| # taz.de -- Sci-Fi-Film „The Beast“ mit Léa Seydoux: Wo Unvernunft vernün… | |
| > In Bertrand Bonellos Sci-Fi-Drama „The Beast“ will künstliche Intelligenz | |
| > den Menschen die Gefühle abtrainieren. Liebe passt da nicht. | |
| Bild: Coole Welt: Louis Lewanski (George MacKay) und Gabrielle Monnier (Léa Se… | |
| Gabrielle Monnier (Léa Seydoux) plagt die böse Vorahnung, dass ihr Leben | |
| durch eine große Katastrophe aus den Fugen geraten wird. Sie ist | |
| Konzertpianistin und wandelt im Jahre 1910 durch einen pompösen Salon in | |
| Paris, als sie auf Louis Lewanski (George MacKay) trifft. Der junge Mann | |
| erinnert sich an ihre Begegnung vor einigen Jahren. Ebenso an ihr Gespräch | |
| über diese diffuse und doch tiefsitzende Befürchtung, die sie ihm bereits | |
| damals anvertraute. | |
| Die Angst, die lähmt und limitiert, die verhindert und verkleinert, zieht | |
| sich als essenzielles Leitmotiv durch „The Beast“. [1][Der französische | |
| Filmemacher Bertrand Bonello] hat es einer Novelle von Henry James | |
| entlehnt. In „The Beast in the Jungle“ ist der männliche Protagonist von | |
| einem ganz ähnlichen Fatalismus befallen und lässt darüber sowohl die | |
| Chance einer bedeutenden Liebe als auch die besten Jahre seines Lebens | |
| verstreichen. | |
| [2][Bertrand Bonello („Saint Laurent“)], der in seinen Werken immer wieder | |
| eine Begeisterung für das Fantastische ([3][„Zombi Child“]) erkennen lässt | |
| und sich mit Lust an der Provokation mit dem Faszinosum „Prostitution“ | |
| („Haus der Sünde“) beschäftigte, spielt in seinem neuen romantischen | |
| Science-Fiction-Drama äußerst kunstvoll mit dieser Prämisse. | |
| Auf mehreren Zeitebenen verpflanzt er diese sonderliche Besorgnis in seine | |
| wiederkehrende, immer gleichnamige und gleichaltrige Protagonistin und | |
| setzt mit Verve zu einer mitreißenden Verteidigung der Gefühle als zentrale | |
| Richtschnur im Leben an. Der Maxime, das eigene Handeln nach starken | |
| Empfindungen auszurichten, wird in unserem aufgeklärten Zeitalter | |
| eigentlich mit Skepsis begegnet – umso mehr, seit es durch „Fake News“, | |
| „alternative Fakten“ und „gefühlte Wahrheiten“ gefährdet ist. | |
| Tiefempfundene Emotionen, insbesondere die Liebe, aber haben in Bonellos | |
| elliptischem Film als Kompass, der durch das Dasein lotst und | |
| Entscheidungen anleitet, nicht nur eine Berechtigung. Sie sind geradezu | |
| unabdingbar. Denn eine Welt, so suggeriert es „The Beast“, in der die reine | |
| Rationalität die Oberhand gewinnt und jedes Risiko hinwegkalkuliert wurde, | |
| ist eine deutlich unerträglichere, als es eine vom Chaos der Gefühle | |
| geleitete je sein könnte. | |
| ## Zu primitiver Tätigkeit gezwungen | |
| Am Eindrucksvollsten wird dieses argumentative Ansinnen im Handlungsstrang | |
| durchexerziert, der sich im Jahr 2044 abspielt. Im Paris der Zukunft | |
| scheint die Umwelt endgültig zerstört, über die leeren Straßen eilen | |
| vereinzelt verhuschte Gestalten mit futuristischen Gasmasken vor den | |
| Gesichtern. Gabrielle, erneut mit einnehmend zarter Melancholie von Léa | |
| Seydoux gespielt, wird darin zu einer primitiven Tätigkeit gezwungen. | |
| Tagein, tagaus wacht sie über die Temperatur eines ominösen säulenförmigen | |
| Datenträgers. Was sie für bedeutende Berufe untauglich macht, ist ihr | |
| ausgeprägtes Empfindungsvermögen. | |
| So erklärt es ihr eine sich materialisierende KI-Stimme aus dem Off, als | |
| sie sich in einem kargen Bürokomplex einfindet. Als Gabrielle sich über die | |
| berufliche Situation und den Mangel an Menschlichkeit darin echauffiert, | |
| weist die künstliche Intelligenz nüchtern darauf hin, dass es eben diese | |
| Gefühlsaufwallungen sind, die ihr einen Weg in verantwortungsvollere | |
| Position versperren. | |
| Die Menschheit habe sich exakt durch solche „Affekte“ beinahe selbst | |
| ausgelöscht, geht aus dem Gespräch hervor, von Bürgerkriegen und Pandemien | |
| ist die Rede. Nun, so betont es die intelligente Maschine, dürften | |
| Entscheidungen schlicht nicht mehr durch Stimmungen verzerrt werden. | |
| ## KI gegen unkontrollierbare „Affekte“ | |
| Doch auch eine vermeintliche Lösung bietet ihr die KI-Stimme an: Durch ein | |
| Verfahren, das Gabrielle in ihre vergangenen Leben eintauchen lässt, könne | |
| sie ihre DNA „bereinigen“ von vererbten Traumata, die sie durch | |
| einschneidende Erlebnisse in den vergangenen Jahrhunderten erlitten habe. | |
| Diese würden nun ihr Unbewusstes beeinflussen und jene unkontrollierbaren | |
| „Affekte“, wie Gefühle von der KI genannt werden, in ihr auslösen. | |
| Nur durch den Zuspruch einer zufriedenen Freundin angeleitet, beginnt | |
| Gabrielle den Prozess. Dem Film dient er als Ausgangspunkt in besagte | |
| Episode der Belle Époque sowie eine weitere im Jahr 2014 und damit als Weg | |
| in die unterschiedlichen Leben, die Gabrielle zuvor führte. | |
| Wie so oft, wenn sich Arthouse-Filmemacher der Mittel der Science-Fiction | |
| bedienen, richtet auch Bertrand Bonello das Hauptaugenmerk dabei nicht auf | |
| einen exzessiven Weltenbau. „The Beast“ hält sich weder damit auf, die | |
| technologischen Errungenschaften zu erläutern, die besagte transzendentale | |
| Zeitreisen ermöglichen, noch bedient sich der Film irgendeines schaurig | |
| beliebigen „Technobabble“. | |
| ## Ein steriles Morgen | |
| Stattdessen wird eine abstrahierte Zukunftsvision gezeichnet, in der | |
| Menschen nur noch wenig zu tun scheinen, was nicht einer strikt | |
| vernunftgetriebenen Logik entspringt. Einziger Fluchtpunkt sind diverse, | |
| über die Stadt verteilte Clubs, die vergangenen Epochen, etwa den 1960ern, | |
| 70ern und 80ern, gewidmet sind. Die Besucher darin tragen die jeweilige | |
| Mode der Dekade und tanzen beinahe mechanisch, wenig subtil, zu Songs wie | |
| „Fade to Grey“. | |
| Das so erzeugte Bild eines sterilen Morgen, in dem Gefühle als Gefahr | |
| wahrgenommen werden, genügt im Verbund mit einer wehmütigen Sehnsucht nach | |
| dem Gestern, um künstliche Intelligenz als Bedrohung zu zeichnen: Hier | |
| trägt die Rationalität in Reinform gar totalitäre Züge und will alles | |
| Eigene aberkennen, alles Abweichende loswerden – erweist sich als | |
| lebensfeindlich. | |
| Passend zu dieser Absage an die bloße Vernunft verlassen die Geschehnisse | |
| in „The Beast“ jenseits des klar strukturierten futuristischen Settings | |
| selbst regelmäßig das Gebiet der schlüssigen Zusammenhänge und des | |
| Durchdringbaren. So spielen ein unabänderliches Schicksal und | |
| Vorherbestimmung eine zentrale Rolle, insbesondere im Kontext der Beziehung | |
| zwischen Gabrielle und Louis, die sich schließlich auf allen drei | |
| Zeitebenen begegnen werden, begegnen müssen. | |
| ## Traumartige Unheimlichkeit | |
| Während sich in der im Jahre 1910 angesiedelten, im Stile eines | |
| Historiendramas inszenierten Episode eine Affäre zwischen ihnen anbahnt, | |
| begegnet Louis 2014 der als angehendes Model in Los Angeles wohnenden | |
| Gabrielle zufällig auf der Straße. In diesen Erzählstrang, der in seiner | |
| traumartigen Unheimlichkeit an die verzerrten Realitäten eines David Lynch | |
| erinnert, ist Louis zu einem frauenhassenden Mann, einem „Incel“ verkommen, | |
| der Gabrielle in der Villa, die sie gegen ein Taschengeld und Wohnrecht | |
| bewacht, auflauert. | |
| Mit erkennbarer Freude am Rätselhaften lädt Bertrand Bonello seine | |
| Erzählungen mit mystischen Motiven auf und lässt Gabrielle etwa immer | |
| wieder verhängnisvolle Begegnungen mit ominösen Tauben, leblosen Puppen | |
| oder unheilverkündenden Wahrsagerinnen machen. Nur dann, wenn es um den | |
| Wettstreit von Vernunft und Gefühl geht, wird „The Beast“ erneut deutlich: | |
| In allen drei Inkarnationen könnten Gabrielle und Louis zueinanderfinden | |
| und werden im Moment, in dem sie sich gegen die Möglichkeit der Liebe | |
| entscheiden, ins Verderben gestürzt. | |
| So faszinierend und verführerisch dieses filmische Plädoyer für die | |
| Bedeutung der Emotionen auch ist, bleibt auch dieser Film letztlich vor dem | |
| unlösbaren Widerspruch zwischen Leidenschaft und Logik stehen. Schließlich | |
| ist es genau die unkontrollierte Macht der „Affekte“, die die dystopische | |
| Zukunft in „The Beast“ heraufbeschworen hat. Welche zerstörerische Kraft | |
| sie entfalten können, wenn sie politisch instrumentalisiert werden, ist | |
| immerhin auch in unserer Gegenwart zu beobachten. Auch dass die lähmende | |
| Angst, die Gabrielle und Louis immer wieder voneinander trennt, selbst eine | |
| der intensivsten Empfindungen ist, lässt sich kaum leugnen. | |
| Vielleicht aber ist es für einen Regisseur, der die Kraft der Gefühle | |
| verteidigt, nur konsequent, sich selbst nicht streng der Ordnung der | |
| Vernunft zu unterwerfen. Und in dieser anregenden Unberechenbarkeit folgt | |
| man Bertrand Bonello nur allzu gerne. | |
| 8 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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