# taz.de -- Traumstadt Rom: La leggerezza | |
> Rom hat diese Leichtigkeit – leggerezza –, die man in anderen Ecken | |
> Italiens nicht findet. Über die Stadt am Tiber am Ende des Sommers. | |
Bild: Dackel und Dackelbesitzerin vor Fernando Boteros Katzenskulptur auf der P… | |
Zurück in Rom, nach einem Sommer, der sich für viele endlos anfühlt und in | |
diesen Tagen keineswegs mit einer brutalen Rückkehr in der Realität endet, | |
sondern schlicht in einer etwas angezogeneren Stadtversion ausläuft, wehen | |
mir permanent Superlative entgegen. Der Sommer meiner Bekannten war | |
offenbar „episch“, „magisch“, „unglaublich“, für manche sogar kath… | |
Ein Freund erzählte mir auf seiner Terrasse (die neuerdings nicht mehr von | |
Möwen, sondern von Papageien besetzt wird, weil in Fregene, an der Küste, | |
angeblich so viel Dreck rumliegt, dass die Meeresvögel sich nicht mehr die | |
Mühe machen, bis ins Stadtzentrum zu kommen), dass er und seine Frau kurz | |
davor waren, sich scheiden zu lassen, dann aber die Kurve kriegten und nun | |
ein ganz neues Kapitel beginnen. Er sagte das wirklich so. Ich fragte: Wie | |
war dein Sommer? Er sagte: Eigentlich wollten wir uns scheiden lassen, dann | |
kam es aber anders. | |
Dieses „anders“ ist offenbar mit einem potenziellen Wegzug aus Rom | |
verbunden. Was in der Runde aus Italiener*innen, Amerikaner*innen und | |
Südamerikaner*innen zu einer Auflistung der Gründe führte, weshalb | |
man nicht woanders leben sollte als hier, auch wenn man in der komfortablen | |
Situation ist, es sich aussuchen zu können. | |
Ein Aspekt, auf den sich neben dem allzu offensichtlichen, also der | |
Schönheit der Stadt im Zentrum und ihrer roughness an den Rändern, den | |
Geschichtsschichten, die einen bei jedem Schritt unter den Füßen kribbeln | |
und einen zwar nicht eindeutig festzumachenden, aber auch nicht zu | |
leugnenden Einfluss haben, alle einigen konnten, war ein Begriff. Ein Wort, | |
das zwar häufig mit dem Sommer verbunden wird, aber nicht zwangsläufig an | |
ihn gebunden ist. Das zugleich etwas Schwebendes, aber auch eine gewisse | |
Bodenhaftung beschreibt, das die Realität nicht wegdrückt, sondern den | |
Betrachter einfach so platziert, dass er sie in ihrer besten Version, von | |
ihrer besten Seite wahrnimmt. | |
Dieses Wort ist: La leggerezza. Die Leichtigkeit. Die Leichtigkeit ist | |
natürlich nicht römisch, noch nicht einmal italienisch, miesepetrige Leute | |
gibt es hier wie auch anderswo, nur ist diese besondere Version der | |
Leichtigkeit, diese Fähigkeit, in den staubigen Straßen um den Tiber | |
vielleicht doch etwas verbreiteter als sonst. | |
## Wie bei Italo Calvino | |
Sie klar zu umreißen ist gar nicht so einfach. Die leggerezza ist nicht die | |
[1][Leichtigkeit eines Kundera.] Es ist nicht die Leichtigkeit, die eine | |
gewisse Leere impliziert und damit unerträglich, schmerzhaft und somit | |
schwer auf dem Herzen lastend sein kann. Es ist auch nicht die derer, die | |
beschlossen haben, auszusteigen, nichts wichtig zu finden. | |
Sie ist kein Nihilismus, auch kein krankhaft erzwungener Optimismus der | |
immer Lächelnden, sondern vielleicht so etwas wie eine geistige | |
Flexibilität. Der italienische Schriftsteller [2][Italo Calvino] hat die | |
leggerezza in den achtziger Jahren einmal in einem Vortrag, einem seiner | |
„Lezioni americane“ umrissen und als ein Gut benannt, das im kommenden | |
Jahrhundert, also dem jetzigen, an Wichtigkeit gewinnen könnte. | |
Calvino sprach dabei zwar über die Literatur, darüber, was sie brauchen | |
würde, um angesichts der Veränderungen in Kultur und Technologie wichtig zu | |
bleiben, nur gilt, was in Büchern gilt, ja meist auch im Leben. Für ihn ist | |
die Leichtigkeit so etwas wie die Fähigkeit, Dunkelheit nicht plump in | |
Licht zu verwandeln, sondern etwas Subtileres in ihr zu finden: ein | |
Leuchten, ein helles Schimmern unter dem Schwarz. Sie ist Humor und | |
Abstraktion, Melancholie statt Trauer, die Kraft, Schönheit zu finden, egal | |
wo. | |
## Mit Leichtigkeit nehmen | |
Im Internet geistert ein Zitat herum, das Calvino und seiner Lektion | |
zugeschrieben wird. Es sagt so etwas wie: Nehmt das Leben mit Leichtigkeit, | |
Leichtigkeit ist nicht gleich Oberflächlichkeit, sondern eine Art, über den | |
Dingen zu schweben und sein Herz nicht unnötig zu beschweren. | |
Wirklich gesagt oder geschrieben hat er das in der Form angeblich nie, nur | |
war uns das in dem Fall egal. Dank ihm kamen wir am Ende des Abends zu | |
einem positiven, von allen krachenden Superlativen befreiten Fazit: Sollten | |
unsere Freunde die Stadt tatsächlich verlassen, wegziehen aus la grande | |
bellezza, so gibt es doch etwas, das sie mitnehmen und für immer bei sich | |
tragen können. La leggerezza. | |
11 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nachruf-auf-Milan-Kundera/!5947067 | |
[2] /Arte-Film-ueber-Italo-Calvino/!5076929 | |
## AUTOREN | |
Annabelle Hirsch | |
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