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# taz.de -- Frachtschiff „Ruby“ auf Abwegen: Das Problemschiff
> Der russische Frachter „Ruby“ irrt durch Nord- und Ostsee. An Bord
> befindet sich hochexplosives Ammoniumnitrat. Experten wittern ein Kalkül
> Russlands.
Bild: „Ruby“ beim Verlassen des Hafens von Tromsø, Norwegen, am 3. Septemb…
Wer hat schon Angst vor einem Schiff? Bei dem Frachtschiff „Ruby“ trifft
das anscheinend auf eine ganze Menge Staaten zu. Aufgrund ihrer
hochexplosiven Ladung gilt „Ruby“ derzeit als schwimmende Gefahr, der
niemand zu nahe kommen will.
Mit etwa 20.000 Tonnen Ammoniumnitrat an Bord irrt der 180 Meter lange
Frachter seit Wochen durch die Nord- und Ostsee. Am 22. August war „Ruby“
in der russischen Hafenstadt Kandalakscha unter maltesischer Flagge in See
gestochen. Gemäß Logbuch soll die Fracht zu den Kanaren transportiert
werden. Doch bereits kurz nach Verlassen des russischen Hafens zog sich das
Schiff unter unklaren Umständen Schäden am Rumpf zu. Dennoch setzte „Ruby“
ihre Fahrt zunächst fort, bis die Besatzung die norwegischen Behörden wegen
eines Sturms um Hilfe bat.
Von zwei norwegischen Schleppbooten wurde das Schiff am 1. September nach
Tromsø eskortiert. Die Behörden vor Ort entdeckten zwar Schäden, erklärten
es jedoch für seetüchtig. Es müsse sofort den Hafen verlassen, so die
norwegische Polizei, die von ihm ausgehende Gefahr sei zu groß.
Die norwegische Schifffahrtsbehörde wies darauf hin, dass von „Rubys“
Fracht „durch äußere Einflüsse wie Arbeiten am Schiff ein ziemlich großes
Risiko“ ausgehe. Auch Litauen, Dänemark und Schweden wiesen Anlegeanfragen
des Schiffs aus Angst vor einer Katastrophe ab. Seither zieht „Ruby“ die
Aufmerksamkeit europäischer Hafenbehörden, Wissenschaftler*innen und
Politiker*innen auf sich, die allesamt darüber diskutieren, wie
gefährlich sie nun tatsächlich ist.
Der Transport von Ammoniumnitrat, das hauptsächlich [1][zur Herstellung von
Düngemitteln] verwendet wird, ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Trotzdem
weckt das Material berechtigte Ängste: Der norwegische Rechtsextremist
Anders Behring Breivik [2][nutzte Ammoniumnitrat für seinen Terroranschlag]
im Osloer Stadtzentrum 2011. Bei einer Explosion im Hafen von Beirut 2020,
die mehr als 200 Menschen das Leben kostete, waren 2.750 Tonnen
Ammoniumnitrat [3][in Brand geraten]. „Ruby“ transportiert fast das
Achtfache dieser Menge.
Zwar betonen Sprengstoffexpert*innen, der Stoff sei schwer entzündbar.
Doch angesichts der potenziellen Sprengkraft wollen die Anrainerstaaten
kein Risiko eingehen. Laut Berechnungen sei sie vergleichbar mit „einer
Atombombe der ersten Generation“, wie der Tagesspiegel titelte.
## Teil eines größeren politischen Manövers?
Neben der Ladung stellt sich auch die Frage, ob „Ruby“ Teil eines größeren
politischen Manövers sein könnte. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs
gegen die Ukraine wird vor der sogenannten [4][Schattenflotte gewarnt] –
einer Gruppe veralteter Schiffe, die unter Drittstaatenflagge russische
Güter wie Öl oder Flüssiggas befördern, um [5][westliche Sanktionen zu
umgehen].
Jacob Kaarsbo, Spezialist für transatlantische Sicherheit, hält es für sehr
unwahrscheinlich, dass „Ruby“ nur Düngemittel transportiert. Stattdessen
äußert er gegenüber dem dänischen Sender DR seine Vermutung, der Frachter
könnte im Auftrag des Kremls unterwegs sein, um die Reaktionen aus dem
Westen zu testen. Die Frage, die sich dabei stellt, sei zentral für die
Strategie Russlands. Wie schnell und koordiniert reagieren die
Nato-Staaten, wenn Gefahr naht?
Der Verdacht Kaarsbos basiert auch auf vielen kaum nachvollziehbaren
Entscheidungen der Besatzung: Warum steuerte „Ruby“ nach ihrem potenziellen
Unfall weiter auf die Nordsee zu, anstatt in einem russischen Hafen Schutz
zu suchen? Warum musste sie unbedingt norwegische Gewässer ansteuern, wenn
der Wind an jenem Tag laut Daten des Meteorologischen Instituts von
Norwegen nicht außergewöhnlich hohe Geschwindigkeiten erreichte? Und ist es
nur ein Zufall, dass das Schiff häufig an Orten vorbeifährt, die sich durch
ihre Nähe zu wichtigen Nato-Basen, Ölfeldern und Offshore-Anlagen
auszeichnen?
Kurz nach dem Passieren der norwegischen Stadt Bergen meldete die Besatzung
der „Ruby“ den Totalausfall der Maschinen, was sie in einem der am meisten
befahrenen Seegebiete der Welt manövrierunfähig machte.
Dazu kommt, dass „Rubys“ Ziele sich immer wieder ändern. Erst war es Las
Palmas, dann Klaipeda in Litauen und jetzt Masaxlokk in Malta. Derzeit
ankert das Schiff nördlich des Ärmelkanals und wartet auf Kraftstoff. Dann
will es seinen Kurs gen Süden fortsetzen – auch wenn die maltesischen
Behörden bereits angekündigt haben, dass „Ruby“ nur dann einen Hafen
anlaufen dürfe, wenn ihre Fracht zuvor auf Schiffe außerhalb der
maltesischen Gewässer umgeladen werde.
Ob „Ruby“ nun ein harmloser Frachter ist oder doch ein Versuch des Kremls,
die westlichen Staaten zu testen, lässt sich womöglich nicht abschließend
klären. Vielleicht ist das größte Risiko auch nicht die Explosion, sondern
das Gefühl, sich von dem Schiff in die Irre führen zu lassen.
4 Oct 2024
## LINKS
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[3] /Explosion-in-Beirut/!5700400
[4] /Folgen-des-EU-Oelpreisdeckels/!5896959
[5] /Sanktionen-gegen-Russlands-Wirtschaft/!5945726
## AUTOREN
Katharina Federl
## TAGS
EU-Sanktionen
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