# taz.de -- Italien in Berlin: Wie in einer Solero-Werbung | |
> Den August in Berlin und nicht in Rom zu verbringen, ist vernünftig. Die | |
> Sehnsucht nach Italien stillt ein Abend mit neapolitanischer Musik. | |
Bild: Rom im August – Abkühlung in schönster Kulisse | |
Der August in Italien ist schön, aber tückisch. Wer nicht zufällig Freude | |
daran hat, sich wie ein Speck auf einer Plancha zu fühlen, oder das Glück | |
hat, den ganzen Tag im Meerwasser zu tunken, so wie die ältere Damen an | |
italienischen Stränden, wird zwangsläufig ein bisschen leiden. | |
Während meines ersten [1][Sommers in Rom], den ich fast kontinuierlich in | |
der Stadt verbrachte, beobachtete ich zwei- oder dreimal, wie Leute im Café | |
mitten in einem Gespräch, beim Lesen oder In-die-Luft-Gucken von ihren | |
Stühlen rutschten und von einer Kellnerschar mit Eiswürfeln, Wasser und | |
Zucker reanimiert werden mussten. | |
Da auch ich eindeutig nicht für die großen Hitzen konzipiert bin, teilte | |
ich den Tag fortan intuitiv in klare Innen- und Außenzeiten ein. Von sieben | |
bis zehn, maximal elf Uhr war ich draußen, danach verließ ich das Haus | |
selten vor zwanzig Uhr. Weil ich selbst dann durch die Straßen schlurfte | |
und hechelte wie ein verdurstender Hund in der Sahara. | |
Die Poesie der leeren Stadt | |
Das menschenleere, autofreie Rom ist unbeschreiblich schön. Dieses Gefühl | |
der angehaltenen Zeit, das durch Städte fegt, deren Bewohner im August | |
flüchten, ist einzigartig. Die Leere hat eine besondere Poesie, eine | |
Melancholie und schafft zwischen den wenigen Zurückgebliebenen eine | |
Verbundenheit. Das Einverständnis, im gleichen komischen Boot zu sitzen. | |
Trotzdem beschloss ich, das Experiment erst einmal nicht zu wiederholen. | |
Ich würde den Sommer fortan, wenn schon nicht an einem Strand, dann doch | |
eher in Deutschland verbringen. Nur ist es mit der übermäßigen Hitze und | |
dem Leiden darunter wie mit so vielen Dingen, gegen die man sich aus | |
Vernunft-, nicht aus Herzensgründen entscheidet: Man vergisst, wie | |
unangenehm es war, denkt, es sei doch gar nicht so schlimm gewesen, | |
eigentlich sogar wirklich richtig schön, man sei vollkommen dumm, sich | |
davon getrennt zu haben, und folglich: Warum ist man im August in Berlin | |
und nicht in Italien? | |
Netterweise hat sich Italien oder genauer Neapel an diesem Wochenende nach | |
Berlin bewegt, und der Stimmung des Abends nach zu urteilen, hatte nicht | |
nur ich Sehnsucht nach dem Süden. Als am Samstagabend im Berliner Club | |
Prince Charles erst die Gruppe Napoli Segreta und anschließend das | |
neapolitanische Duo von Nu Genea auflegten, fühlte man sich ganz kurz so, | |
als sei man nicht in Berlin, vielleicht noch nicht einmal im Jahr 2024, | |
eher irgendwo an einem Strand bei Maratea, in den sechziger oder siebziger | |
Jahren, als hätte man noch Sand im Haar, den Geruch von Sonnencreme in der | |
Nase und einen lustigen Flirt zur Hand. Oder, wie meine Freundin Charlotte | |
es etwas konziser sagte: Wie in einer Solero-Werbung! | |
Wildes Hüftkreisen | |
Es war fröhlich und leicht und, wie es sich im richtigen Sommer gehört, | |
auch ein bisschen nostalgisch. Der Sixties-Touch von Napoli Segreta, der an | |
sich so gar nicht zum klassischen Berliner Vibe passt, sorgte hier nicht | |
für Irritation, sondern im Gegenteil für Jubelschreie, lautes Mitsingen, in | |
die Luft geworfene Arme und wildes Hüftkreisen. | |
Als etwas später Nu Genea, diese sympathische Zweimann-Band aus Neapel, | |
auftrat, die [2][Italo-Disco], Elektro, Funk, Boogie, also einfach alles | |
mischt, was Spaß macht und nach Sonne klingt, kreischte der Dancefloor, als | |
stünde er vor alten Freunden. Oder eben vor dem vermissten Gefühl des | |
Augusts in Süditalien. Es war herrlich. | |
Hier und da fächerte eine gut vorbereitete, großzügige Nachbarin einem Luft | |
zu, um die erwähnte Ohnmacht zu vermeiden, ansonsten bewegte sich der | |
gesamte Dancefloor ein paar Stunden lang in einem rhythmischen Einklang, | |
einer sommerlichen Trance. Schwitzend. Lachend. Selten habe ich in Berlin | |
so viele Menschen auf einer Tanzfläche lächeln gesehen. | |
Vielleicht hatten manche beim Hinhören auch Nu Geneas Video von „Marechià“ | |
im Kopf. Dort sieht man einen älteren Herrn (den Vater eines der beiden), | |
der sich voller Elan auf den Weg zu seiner morgendlichen Schwimmtour macht. | |
Als man ihm den Weg zum Wasser versperrt, zögert er nicht lange. Wenn er | |
nicht im Meer schwimmen kann, dann schwimmt er eben durch die Straßen von | |
Neapel. Er zieht seine Schwimmbrille auf und krault los. Noch einen August | |
in Berlin und ich mache das auch. | |
13 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Annabelle Hirsch | |
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