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# taz.de -- Kunst im.Exil: Lauter Leerstellen
> In Berlin nimmt eine Ausstellung die ukrainische Literaturgeschichte in
> den Blick. „Antitext“ entstand in Kooperation mit dem Literaturmuseum
> Charkiw.
Bild: Der ukrainische Dichter Andriy Malishko
Äußerliche Ähnlichkeiten gibt es keine zwischen dem alten Hotel Continental
im ukrainischen Mariupol und dem erst vor zwei Jahren unter gleichem Namen
eingerichteten Kunstraum in Berlin-Treptow. Doch der größte Unterschied
besteht ohnehin darin, dass das eine noch steht und das andere nicht.
Das Ende des 19. Jahrhunderts im neorussischen Stil errichtete Eckgebäude
war bereits zum Kunstmuseum umfunktioniert, als es 2022 bei der Belagerung
von Mariupol schwer beschädigt wurde. In der Folge eröffnete in Berlin das
„Hotel Continental – Art Space in Exile“, um Künstler:innen aus der
Ukraine und anderen kriegsgebeutelten Regionen zu unterstützen.
Die meisten der aktuell dort ausgestellten Künstler:innen sind
allerdings bereits tot. Die Ausstellung „Antitext“ bietet einen Überblick
über die hierzulande eher unbekannte ukrainische Literaturgeschichte und
wurde vom Literaturmuseum Charkiw mitkonzipiert.
Seine Exponate, Samisdat-Literatur und seltene Ausgaben lange verbotener
Bücher, hat das Museum zu Beginn der russischen Invasion in Sicherheit
gebracht – obwohl es „sichere Orte in der Ukraine momentan gar nicht gibt�…
sagt Tetiana Ihoshyna, stellvertretende Entwicklungsleiterin des
Literaturmuseums Charkiw, bei der Ausstellungseröffnung am Dienstag.
## Sowjetische Herrschaft in der Ukraine
Normalerweise zeigt das Charkiwer Museum Exponate aus der Sowjetzeit, als
kritische ukrainische Dichter:innen systematisch verfolgt wurden.
Eigentlich, sagt Ihoshyna, habe man gedacht, die Zeit, in der Literatur
versteckt werden müsse, sei vorbei.
Die Ausstellung in Berlin wirft Licht auf verschiedene Phasen der
sowjetischen Herrschaft in der Ukraine. Sehr repressiv gingen die Besatzer
in den 1930er Jahren vor. Hatten die sowjetischen Behörden die Bibliotheken
zunächst noch strikt nach Verbotslisten durchkämmt, kostete das die
Machthaber schnell zu viel Zeit. Von verdächtigen Autoren seien „alle
Werke, in allen Jahren, in allen Sprachen“ zu entfernen, lautete der
Befehl. Von der „Erschießung einer ganzen Generation“ ist die Rede.
Die Zeit der Massenhinrichtungen währte nicht lange. In den folgenden
Jahrzehnten ging man dazu über, unliebsame Schriftsteller:innen in
Gulags zu internieren. Dort verfasste Schriften fanden nur selten ihren Weg
an den Lagerkommandanten vorbei. „Wir suchen dich tröpfchenweise“, notierte
Andrij Malyschko über seinen Dichterkollegen Hyrhory Koryuka, dessen
Manuskript bei seiner Verhaftung 1934 beschlagnahmt wurde.
Es sind viele unbekannte Autor:innen, die in der Ausstellung ins Licht
gerückt werden, viele vergessene Namen. Auch sie als Ukrainerin lerne im
Moment viel über ukrainische Kultur, sagt Kateryna Rietz-Rakul, Direktorin
des Ukrainischen Instituts in Deutschland. Die Biografien der verfolgten
Schriftsteller:innen sind dabei oft zweideutig, entziehen sich klarer
Kategorisierung.
Zu nennen wäre Jurij Smolytsch, eine Art ukrainischer [1][Sascha Anderson,]
der in den 1920er Jahren Mitglied verschiedener ukrainischer literarischer
Organisationen war, später jedoch „freiwillig“ Informant des NKWD wurde.
Oder Wiktor Petrow, der als Erfinder des intellektuellen Romans in der
ukrainischen Literatur gilt, dessen Rolle in der NS-Zeit jedoch als
mindestens zwielichtig zu umschreiben ist. Petrow widmet sich übrigens
[2][Sofia Andruchowytsch in ihrem neuen Roman, der in wenigen Tagen auf
Deutsch erscheint.]
Sie ist sehr textlastig, diese „Antitext“-Ausstellung, denn weder Exponate
noch Fotos derselben untermalen die Autorenbiografien. Das ist schade, hat
aber Gründe, sagt Ihoshyna. Denn die Gefahr, dass die lange versteckten
Manuskripte und Schriftstücke in den Wehen des Krieges verloren gehen oder
gezielt von den russischen Angreifern zerstört werden, sei groß und soll
durch eben diese Leerstellen verdeutlicht werden.
4 Oct 2024
## LINKS
[1] /Portraetfilm-ueber-Sascha-Anderson/!5032019
[2] /Grosses-Schriftstellertreffen-in-Berlin/!6033884
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Ausstellung
Kultur in Berlin
Literatur
Ukraine
Exilkunst
Sowjetunion
Literatur
deutsche Literatur
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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