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# taz.de -- Umgang mit der Polizei in Medien: Dein Freund und Melder
> Viele Medien übernehmen häufig unkritisch Polizeimeldungen. Weil die
> Polizei aber kein neutraler Akteur ist, muss ein neuer Umgang her.
Bild: Die polizeihörige Presse vertraut zu oft auf den Blaulicht-Report
Der deutschsprachige Journalismus hat ein Polizeiproblem. Kurz kann ich es
so sagen: In zu vielen Redaktionen gilt die Polizei als „privilegierte
Quelle“. Dieser, in der Kommunikationswissenschaft etablierte Begriff
bedeutet: Angaben und Darstellungen, die von polizeilichen Pressestellen
stammen, werden zu selten bis nie von Journalist*innen vor
Veröffentlichung geprüft. Das sorgt dafür, dass sehr häufig – auf gut
Deutsch – Stuss in der Zeitung steht und das wiederum ist eine große Gefahr
für den Journalismus selbst – aber auch für die Demokratie.
Es gibt viele Beispiele, die verdeutlichen, wie Redaktionen gegenüber der
Polizei nicht als Korrektiv, sondern als Steigbügelhalter fungieren: In
Berlin-Neukölln räumte die Polizei im Juni 2017 zum Beispiel einen Laden,
der von linksalternativen Aktivist*innen besetzt wurde.
In einem Tweet behauptete die Berliner Polizei während des Einsatzes, dass
ein Türknauf von den Besetzer*innen unter Strom gesetzt worden sei – um
Beamt*innen bewusst in Lebensgefahr zu bringen. Die Meldung schockierte,
Medien übernahmen damals unkritisch die von der Behörde gelieferte
Schlagzeile „Anschlag auf die Polizei!“. [1][Nur gab es den unter Strom
stehenden Türknauf nie, wie sich herausstellte]. Spätere Korrekturen
konnten nur bedingt die polizeiliche Desinformation auffangen.
Auch bei Großereignissen scheitern Medien immer wieder am eigenen Anspruch:
Die Berichterstattung zum G20-Gipfel in Hamburg [2][oder zu den
Klimaprotesten in Lützerath] war geprägt von der unkritischen Übernahme
polizeilicher Quellen. Vor allem Angaben zu vermeintlich verletzten
Beamt*innen oder Attacken von Demonstrant*innen wurden in aktuelle
Berichte – ohne nötigen Faktencheck – gekippt.
## Blaue Opfererzählung
Mit zeitlichem Abstand, polizeikritischem Aktivismus und [3][Nachfragen
einiger Redaktionen] blieb von den Darstellungen der Polizeibehörden nur
wenig übrig. Da hatte sich die blaue Opfererzählung längst in das
kollektive Gedächtnis geschlichen.
[4][Ein Forschungsprojekt der Goethe-Universität in Frankfurt am Main von
2023 konnte aufzeigen], dass im Schnitt weniger als 2 Prozent der Fälle von
Polizeigewalt überhaupt vor einem Gericht landen. Betroffene erstatten oft
keine Anzeige gegen Polizist*innen – wie auch, wenn sie dafür zur
Polizei müssen.
Es hängt aber auch damit zusammen, dass Gerichte besonders
polizeifreundlich eingestellt sind. Medien hätten hier eine besondere
Rolle, kritisch auf die Verflechtung von Justiz und Polizei zu schauen. Oft
entscheiden sie sich aber dafür, die Pressemitteilungen von
Staatsanwaltschaften bei Fällen von Polizeigewalt ungeprüft weitestgehend
in Meldungen zu übernehmen.
Solche medialen Missstände kommen regelmäßig vor: Berichte über gezielte
Angriffe auf Berliner Polizist*innen in der Silvesternacht 2022/2023
stützten sich weitgehend auf polizeiliche Angaben, die sich später als
übertrieben herausstellten. Anfangs gab die Berliner Polizei die Zahl der
festgenommenen Verdächtigen mit 145 an, kurzzeitig stieg die Zahl auf 159.
Die meisten hätten einen Migrationshintergrund. Ein Blick in die
Medienarchive zeigt, dass viele Redaktionen diese Angaben ihrem Publikum
durchgereicht haben, die Berichte stehen weiterhin so im Netz, zu oft
fehlte der zumindest nötige Zusatz: Diese Informationen stammen von der
Polizei und sind mit Vorsicht aufzunehmen.
## Korrigierte Zahlen
Erst durch hartnäckige Nachfragen im Parlament, von Aktivist*innen und
einigen Medien, die spät, aber immerhin die Kurve bekamen, wurde die Zahl
der Festgenommen [5][neun Tage nach Neujahr auf 38 nach unten korrigiert] –
die Mehrheit der Verdächtigen, so hieß es nun kleinlaut, sei deutsch. Sich
um deutlich mehr als 100 Verdächtige bei so einem politisch aufgeladenen
Ereignis zu verschätzen, kann kein Zufall sein.
Der CDU-Kandidat Kai Wegner nutzte die Stimmung nach der teilweise
übertrieben dargestellten Gewalt in der Silvesternacht für seinen
Wahlkampf. Er forderte die Veröffentlichung von Listen mit Vornamen der
Verdächtigen und fuhr damit einen Law-and-Order-Wahlsieg bei den Berliner
Wiederholungswahlen zum Abgeordnetenhaus im Februar 2023 ein.
Dieses Wahlergebnis ist teilweise auf die unkritische Berichterstattung
zurückzuführen: ein großer Schaden für die Demokratie. Die Fragen sind
erlaubt: Wie viel Vorsatz steckt hinter so einer polizeilichen
Kommunikationsstrategie? Und wo endet unangebrachte journalistische
Naivität, wo fängt Komplizenschaft an?
In den vergangenen Jahren habe ich bei meinen Recherchen oft mit Widerstand
der Behörden zu kämpfen gehabt. Im Gedächtnis ist mir ein Pressesprecher
aus Sachsen-Anhalt geblieben, der mich am Telefon anschnauzte, dass er mir
„keine Auskunft zu gar nichts“ geben müsse. So einen Journalisten wie mich
habe er noch nicht erlebt. An dieser Stelle muss ich betonen: Ich stelle
meine Anfragen an Polizeibehörden sachlich, in einem respektvollen Ton, mit
realistischen Fristen. Und so entgegnete ich ihm höflich, dass ich in
meinem Text vermerken könne, dass die Polizei keine Angaben zum Sachverhalt
machen wolle. Daraufhin rückte er murrend doch die Informationen heraus,
auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat.
Dieses Erlebnis verdeutlichte mir, dass sich Vertreter*innen in
Polizeibehörden offenbar daran gewöhnt haben, nicht kritisch betrachtet zu
werden.
## Falsche Darstellungen
Im Fernsehen ist die Polizeihörigkeit einiger Redaktionen besonders
sichtbar: Vor allem Boulevard-Formate lieben es, ausschließlich die Polizei
oder – noch schlimmer – Polizeigewerkschafter zu aktuellen Fällen oder
allgemeinen Phänomenen zu befragen. Ob etwas wirklich so ist, wie die
Polizei es darstellt, wird zu oft nicht hinterfragt.
Ich saß selbst in Talkshows, in denen Vertreter*innen der Polizei Stuss
erzählen konnten. Dabei geht es nicht darum, dass mir ihre Haltung nicht
gefällt, hier geht es um Fakten, Statistiken und Zusammenhänge, die bewusst
falsch dargestellt werden. Diese False Balance leitet das Publikum auf
falsche Fährten. Mit Blick auf die Voreingenommenheit vieler polizeilicher
Vertreter*innen erscheint ihre Behandlung als „privilegierte Quelle“
grob fahrlässig.
Die Suche nach zuverlässigen, selbstkritischen und ehrlichen Quellen
innerhalb der Polizei ist oft schwierig, da Whistleblowing in den Behörden
intern bestraft wird. [6][Das zeigen Beispiele aus verschiedenen
Bundesländern, bei denen kritische Stimmen innerhalb von Polizeibehörden
abgestraft wurden].
Generell ist die Hemmschwelle groß, intern oder nach außen Missstände zu
melden. Ein besonders aufschlussreiches Erlebnis für mich als Reporter war
der Austausch mit einem Polizisten, der jahrzehntelang in seiner Behörde
Missstände beobachtet und mir die Dokumente dazu weitergegeben hatte.
Der Polizist, der aus Angst vor Rache seiner Kolleg*innen anonym bleiben
wollte, übergab mir geheime Unterlagen im Gewusel großer Bahnhöfe,
versteckt hinter einer spiegelnden Sonnenbrille. Er erzählte mir, wie seine
Vorgesetzten und Kolleg*innen jeden Tag in der morgendlichen Besprechung
feierten, wenn Journalist*innen Polizeimeldungen in ihre
Berichterstattung kippten. Das habe er mit seinem Gewissen nicht mehr
vereinbaren können.
## Kritisch aufarbeiten
Es gab Momente, in denen Journalist*innen das Richtige getan haben: die
vielen rechtsextremen Polizeichats aufzuarbeiten oder kritisch auf das
Wirken von politischen Figuren wie den ehemaligen Heimatminister Horst
Seehofer zu blicken. taz-Kolleg*innen recherchierten unermüdlich zum
rechtsextremen Nordkreuz-Komplex, bei dem Polizist*innen stark
involviert waren.
Doch in diesen journalistischen Lichtblicken ist in den Redaktionen dieser
Republik keine allgemeine, kritische Perspektive auf die Polizei zu
erkennen.
Im Gegenteil, leider pflegen einige Medienschaffende zu wenig Distanz zur
Polizei: Sie schreiben Bücher, die sie mit Polizeizitaten einführen, sie
drehen Dokus, in denen Beamt*innen glorifiziert werden, manchmal sogar
das Skript mitbestimmen. Als ich noch fest angestellt war und
polizeikritische Recherchen vorschlug, fragte mich ein Vorgesetzter, was
ich eigentlich gegen die Polizei habe.
Er verstand nicht, dass es zur Kernaufgabe von Journalist*innen gehört,
den Staat und seine Institutionen kritisch zu betrachten. Ein anderer
Kollege stach eine Recherche vor Veröffentlichung der Polizei durch:
Eigentlich ist es untertrieben, in diesem Fall nur von mangelnder Distanz
zu sprechen.
Die Lösung für dieses mediale Polizeiproblem ist schlicht: Journalismus
muss sich an journalistische Standards halten, egal wie groß der
(Zeit-)Druck sein mag. Die Polizei kann bei der Berichterstattung nur eine
von vielen Quellen sein und gleichzeitig ist sie besonders: Informationen,
die von Polizeibehörden oder Innenministerien herausgegeben werden, sollten
von machtkritischem und unabhängigem Journalismus akribisch unter die Lupe
genommen werden.
Immer mit der Prämisse: Da könnte etwas nicht stimmen. Motto: Ich zweifle,
also bin ich Journalist*in. Denn die Polizei will sich in der Öffentlich
oft als Opfer darstellen und dabei gut aussehen. Guter Journalismus
verstärkt diese PR-Strategie nicht, sondern entlarvt sie an einigen Stellen
als das, was sie ist: Ungenauigkeiten, Übertreibungen, die Unwahrheit.
27 Sep 2024
## LINKS
[1] /Raeumung-der-Friedel54-in-Berlin/!5426014
[2] /Polizeigewalt-in-Luetzerath/!5906671
[3] /Sieben-Jahre-nach-dem-G20-Gipfel/!6004589
[4] https://www.l-iz.de/leben/faelle-unfaelle/2023/06/grafik-der-woche-polizeig…
[5] https://www.tagesspiegel.de/berlin/neue-zahlen-zu-berliner-silvester-krawal…
[6] https://www.ardmediathek.de/video/rbb24-abendschau/rassismus-auch-bei-der-b…
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Polizei
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Polizeigewalt
Schwerpunkt Stadtland
Demonstration
Kolumne Flimmern und Rauschen
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