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# taz.de -- Verkehrspolitik in Deutschland: Rad-Mantra und Asphalt-Realität
> Gesundheitsfördernd, platzsparend, klimaschonend: Jeder redet vom
> Radfahren, aber auf unseren Straßen dominiert weiter das Auto. Warum
> eigentlich?
Bild: Das Fahrrad ist klasse. Es fördert Gesundheit, ist preiswert und spart M…
Ich habe eine neue Nachbarin. Sie hat außen an ihre Wohnungstür tibetische
Gebetsfahnen gehängt. Als ich das erste Mal an der bunt behangenen Tür
vorbeikam, traf mich die Erkenntnis: Das Fahrrad ist die Gebetsfahne
deutscher [1][Verkehrspolitik].
Seit 20 Jahren höre ich bei jeder politischen Veranstaltung zum Thema das
Mantra: [2][Das Fahrrad ist klasse]. Es fördert Gesundheit, soziales
Miteinander, schafft schon Kindern Freiräume und Möglichkeiten zur
Weltentdeckung. Es ist preiswert und spart Mitmenschen Lärm, Gestank und
Unfallgefahr. Es ist platzsparend, klimaschonend und dank Motor inzwischen
vom Pizzadienst bis zur Altenpflege sogar gewerblich von jedem nutzbar –
und ein Wirtschaftsfaktor. Mit dem Fahrrad kann man Ausflüge machen und es
bei entsprechender Einsatzfreude sogar selbst reparieren. Kurz: Das Fahrrad
ist die unglaubliche Verknüpfung individueller Freiheit bei gleichzeitigem
gesellschaftlichem Nutzen.
Auch in diesem Monat habe ich schon bei Ausstellungseröffnungen und
Kongressen Politiker von SPD, Grünen, CDU und der FDP die Bedeutung des
Rades preisen hören. Logisch: Unsere Städte sind verstopft und jeder statt
mit dem Auto zurückgelegte Radkilometer spart der Gemeinschaft Geld.
Deshalb wird das Rad in Paris, in Utrecht, in Kopenhagen entschieden und
mit langem Atem politisch gefördert.
In Deutschland werden nach wie vor für Autostraßen Stadtparks gerodet und
Häuser abgerissen. Deutschland hat nach ewigem Geiere jetzt ein neues
Straßenverkehrsgesetz, das immer noch die Freiheit des unbedingt überall
hin gelangenden Autos im Zentrum hat. Jede Tempo-30-Zone muss weiterhin
begründet werden – und hat gegebenenfalls keinen Bestand. Warum eigentlich?
Wo ist die deutsche Anne Hildalgo, die Bürgermeisterin von Paris, die
versucht, wirklich grundsätzlich etwas zu ändern? Und nicht stolz ist, wenn
wieder eine 200 Meter lange Fahrradstraße (mit Anwohner-frei-Schild und
rechts und links parkenden Autos) eröffnet wurde?
Warum übernehmen die Konservativen in Deutschland nicht Forderungen nach
sauberer Atemluft und Verkehrssicherheit? Ist der Schutz der Familie, der
Schutz von Kindern nicht eines ihrer Basisziele? Und sollte sich nicht
Leistung wieder lohnen? Autofahren heißt rumsitzen, Radfahren hingegen …
Und wie sieht es mit der Freiheit aus? Müssten Liberaler nicht fordern,
dass jeder für seinen Autoparkplatz selbst verantwortlich ist? Dass
Parkplätze ebenso wie der gesamte Autoverkehr nicht mehr von der
Allgemeinheit jährlich mit Milliarden subventioniert werden?
Meine Nachbarin hat mir erzählt, dass sie keine Buddhistin ist und nicht
meditiert, Meditation aber grundsätzlich toll findet. Die Fahnen hat sie an
die Tür gehängt, weil die schön bunt sind und irgendwie fröhlich wirken.
Eigentlich hängen solche Fahnen traditionell im Freien, damit sich die
Mantren im Wind verteilen. Aber auf dem Balkon stehen schon Blumen und
Kräuter, da ist kein Platz mehr für flatternde Gebete. Immer, wenn ich an
ihrer Tür vorbeigehe, denke ich jetzt: dekorativ ein kleines Zeichen
setzen, wo grad Platz ist – wie Radpolitik eben.
20 Sep 2024
## LINKS
[1] /Verkehrspolitik/!t5008630
[2] /Fahrrad/!t5007577
## AUTOREN
Kerstin Finkelstein
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