Ihre Motive? | |
Dressel: Ganz einfach, ich habe immer eine Kamera bei mir. Natürlich ist | |
Fotografie etwas Subjektives. Ich sehe Konstellationen, die für mich eine | |
gewisse Bedeutung haben. Ich fotografiere instinktiv, später schaue ich mir | |
die Bilder an und filtere. Als sich das Thema des Bildbandes | |
herauskristallisierte, dachte ich, dass es passen könnte, auch mal zu einer | |
Gunshow zu gehen oder zu einer Trump-Rally, da kommt man den Dingen sehr | |
nahe. | |
taz: Sie leben seit Jahrzehnten in Kalifornien, stammen aber aus Ostberlin. | |
Wegen eines Fluchtversuchs saßen Sie in der DDR zwei Jahre im Gefängnis. | |
Sie wurden ausgebürgert und gingen in die USA. Waren die Vereinigten | |
Staaten für Sie ein Sehnsuchtsort? | |
Dressel: Nein, ich bin auch nicht absichtlich ausgewandert. Aber nach zwei | |
Jahren Knast in der DDR hatte ich ein etwas abgekühltes Verhältnis zu | |
Deutschland im Allgemeinen. Auf der ersten großen Reise wollte ich Amerika | |
sehen, weil ich immer ein Filmfreak war, die Musik, die ganze Kultur | |
faszinierte mich. Da habe ich erlebt, wie frei Amerika Mitte der 80er war. | |
taz: „Land of the Free“? | |
Dressel: Ja. Diese Nation war damals von einer so unglaublich großzügigen | |
Lässigkeit, das war beeindruckend, wenn man aus dem deutschen Kleinscheiß | |
kam. | |
taz: Sie wollten eigentlich Maler sein. Wie sind Sie zur Fotografie | |
gekommen? | |
Dressel: Ich hatte Bühnenbild studiert in Weißensee, ich habe auch in den | |
USA noch gemalt. Dann kam die digitale Fotografie auf. Ich stellte fest, | |
wie schwierig es ist, in die Welt rauszugehen und aus dieser unendlichen | |
Vielfalt an Blickwinkeln den einen zu wählen, der für mich bedeutungsvoll | |
ist. Das hat mich sofort gekriegt. Die Fotografie wurde für mich zur | |
Obsession, und sie ist es immer noch. | |
taz: Ihr Geld haben Sie lange als Sound-Editor in Hollywood verdient. | |
Dressel: Kino war immer irre wichtig für mich. Ich habe aber irgendwann | |
gemerkt: Eigentlich interessiert mich viel mehr, was auf den Straßen los | |
ist. Da erfahre ich mehr über die Gesellschaft. Hollywood ist Fiktion und | |
Ablenkung. Meine Fotografie ist da wie eine Art Gegengift. | |
taz: Was müsste passieren, damit Sie wieder die schönen Strände von Malibu | |
fotografieren? | |
Dressel: Ach, die kann ich immer fotografieren, aber die sind nicht | |
wirklich von Belang. Das wäre dann nur für mich persönlich. | |
taz: Die Frage war ein Versuch, hier doch noch mit ein bisschen Zuversicht | |
zu enden … | |
Dressel: Ich sehne mich auch nach Zuversicht! Aber da ist der verdammte | |
Realismus, der mir immer in die Quere kommt. Wir stehen an einem | |
Wendepunkt. Das betrifft nicht nur Amerika, in Europa sieht es gar nicht so | |
anders aus. Klar, der Titel meines Bildbandes ist provokant. Er sagt: Ey, | |
guck mal, und dann gucken die Leute, wenn sie mögen. Aber man darf das auch | |
nicht überbewerten, so ein Buch, so ein paar Fotos werden die Welt nicht | |
verändern. | |
23 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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