# taz.de -- SPD-Politiker über seine Partei: „Wir haben jetzt die Rolle der … | |
> In Thüringen verlor sogar Matthias Hey sein Direktmandat. Er sagt, | |
> mancherorts sei die SPD nicht mehr vorhanden. Doch die Partei | |
> abschreiben? Nein. | |
Bild: Da waren es nur noch sechs: Die SPD-Fraktion in Erfurt – Matthias Hey (… | |
taz: Herr Hey, in Thüringen haben bei der Landtagswahl gerade noch 6,1 | |
Prozent der Wählenden ihr Kreuz bei der SPD gemacht. Der Abwärtstrend hält | |
schon seit Jahren an. Lässt sich der noch aufhalten? | |
Matthias Hey: Tja, als ich 2009 in den Landtag kam, da hatten wir noch 18 | |
Prozent. 2014 sind wir runter auf 12 Prozent, fünf Jahre später waren es | |
noch 8 und jetzt 6 Prozent. Das ist schon beängstigend. Wir reden von der | |
ältesten mitteleuropäischen Partei, die in meiner Stadt Gotha 1875 laufen | |
gelernt hat. Jetzt haben wir die Rolle der FDP, sage ich mal so, als | |
kleinste Fraktion im Thüringer Landtag. Und das kann für eine solch stolze | |
Partei nicht der Anspruch sein. | |
taz: Wie lässt sich das ändern? | |
Hey: Das hängt von vielen Dingen ab. Zum Beispiel von pragmatischer | |
Landespolitik. Wir haben in der jetzigen Situation gemerkt, dass die Lage | |
der Ampel im Bund, also der Koalitionsstreit, auf uns niedergeregnet ist. | |
taz: Hat die Bundesspitze der SPD hat schon begriffen, wie schwer gerade | |
die Situation in Sachsen und in Thüringen ist? | |
Hey: Na ja. Völlig ohne Not – und wie ich finde, inhaltlich falsch – hat | |
vor wenigen Wochen das Präsidium der SPD einen Beschluss gefasst, wie dufte | |
das ist, in zwei Jahren wieder [1][Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden | |
zu stationieren], die Richtung Moskau zeigen. Dass die das ernsthaft vor | |
zwei entscheidenden Landtagswahlen im Osten tut, wo die Leute das | |
Wettrüsten satthaben, das ist fatal. Und es lässt nur zwei Schlüsse zu: | |
Entweder man hat im Willy-Brandt-Haus nicht so richtig begriffen, wie der | |
Osten tickt. Oder man kalkuliert das ein und der Osten ist einem dann egal. | |
Beide Begründungen gefallen mir nicht. | |
taz: Warum ist die SPD in Thüringen, wo sie doch in Gotha das Laufen | |
lernte, so schwach? | |
Hey: Also in Gotha ist sie sehr stark. Wir sind am Wahlabend mit 34,6 | |
Prozent nur um 27 Stimmen am Direktmandat vorbeigeschrammt. Und das, obwohl | |
eine schmutzige Kampagne fälschlich behauptete, ich läge schon im Hospiz | |
und ein Kreuz bei mir mache keinen Sinn. Auch in einzelnen Städten, Erfurt, | |
Jena, Eisenach, können wir noch punkten. Aber insgesamt gilt schon, was Sie | |
sagen. Es gibt Regionen in Thüringen, da ist die SPD de facto nicht mehr | |
vorhanden. Zumindest nicht als eine Partei, die Ortsvereine besitzt, die | |
Jusos hat. Es gibt Teilstriche, da leben noch 10 Genossen, die sind alle | |
über 70 und haben alle schlechte Laune. Wir haben das flache Land verloren. | |
Und solche Strukturen zurückzuerobern, ist unglaublich schwierig, da die | |
Räume längst neu besetzt sind. | |
taz: Unglaublich schwierig oder unmöglich? | |
Hey: Nein, unmöglich ist das nicht. Man darf die SPD nie abschreiben. Aber | |
sie muss bundesweit an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, damit die Leute | |
sagen: Diese drei Buchstaben sind der Anwalt meiner Interessen. Denn | |
aktuell stelle ich fest, dass [2][beispielsweise das Arbeitermilieu längst | |
die SPD als Partner im Parlament] abgeschrieben hat und AfD wählt. | |
taz: Wie wollen Sie es schaffen, dass es wieder mehr als 10 Genossen | |
werden? | |
Hey: Wir müssen unsere Sichtbarkeit wieder herstellen. Vielleicht sollten | |
wir, ich spinne jetzt mal, eine Art Kasse gründen, in die jeder Mandats- | |
und Funktionsträger der SPD jeden Monat etwas einzahlt, damit wir im | |
ländlichen Raum zum Beispiel ein SPD-Büro haben, wo sich Jusos abends | |
treffen und Leute hingehen können, um sich meinetwegen zu beschweren. Es | |
ist wichtig, dass wir auf dem Land überhaupt da sind. | |
taz: Und dann treten die Leute wieder in die SPD ein? | |
Hey: Nicht einfach so. Wir erleben im ländlichen Raum eine | |
Entpolitisierung. Es gibt Gemeinderäte, da gibt es gar keine Parteien mehr. | |
Die Leute glauben, insbesondere im Osten, dass dieses Zusammenwirken von | |
bestimmten Funktionären und einer Partei nicht gut ist. Das [3][rührt aus | |
der Vergangenheit he]r, denn die Partei war schlechthin die SED. Damit | |
wollte man nichts zu tun haben. Jetzt gerieren sich Leute, die sich Freie | |
Wähler nennen oder die parteilos sind, als die Besseren. Das ist ein großes | |
Problem, nicht nur für die SPD. Krankenversicherung, Rentensystem, Straßen, | |
Schulen – das alles haben Parteien gemacht. Wir müssen den Leuten | |
begreifbar machen, dass es nichts Übelriechendes ist, wenn du Mitglied | |
einer Partei bist. Ich rede ja gar nicht davon, dass alle in die SPD | |
müssen. Wir brauchen auch eine starke CDU oder etwa die Grünen. | |
19 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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