| # taz.de -- Film über Kriegsfotografin Lee Miller: Sie will das Grauen dokumen… | |
| > In „Die Fotografin“ beschreibt Ellen Kuras das schillernde Leben der Lee | |
| > Miller. Die Hauptdarstellerin Kate Winslet trägt den Film mit | |
| > Leidenschaft. | |
| Bild: Der weibliche Blick auf den Krieg: Kate Winslet als Lee Miller in „Die … | |
| Zwischen „gaze“ und „view“ gibt es einen Unterschied. Der „gaze“ be… | |
| den Blick, aber auch das Starren; als „male gaze“ beschreibt er die Art und | |
| Weise, wie (Hetero-)Männer Frauenkörper wahrnehmen, und als Künstler, | |
| Regisseure oder Kameramänner darstellen. Der „male gaze“ ist somit zuweilen | |
| geprägt vom eigennützigen Begehren des Mannes, er kann den Frauenkörper | |
| objektifizieren. Beim „view“ dagegen wird die Intention des oder der | |
| Schauenden in Frage gestellt; er beschreibt ebenso eine Haltung wie einen | |
| Blick. [1][Ein anderer „view“, eine andere Sichtweise kann den Horizont | |
| erweitern – vor allem, wenn es der „female view“ ist], der bei der | |
| Beschreibung unserer Welt lange nur eine Nebenrolle spielte. | |
| Dass unsere Gesellschaft es dringend nötig hat, sich für diese Unterschiede | |
| und ihre Bedeutung zu sensibilisieren, ist ein Fakt. Denn es geht beim | |
| Berichten, beim Darstellen und Erzählen immer auch um eine Deutungshoheit: | |
| Das, was erzählt wird, ist wichtig. Allein die Auswahl ist eine subjektive | |
| Entscheidung. | |
| Ein WW2-Foto aus den Quartieren der Soldatinnen des sogenannten Auxiliary | |
| Territorial Service, auf dem man vor einem Barackenfenster notdürftig zum | |
| Trocknen aufgehängte Damenunterwäsche, Strümpfe, Unterhosen, BHs sieht, | |
| eignet sich gut für die Horizonterweiterung. Es beweist, auf welch | |
| allgegenwärtige und alltägliche Dinge der Schrecken eines Krieges sich | |
| mitunter reduzieren lässt. Und wie tief er in die Intimität eindringt – in | |
| die der „Verlierer“ ebenso wie in die der „Gewinner“. | |
| Auch ein solches Foto ist also ein „Beweis“. Es ist eines der Bilder, mit | |
| denen das ehemalige Model Lee Miller als (Kriegs-)Fotografin weltbekannt | |
| wurde. Ellen Kuras’ Biopic „Lee“ (deutscher Titel „Die Fotografin“) w… | |
| gerahmt durch ein Interview, das Miller (Kate Winslet) Jahrzehnte nach dem | |
| Krieg einem jungen Mann namens Tony (Josh O’Connor) gibt. | |
| ## Von „Schönheit“ gelangweilt | |
| Die Erzählung setzt an, als Miller, mittlerweile etablierte und von | |
| „Schönheit“ gelangweilte Fotografin, mit freiheitsliebenden Freund:innen | |
| wie den surrealistischen Künstler:innen Paul und Nusch Éluard (Vincente | |
| Colombe, Noémie Merlant) einem Bohemien-Leben in den Bergen Cornwalls | |
| frönt. Es ist kurz vor Hitler, doch gerade die Künstler:innen der Zeit | |
| verkennen die Gefahr – halbnackt schart man sich scharfsinnig plaudernd um | |
| die lange Wein-und-Käsetafel im malerischen Garten oder schaut rauchend die | |
| Wochenschau und kann nicht glauben, dass die „hässlichen Nazis“ eine solche | |
| Macht entwickeln. | |
| Als der britische Kunstsammler und Künstler Roland Penrose (Alexander | |
| Skarsgård) die illustre Runde vervollständigt, wird die trotz Hedonismus | |
| tendenziell eher desillusionierte, zudem auch noch mit einem anderen Mann | |
| verheiratete Lee aufmerksam. Zwischen den beiden entwickelt sich eine große | |
| Liebe, es wird die größte in beider Leben. | |
| Doch dann beginnt der Zweite Weltkrieg mit dem völkerrechtswidrigen Angriff | |
| der Deutschen auf Polen. Und je mehr Europa in diesen Krieg hineingezogen, | |
| von ihm gebeutelt wird, desto stärker fühlt die Film-Miller das Bedürfnis, | |
| ihre Fähigkeiten in den Dienst der Alliierten zu stellen. Die englische | |
| Vogue in Form der feministisch denkenden Editorin Audrey Withers (Andrea | |
| Riseborough) druckt, nach einigen Anfangsschwierigkeiten, Millers | |
| surrealistisch beeinflusste Bilder von Frauen mit Schutzmasken oder einem | |
| eleganten Model, das vor einer Karte mit Kriegsschauplätzen steht. | |
| Der „Blitz“ macht England 1940 ebenfalls zum Kriegsschauplatz, die | |
| britische Regierung gestattet der inzwischen mit Penrose in London lebenden | |
| Fotografin allerdings aus Sicherheitsgründen keine Reise an die Front, denn | |
| den „embedded journalism“ erachtet man als zu gefährlich für eine Frau. | |
| Anders die US-Regierung: Durch ihren amerikanischen Pass gewährt man ihr | |
| den Status. Gemeinsam mit dem US-amerikanischen Fotografen David Scherman | |
| (Andy Samberg), der ein enger Freund wird, reist Lee mitten in den Krieg, | |
| schaut in die Quartiere, Baracken und von Schmerz und Leid geprägten | |
| provisorischen Krankenzelte, fotografiert Unfassbares. Und schickt die | |
| Bilder ihrer verlässlichen Freundin Audrey. | |
| ## Das Thema der „verfilmten Fotografien“ | |
| Regisseurin Kuras, die mit „Lee“ ihren ersten Film inszeniert, aber auf | |
| eine lange und erfolgreiche Karriere als Kamerafrau zurückschaut, geht das | |
| Thema der „verfilmten Fotografien“ ähnlich an wie viele Regisseur:innen | |
| vor ihr. Anhand berühmt gewordener Schnappschüsse oder gestellter Fotos | |
| schickt sie ihr Publikum durch Lees Erleben bis hin zum Kriegsende, das auf | |
| ikonischen Momenten völlig unterschiedlicher Natur festgehalten wird: Dem | |
| (mit Schermans Hilfe entstandenen) Foto von Miller in Hitlers Münchner | |
| Badewanne, kurz nach dessen Selbstmord im Bunker, welches das surreale | |
| Element perfekt einfängt; und den unbeschreiblichen Bildern der KZ-Gräuel. | |
| Trotz der Bedeutung dieser Fotos und der authentischen Kameraarbeit Paweł | |
| Edelmans, die sich mit dem Kriegsausbruch von opulent-weit-bunt zu | |
| schmerzhaft-eng-grau verändert, gestattet Kuras ihrer Hauptfigur nur eine | |
| recht kleine eigene Dramaturgie. Denn von Anfang an ist Lee auf der | |
| „richtigen Seite“, von Anfang an weiß sie, was sie will: Kuras lässt ihre | |
| Hauptfigur aus moralischen Gründen zur Kriegsreporterin werden. Sie will | |
| das Grauen dokumentieren. Was sich entwickelt, das ist einzig das Trauma, | |
| das Lee – wie viele andere Zeug:innen – nie wieder verlassen wird. | |
| Ihr weiblicher Blick, überhaupt der Blick von Kriegsreporterinnen hat | |
| trotzdem Bestand und Bedeutung. Intensiver und mit einer ambivalenteren | |
| Erzählhaltung als in Kuras’ Spielfilm wurde er jedoch just in Buch- und | |
| Dokumentarform erforscht: Judith Mackrells Sachbuch „Frauen an der Front“ | |
| über Miller und Kolleginnen wie [2][Martha Gellhorn], Helen Kirkpatrick und | |
| [3][Clare Hollingworth] kann man viel von der anfänglichen Begeisterung der | |
| Protagonistinnen für den Krieg entnehmen. | |
| Und in der 2023 im Fernsehen ausgestrahlten Dokumentation „Drei Frauen – | |
| ein Krieg“ von Luzia Schmid, die auf der Tonebene ausschließlich originale | |
| Tagebucheinträge und Briefe der Reporterinnen Miller, Gellhorn und Margaret | |
| Bourke-White zitiert, drücken die Porträtierten anfangs ebenfalls | |
| enthusiastische Erregung aus. Erst sukzessive weicht ihr freudiger | |
| Kriegstaumel Angst, Entsetzen und Verzweiflung. Ihr „view“ verändert sich, | |
| angesichts der unfassbaren Schrecken kommt ein verstörter „gaze“ dazu. | |
| Diese Veränderung bleibt Kuras ihrer Protagonistin schuldig. | |
| ## Winslets große Portion stetiger „grumpyness“ | |
| Unabhängig von den Vereinfachungen auf der erzählerischen Ebene wird „Lee“ | |
| von seiner Hauptdarstellerin Kate Winslet dennoch mit Leidenschaft, | |
| absolutem Vertrauen in die Geschichte, einer großen Portion stetiger | |
| „grumpyness“, die sie Lee mitgibt, und – wie man hört – auch sehr viel | |
| Kapitaleinsatz getragen: Aus eigener Tasche zahlte Winslet ein paar Wochen | |
| lang sämtliche Gagen, weil die Dreharbeiten sonst hätten ruhen müssen. | |
| So ist der Film, der auf dem [4][Buch von Lee Millers Sohn Antony] beruht | |
| und ihm am Ende eine besondere Rolle zukommen lässt, trotz seiner harten | |
| Geschichte vor allem eine Hommage; ein bewundernder, vermutlich ein | |
| liebender Blick auf eine zunächst durch das Leben verwöhnte, dann | |
| gestählte, am Ende desillusionierte Frau. Deren Fotos sind über jeden | |
| Zweifel erhaben: Sie demonstrieren, wie Frauen den Krieg wahrnehmen. Und | |
| beweisen gleichzeitig, dass seine Zerstörungswut kein Geschlecht kennt. | |
| 17 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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