| # taz.de -- Vielfalt in Brandenburg: Queers zeigen Haltung | |
| > Am 82. Jahrestag wurde im ehemaligen KZ Sachsenhausen der ermordeten | |
| > homosexuellen Häftlinge gedacht. Am selben Tag fand der 2. CSD in | |
| > Oranienburg statt. | |
| Bild: Gedenkveranstaltung am KZ Sachsenhausen am 21. September 2024 | |
| Oranienburg taz | Nie wieder ist jetzt, das muss bei der steigenden | |
| [1][Hasskriminalität] und den rechten Mobilisierungen [2][gegen queere] | |
| Menschen mehr denn je gelten“, so eröffnet Uwe Fröhlich vom LSVD | |
| Berlin-Brandenburg die Gedenkveranstaltung zum 82. Jahrestag der | |
| Mordaktionen an homosexuellen Häftlingen im Klinkerwerk, einem Außenlager | |
| von Sachsenhausen. | |
| Er steht vor einer Gedenktafel im ehemaligen Zellenbau des | |
| Konzentrationslagers. 1992 wurde hier die Plakette mit der Inschrift: | |
| „Totgeschlagen. Totgeschwiegen. [3][Den Homosexuellen Opfern des | |
| Nationalsozialismus“] installiert. An der Tafel ist eine Regenbogenfahne | |
| befestigt. | |
| Die Gedenkveranstaltung findet am gleichen Tag wie der [4][CSD] Oberhavel | |
| statt, der im Anschluss zum zweiten Mal durch Oranienburg zieht. Der | |
| Ermordeten zu gedenken und zugleich queeres Leben im Jetzt zu feiern – das | |
| versucht man in der Gedenkstätte seit 2022 zu verbinden, als sich die | |
| Mordaktion im Klinkerwerk zum 80. Mal jährte. Die Idee ist dabei nicht neu: | |
| Bereits 1985 rief eine Gruppe Westberliner Aktivist*innen im Rahmen des | |
| CSD zur Kranzniederlegung in Sachsenhausen auf und beantragte dafür die | |
| Einreise in die DDR. | |
| Etwa 1.000 bis 1.200 Menschen waren in Sachsenhausen als Homosexuelle unter | |
| Paragraf 175 in Isolationshaft. Mehrere hundert von ihnen wurden im Juli | |
| und August 1942 im Klinkerwerk systematisch umgebracht. Für viele | |
| Überlebende ging die Stigmatisierung nach 1945 in der DDR wie BRD weiter, | |
| erst 2002 wurden die Urteile nach § 175 aufgehoben. | |
| Fröhlich und Prof. Dr. Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische | |
| Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, sprechen in den | |
| Reden explizit von der Verfolgung queerer Menschen. Zwar seien Häftlinge in | |
| Sachsenhausen als Homosexuelle verfolgt worden, aber es habe all das | |
| gegeben, was man heute als „queer“ bezeichnen würde, so Drecoll. | |
| ## Rechte Gegendemonstration | |
| Axel Drecoll tritt nach Uwe Fröhlich ans Redner*innenpult, an dem ebenfalls | |
| eine Pride-Flagge hängt. „Es kann nicht sein, dass man heute angehalten ist | |
| aufzupassen, wo man sich nach dem CSD in der Stadt aufhält und unter | |
| welchen Sicherheitsmaßnahmen ein CSD heutzutage in Oranienburg | |
| stattfindet.“ | |
| Im Vorfeld zum CSD hatten Rechtsextreme eine Gegendemonstration in | |
| Oranienburg angemeldet. Drecoll spricht bei der Gedenkstunde von einer | |
| Verpflichtung gegenüber den Verfolgten sowie den Gruppen, die heute immer | |
| noch diskriminiert werden. | |
| Er bezieht sich weiter auf einen Antrag der AfD im Brandenburger Landtag | |
| vom August. Darin wurde das Verbot von Regenbogenflaggen an öffentlichen | |
| Gebäuden gefordert. Vereinen, die sich für Vielfalt einsetzen, will die AfD | |
| die Gemeinnützigkeit aberkennen und Gelder entziehen. Der Antrag wurde von | |
| allen anderen Fraktionen abgelehnt. | |
| „Der Platz, an dem wir hier heute sitzen, der ehemalige Zellenbau, zeigt, | |
| wohin solche Vorstellungen dominanter Identitäten und einer homogenen | |
| Gesellschaft führen.“ In einer Welt, wie die Rechten sie imaginieren, wolle | |
| er nicht leben, selbst wenn er als weißer hetero-cis Mann nicht das erste | |
| Ziel von Anfeindungen sei. Im Gespräch mit der taz betont er, es reiche | |
| nicht aus, „tolerant“ zu sein. | |
| „Als Gesellschaft müssen wir begreifen, dass Vielfalt und unterschiedliche | |
| Perspektiven eine Lebensnotwendigkeit sind. Diese Erkenntnis droht mir | |
| gerade abhanden zu kommen, und das halte ich für verheerend.“ Die Sorge vor | |
| den Landtagswahlen in Brandenburg am nächsten Tag und das Erstarken rechter | |
| Gesinnungen schwingt in allen Reden mit. | |
| ## Gedenken wird abstrakter | |
| Uwe Fröhlich beschäftigt sich bereits seit den 90ern mit dem Klinkerwerk | |
| und kämpft dafür, authentische Orte der Geschichte zu erhalten und an die | |
| nächsten Generationen weiterzugeben. Dafür brauche es die jährlichen | |
| Gedenkveranstaltungen, „zumal die Situation, jetzt, wo es keine | |
| Überlebenden mehr gibt, sehr viel abstrakter ist“, sagt er der taz. | |
| Er setzt sich für die Errichtung eines Geschichtsparks auf dem Gelände des | |
| ehemaligen Zwangsarbeits- und Todeslagers ein, in dem die Häftlinge das | |
| weltweit größte Ziegelwerk für die Bauvorhaben in der Reichshauptstadt | |
| Berlin errichten mussten. Zu DDR-Zeiten nutzte die NVA das Areal als | |
| Truppenübungs- und Schießplatz, heute gehören Teile des Geländes der Firma | |
| Havel Beton. | |
| Einige Oranienburger*innen wollen laut Fröhlich mit der Vergangenheit | |
| ihrer Stadt nichts mehr zu tun haben. Zu den Gedenkveranstaltungen kämen | |
| meist nur wenige Aktivist*innen. Unterstützt von railbow, einer | |
| LGTBIQ-Organisation innerhalb der Deutschen Bahn, hat er in diesem Jahr | |
| eine gemeinsame Busanreise aus Potsdam und Berlin organisiert. Ein weiterer | |
| Fokus seiner ehrenamtlichen Arbeit ist die Vernetzung queerer Strukturen | |
| innerhalb von Brandenburg sowie zwischen Berlin und dem Umland, betont er. | |
| Die Gedenkstätte unterstütze den CSD in diesem Jahr nicht nur, sie | |
| beteiligte sich auch mit eigenen Aktionen. Neben der Gedenkveranstaltung | |
| fanden Spezialführungen zur Verfolgung von Queers in Sachsenhausen statt. | |
| Außerdem brachte die Stiftung Banner mit der Aufschrift „Die Würde jedes | |
| Menschen ist unantastbar. Vielfalt statt Ausgrenzung!“ an allen sieben | |
| brandenburgischen Gedenkstätten an. | |
| „Als Reaktion auf diese Aktion und unser Posting zum CSD haben wir so viele | |
| ekelhafte Hasskommentare bekommen, dass wir die Kommentarfunktion schließen | |
| mussten“, sagt Drecoll der taz. Dennoch hält er an seinem Verständnis von | |
| Gedenkstättenarbeit fest: | |
| „Wir müssen stärker eingebunden sein in ein enges Netzwerk an | |
| zivilgesellschaftlichen Initiativen, Schulen und außerschulischen | |
| Bildungsträgern. Dabei müssen wir uns fragen: Wie holen wir die Menschen ab | |
| und welchen spezifischen Beitrag kann Geschichte dabei leisten? Wir müssen | |
| uns verstärkt mit Gegenwartsphänomenen und insbesondere mit den Werten von | |
| Demokratie beschäftigen und darüber diskutieren.“ Dafür brauche es mehr | |
| Personal. Die Gespräche mit dem brandenburgischen Kulturministerium in | |
| dieser Frage bewertet Drecoll als konstruktiv. | |
| Bereits die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Juni waren für Drecoll ein | |
| deutliches Warnzeichen. In der Stadtverordnetenversammlung in Oranienburg | |
| wurde die AfD mit 28,5 Prozent stärkste Kraft. Obwohl die Aggressivität in | |
| den sozialen Medien und in Mails an die Gedenkstätte zunehme, sei in | |
| Sachsenhausen bislang glücklicherweise nicht das gleiche Ausmaß an | |
| Anfeindungen zu verzeichnen wie etwa in Buchenwald in Thüringen. Als Leiter | |
| sieht er bislang von erhöhten Sicherheitsmaßnahmen ab, die Gedenkstätte | |
| solle so lange es möglich ist ein offener und transparenter Ort bleiben. | |
| Mit dem railbow-Bus geht es von der Gedenkstätte zum Sammelpunkt des CSD – | |
| über Umwege, um nicht am Treffpunkt der Rechten vorbeizukommen. Auf einem | |
| Parkplatz versammeln sich ab 13 Uhr unter blauem Himmel die | |
| Teilnehmer*innen des Christopher Street Day. | |
| Laut Veranstalter Candy Boldt-Händel sind es circa 1.000 bis 1.200 | |
| Menschen, wovon 200 bis 300 Menschen dem Aufruf zur Anreise aus Berlin | |
| gefolgt sind, die binnen weniger Tage nach Bekanntwerden der rechten | |
| Gegendemo organisiert wurde. Aus Lautsprecherboxen tönt Popmusik, viele | |
| Menschen tragen Regenbogen- und Antifa-Fahnen. Candy Boldt-Händel macht | |
| Ansagen über ein Megafon. | |
| Am Oranienburger Bahnhof hätten sich mittlerweile circa 40 Nazis | |
| eingefunden. Sie dürfen mit 100 Metern Abstand und getrennt durch | |
| Polizist*innen hinter dem CSD herlaufen. Der Veranstalter ruft dazu | |
| auf, die Demo nicht zu verlassen und sich nicht provozieren zu lassen. | |
| Die Menge setzt sich in Bewegung, auf den Wahlkampfplakaten am Straßenrand | |
| ist auch Candy Boldt-Händels Gesicht zu sehen. Er ist Vorstandsvorsitzender | |
| der Linken in Oranienburg und Direktkandidat für den Wahlkreis 9, der | |
| Oranienburg, Liebenwalde und Leegebruch umfasst. Auf dem Foto trägt er | |
| Schiebermütze und lächelt in die Kamera. | |
| ## Komplett spendenfinanziert | |
| „Aus Anstand Antifaschist“ lautet sein Wahlkampf-Slogan. Mit dem CSD wolle | |
| er die Sichtbarkeit und Vernetzung von Queers in Oranienburg und der Region | |
| vorantreiben, sagt er der taz. Gleichzeitig sei die Verbindung mit dem | |
| Rosa-Winkel-Gedenken durch die Stiftung an einem Ort wie Oranienburg sehr | |
| wichtig. Die Stimmung in der Stadt beschreibt er als sehr aufgeheizt und | |
| nach rechts gerückt, auch in den Reihen demokratischer Parteien. | |
| Axel Drecoll läuft weit vorne in der Demo mit, er ist in eine | |
| Regenbogenfahne gehüllt, auch ein Banner aus der Gedenkstätte hat er | |
| mitgebracht. Am Bahnhofsvorplatz hält der Gedenkstättenleiter die erste | |
| Rede, gefolgt von Jirka Witschak von der Landeskoordinierungsstelle Queeres | |
| Brandenburg. Witschak fordert 100.000 Euro zur Finanzierung der wachsenden | |
| Zahl von CSDs im Brandenburg in der nächsten Legislaturperiode. | |
| Die Demonstration in Oranienburg ist komplett durch Spenden finanziert, | |
| organisiert wird sie von Boldt-Händel und zwei Mitstreitern. Nur für das | |
| anschließende Fest auf dem Schlossplatz gab es eine Finanzierung. Bevor es | |
| weitergeht, lädt Boldt-Händel zu einer Gedenkminute für ermordete Queers | |
| ein. | |
| Von Polizeiwannen abgeschirmt, muss die kleine Gruppe rechtsextremer | |
| Gegendemonstrant*innen vor der Bahnhofstoilette warten. Sie hatten | |
| 300 Menschen angemeldet. Auch sonst kamen sie kaum in die Nähe des CSD. Die | |
| queere Demo wird immer wieder von Anwohner*innen aus den Häusern | |
| entlang der Strecke bejubelt. Drecoll übernimmt spontan die Rolle des | |
| Versammlungsleiters einer zusätzlichen Kundgebung gegenüber des | |
| Schlossplatzes. | |
| So wird verhindert, dass die Rechten sich in Sichtweite des | |
| CSD-Abschlussfestes positionieren. Insgesamt kein erfolgreicher Tag für die | |
| Nazis und ein bedeutendes Zeichen, einen Tag vor den Brandenburger | |
| Landtagswahlen. Im Oranienburger Wahlkreis 9 gewinnt am Sonntag die AfD mit | |
| 0,1 Prozent Vorsprung vor der SPD. Candy Boldt-Händels Hoffnung, dass die | |
| Linkspartei in den Landtag einzieht, wird enttäuscht. | |
| Die Arbeit an diesem Text wurde unterstützt von n-ost | |
| 24 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Migrationsbeauftragte-ueber-Asyldebatte/!6016457 | |
| [2] /Hass-gegen-Queers-in-der-EU/!6010690 | |
| [3] /Gedenkstunde-fuer-Opfer-des-Holocaust/!5907977 | |
| [4] https://www.csd-ohv.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Juri Wasenmüller | |
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