Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Italienischer und deutscher Fahrstil: Die Romantik des Autofahrens
> Im Berliner Exil überfällt die Autorin die Sehnsucht nach Rom. Besonders
> vermisst sie Italien, wenn sie auf dem Fahrersitz eines Autos sitzt.
Bild: Abendlicher Berufsverkehr auf der Piazza Venezia in Rom
Seitdem ich mich seit einigen Wochen in einem selbstgewählten Berliner Exil
befinde, dessen Grund mir einst vernünftig, mittlerweile allerdings
schleierhaft erscheint, überkommt mich in den absurdesten Momenten eine
akute Rom-Sehnsucht.
Wenn zum Beispiel am Sonntag ein Nachbar auf die Straße runterschreit, „Das
ist kein Parkplatz, das ist eine Einfahrt! Das kostet sie jetzt 30 Euro!
Das wissen sie schon, oder?“, nur weil ein armer Typ seinen Wagen fünf
Minuten lang in der Einfahrt geparkt hat, aus der sowieso keiner wollte.
Dann denke ich voller Liebe an all die Leute, die samstags und sonntags vor
dem Café in meinem Viertel in zweiter Reihe parken und nur dann zu ihrem
Auto hechten, wenn jemand durch lautes Hupen manifestiert, dass er oder sie
eingeparkt ist und gerne wieder losmöchte. Ganz freundlich, ohne großes
Theater, ohne sich gleich mit Anzeigen oder ähnlich miesepetrigen Ausrufen
zu drohen.
Überhaupt hat diese Sehnsucht ungewöhnlich [1][oft mit Autos zu tun]. Als
ich vor einigen Wochen zum ersten Mal seit Langem mit einem Leihwagen durch
Berlin fuhr, kam ich am Ende der Strecke vollkommen entnervt an und raunte
meinem Gegenüber zur Begrüßung erst einmal ein etwas harsches „Deutsche
können wirklich nicht Auto fahren“ entgegen.
Der vermeintlich wilde italienische Fahrstil
Das war nicht nett, der arme Mann konnte ja wirklich nichts dafür, trotzdem
bleibe ich bei der Meinung: Wo man gemeinhin, sowohl in Deutschland als
auch in Frankreich (und wahrscheinlich auch anderswo) behauptet, „die
Italiener“ (wer auch immer das sein mag) hätten einen besonders wilden,
anarchischen Fahrstil und es sei absolut mutig, wenn nicht gar lebensmüde,
sich auf einer italienischen Straße auf den Fahrersitz zu hocken, bin ich
mittlerweile vom Gegenteil überzeugt.
Sie beweisen am Steuer eine ähnliche Flexibilität wie im Alltag. Sicher,
wer sich blind an Regeln halten will, klar eingezeichnete Fahrspuren
braucht, weil er sich nicht selbst vorstellen kann, wo sie denn ungefähr
verlaufen könnten, vorhat, stur auf seinem Recht zu beharren, weil es ja
nun mal das Recht ist und man dem Recht folgt, sollte sich lieber nicht ans
Steuer setzen. Zumindest nicht südlich der Toskana.
Es könnte in der Tat blöd ausgehen. Wer allerdings gewillt ist, sich in
Aufmerksamkeit für seine Umwelt zu üben und zu lernen, spontan zu
reagieren, wer Lust hat, nicht für sich allein, sondern mit den anderen
Verkehrsteilnehmern zusammen zu fahren, wie in einem Tanz, bei dem man
nicht einfach steif die erlernten Schritte nachmacht, sondern nachspürt,
was die Partner tun, auf ihre Bewegungen reagiert, weitere initiiert, sich
eingliedert und ausschweift, einfach dem Fluss folgt, wird merken, wie viel
amüsanter Autofahren sein kann. Wie viel organischer.
Nun bin ich eigentlich gar kein besonderer Autofan, ich besitze keines und
möchte auch keines besitzen. Trotzdem dachte ich neulich schon wieder an
das Fahren in Rom.
Sie malend, er schreibend
Ich las in einem Buch eines Freundes, dem sehr schönen „Eine Frau und ein
Mann“, einer Kollaboration zwischen dem Autor Niklas Maak und der
[2][Illustratorin Leanne Shapton]. Es folgt einem einfachen Prinzip: Sie
fahren in Amerika und Europa berühmte Filmsequenzen nach, in denen eine
Frau und ein Mann in einem Auto sitzen, und halten ihre Erlebnisse,
Eindrücke, beim Fahren aufgekommenen Assoziationen und Geschichten fest.
Sie malend, er schreibend.
Sie fahren durch Manhattan wie in „Annie Hall“, in die Normandie wie in „…
homme et une femme“, durch Montana wie in „The Shining“. Und: Von Rom nach
Neapel wie in Rossellinis „Viaggio in Italia“. Wer diesen Teil liest und
ein bisschen Herz hat, will sofort alles stehen und liegen lassen und gen
Süden reisen, will die Fenster runterkurbeln, zu den Pinien und den rot
leuchtenden Ruinen aufschauen, den Papageien lauschen und die staubig
weiche Luft einatmen.
Denn das Buch folgt, wenn man so will, einem ähnlichen Prinzip wie die
Straßen der italienischen Hauptstadt. Es sagt, dass Autofahren keine
egoistische, ängstlich fantasielose Regeln befolgende Aktivität ist,
sondern, wenn schon nicht umweltfreundlich, dann doch zumindest romantisch,
poetisch, sinnlich sein kann. Ich glaube, es wird Zeit, wieder nach Rom
aufzubrechen.
9 Apr 2024
## LINKS
[1] /Stadtteile-in-Rom/!5965269
[2] /Die-Kunst-der-Woche/!5985773
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
Kolumne La Strada
Rom
Italien
Auto
Verkehr
Kolumne La Strada
Kolumne La Strada
Italien
Kolumne La Strada
Kolumne La Strada
Kolumne La Strada
Kolumne La Strada
## ARTIKEL ZUM THEMA
Traumstadt Rom: La leggerezza
Rom hat diese Leichtigkeit – leggerezza –, die man in anderen Ecken
Italiens nicht findet. Über die Stadt am Tiber am Ende des Sommers.
Italien in Berlin: Wie in einer Solero-Werbung
Den August in Berlin und nicht in Rom zu verbringen, ist vernünftig. Die
Sehnsucht nach Italien stillt ein Abend mit neapolitanischer Musik.
Liebeserklärung an den Fiat Panda: Der echte Volkswagen
Unsere Autorin ist verliebt in den Fiat Panda. Über ein perfektes Auto aus
Wellblech, das erschwinglich ist und dazu noch – wunderschön.
Römische Geschichten: Die Taubenlady auf ihrer Terrasse
Im Zentrum gleicht Rom immer mehr einer Kulisse, gefüllt mit Touristen und
Statisten. Manchmal aber taucht eine Dame in türkisem Morgenmantel auf.
Ein Graffiti in Rom wirft Fragen auf: Fußball-Fans und Märtyrer
„Wer ist eigentlich Gabriele?“, wird die Autorin in einem Café im römisch…
Viertel EUR gefragt. Die Frage hatte sie sich auch schon gestellt.
„La Storia“ als TV-Serie: Elsa Morante ist zurück
Seit auf Rai eine Adaption von Elsa Morantes „La Storia“ läuft, ist der
Roman wieder auf den Bestsellerlisten. Er passt erschreckend gut in die
Zeit.
Hexenbrauch in Italien: Vom Freiheitskuchen zur Kohlensocke
Den Dreikönigstag feiert man in Frankreich mit der „Galette des Rois“. In
Italien bringt stattdessen eine Hexe den Kindern „süße Kohle“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.