| # taz.de -- Jenseits der touristischen Routen: Zwischen Karren und Puppen | |
| > Das „Museo della Civiltà“ in Rom ist ein spezieller Ort. In den düsteren | |
| > Räumen ist man meist allein mit seltsamen bis gruseligen Schätzen. | |
| Bild: Steinmenschen im Museum: Ausschnitt aus dem Reliefband mit Szenen der Dak… | |
| Auf Stippvisite in Rom hat man, neben [1][Essen] und Schlendern, meist | |
| eines zum Ziel: die Kunst. Am Wochenende zu versuchen, in die Galleria | |
| Borghese, die Kapitolinischen Museen oder ähnlich bekannte Spots zu kommen, | |
| bedeutet, entweder sehr gut organisiert zu sein und seine Tickets Wochen | |
| zuvor gebucht zu haben oder eine Leidenschaft fürs Anstehen zu hegen. Den | |
| Schlangen vor gewissen Pizzerien nach zu urteilen, ist die Freude am | |
| Warten wesentlich verbreiteter, als man denkt. | |
| Bleiben wir aber bei der Kunst. Vergangenes Wochenende habe ich diese in | |
| zwei sehr unterschiedlichen Kontexten gefunden. Nachdem ich am Freitagabend | |
| die Abschlussausstellung des Kurators am Macro, Museum für Zeitgenössische | |
| Kunst, besucht hatte und dort vor allem damit beschäftigt war, zu | |
| versuchen, mir in der Masse einen Weg zu den Werken und der Bar zu bahnen, | |
| entschloss ich mich am Samstag, eine etwas abseitigere mostra zu besuchen. | |
| Ich überredete einen Freund, mit mir die Reise in das Stadtviertel | |
| Esposizione Universale di Roma, kurz EUR, anzutreten, um in das „Museo | |
| della Civiltà“, zur Ausstellung der [2][Textilkünstlerin] Isabella Ducrot | |
| zu gehen. Drucrot ist das seltene Kunststück gelungen, ihr Leben lang in | |
| ihrer Ecke vor sich hin zu arbeiten und erst im Alter von über 90 Jahren | |
| entdeckt zu werden. Für diese Ausstellung, so hatte ich es gelesen, hat die | |
| Künstlerin das Textil-Archiv des Museums durchforstet und einen Dialog | |
| zwischen ihren Arbeiten und Stücken aus Afrika, Asien, Europa und | |
| Südamerika hergestellt. | |
| Warum nicht, befand mein Freund, nicht ahnend, worauf er sich einließ. Denn | |
| das Museum ist, milde gesagt, skurril. Schon am Eingang schien es, als | |
| seien wir irgendwie falsch. Die Frau am Schalter versuchte uns vom Eintritt | |
| abzubringen, wir hatten nur noch wenig Zeit, sagte sie, sind Sie sicher, | |
| dass Sie das wollen. | |
| Wahre Stärke, ohne zu protzen | |
| Ducrots Teil ist klein, aber schön. Ihre rauen und zugleich feinen Arbeiten | |
| wirken, als würden sie dem faschistischen Bau mit sanfter Stimme erklären, | |
| dass wahre Stärke von jenen ausgeht, die es nicht nötig haben, zu protzen. | |
| Interessant, aber kurzweilig. Da wir nach etwa 20 Minuten fertig waren, | |
| beschlossen wir, da wir nun mal hier waren, zumindest einen Teil der | |
| Dauerausstellung zu besuchen. | |
| Man lernt dort allerhand Komisches. Etwa dass in der Toskana einst viele | |
| seltsame Menschen geboren wurden: kleine Mädchen, halb Kind, halb Schwein, | |
| Werwölfe, Steinmenschen. Man sieht sizilianische Karren, Trachten an | |
| gruselig echt aussehenden Puppen, allerhand Stücke aus dem Zirkus- und | |
| Kirmes-Kontext, florentinische Werbungen für gefrorene Wassermelonen, | |
| Atelier-Schilder und so weiter. | |
| Außer uns war wirklich niemand da. Die Räume waren düster, die Vitrinen | |
| leuchteten erst dann auf, als wir vorbeiliefen, und präsentierten uns ihre | |
| seltsamen bis gruseligen Schätze. | |
| Nur nicht eingeschlossen werden | |
| Mein Freund wirkte irgendwann ein wenig nervös. Theoretisch schließen sie | |
| in fünf Minuten, meinte er. Wir malten uns aus, wie wir die Nacht zwischen | |
| Karren und Puppen verbringen würden, bereuten, dass wir keinen Proviant | |
| eingepackt hatten, und schwankten zwischen Amüsement und Sorge. | |
| Wahrscheinlich würden wir in den Lokalnachrichten landen: ein Römer und | |
| eine Deutsche, eingesperrt ins Museum der Zivilisation. Man würde uns | |
| befragen, wie wir es erlebt haben, was in der Nacht geschah, das Museum | |
| würde auf einmal in den Schlagzeilen landen und auf diese Weise endlich | |
| wahrgenommen werden. | |
| In etwa so malten wir uns das Szenario aus, doch am Ende kam es natürlich | |
| anders. Wir schafften es pünktlich nach unten, liefen an der noch immer | |
| perplex wirkenden Dame am Eingang vorbei, sie grinste, wir grüßten, buona | |
| serata, und fuhren zurück in die Stadt. | |
| Am nächsten Tag schrieb der Freund, das Museum sei particolare gewesen, so | |
| etwas habe er in seiner Stadt noch nicht gesehen. Comunque bello, meinte er | |
| versöhnlich. Das nächste Ausflugsziel entscheidet wahrscheinlich trotzdem | |
| er. | |
| 9 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Annabelle Hirsch | |
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