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# taz.de -- Hexenbrauch in Italien: Vom Freiheitskuchen zur Kohlensocke
> Den Dreikönigstag feiert man in Frankreich mit der „Galette des Rois“. In
> Italien bringt stattdessen eine Hexe den Kindern „süße Kohle“.
Bild: Eine „Befana“ an einem Marktstand
Einer der schönsten Momente der französischen Endjahres-Festivitäten ist
nicht zum Ende des alten, sondern zu Beginn des neuen Jahres und hat mit
einem Kuchen zu tun. Die Torte an sich ist nichts Besonderes, ein
Blätterteiggebäck mit recht schwerer Mandelcremefüllung, sogenannter
Frangipane, nur liegt der Witz oder besser gesagt der bestechende Charme
dieses Kuchens, der sogenannten Galette des Rois, des Kuchens der Könige
und Königinnen, nicht in seinem Geschmack, sondern im Drumherum. Im
Prozedere, mit dem sein Verspeisen verbunden ist.
Dieses geht in etwa so: Man lädt am 6. Januar, der „épiphanie“, dem Fest
der [1][Heiligen Drei Könige], Freunde oder seine Familie zum Essen ein und
serviert zum Ende besagte Galette. Diese wird in die Zahl der Mitessenden
geteilt, in der traditionellsten Ausführung kriecht die jüngste Person der
Runde unter den Tisch und gibt an, welches Stück an welchen Gast gehen
soll: „Dieses an Tante Marguerite, das an Cousin Elie, das an Colette“ und
so weiter.
Man macht das nicht nur, weil es für das unter dem Tisch sitzende Kind
lustig ist, sondern auch, weil man damit vermeidet, dass jemand schummelt.
Schließlich geht es bei der Galette, wie erwähnt, weniger um den Kuchen als
um das, was sich darin versteckt: Die fève, ein kleines Wesen aus
Porzellan, ein Mann, eine Frau, ein Esel, Sonstiges. Wer die fève in seinem
Stück findet (entweder weil sie schon mit der Gabel zu ertasten war oder er
oder sie sich daran gerade fast einen Zahn ausgebissen hat), wird zum König
oder zur Königin des Abends ernannt und mit einer goldenen Pappkrone
ausgestattet.
Als ich klein war, feierten wir dieses Fest jedes Jahr. Selbst wenn wir in
Deutschland waren, nötigte meine Mutter Freunde und Bekannte dazu, sich
diesem Protokoll zu unterziehen, was immer gutging, in Deutschland gibt es,
soweit ich weiß, nur eine wenig verbreitete Dreikönigstradition.
In Italien hingegen ist das anders. Die Torte hat hier eine ernstzunehmende
Konkurrenz: Die [2][Befana] und ihre Socke. Befana ist eine Hexe, die in
der Nacht des 5. auf den 6. Januar kommt und die zu ihren Ehren
aufgehängten Socken der Kinder mit Geschenken bestückt. Waren sie brav,
bekommen sie Süßigkeiten, waren sie ungezogen, legt die Dame ihnen Kohle,
genauer: schwarzen Zucker, in den Strumpf.
Als ich vergangenen Samstag an der Piazza Navona an etlichen Hexenfiguren
vorbeigelaufen war und in einer Patisserie in Trastevere dachte, ich könne
mein Glück vielleicht doch noch mal versuchen, antwortete die Dame auf die
Frage, ob sie einen Dreikönigskuchen haben: „Zur Epiphanie gibt es bei uns
keinen Kuchen. Bei uns gibt es einen Strumpf.“
## Tradition aus dem Römischen Reich
Wenn man es genau nimmt, ist das komisch, immerhin ist die Galette des Rois
eng mit Italien, speziell Rom, verbunden. Es heißt, die Tradition gehe auf
das Römische Reich zurück: Damals beendete (oder begann) man die Festzeit
der „Saturnalien“, die Feste zur Wintersonnenwende, damit, dass man nach
einem Bankett einen Kuchen verteilte, in dem eine weiße oder schwarze Bohne
versteckt war. Der Sklave, der sie fand, wurde zum König ernannt und durfte
sich einen Tag lang all seine Wünsche erfüllen lassen.
Sogar das Gebäck soll italienisch sein. So besagt die Legende, das Rezept
der Frangipane, jener Mandelcreme, die zur klassischen Galette dazugehört,
sei von einem gewissen Conte Cesare Frangipani in Florenz erfunden und
[3][Katharina von Medici] zu ihrer Hochzeit mit dem zukünftigen
französischen König Henri II. geschenkt worden.
Erst durch sie beziehungsweise ihn habe sich diese Version etabliert. So
sehr, dass man sogar bei Louis XIV. Stallburschen und Hofdamen einlud, „die
Könige zu ziehen“ und als Königspaar des Tages Vorschläge für neue Dekrete
zu machen. Während der Revolution wurde der Kuchen weiter politisiert und
zur „Galette de l’Égalité“ ernannt.
Nun finde ich in Italien, wie sich das als alles romantisierende Fremde
gehört, grundsätzlich fast alles besser als dort, wo ich herkomme. Nur,
weshalb man die Tradition des Kuchens der kurzweiligen Freiheit Frankreich
überlassen hat und sich am 6. Januar stattdessen mit als Kohle getarnten
Süßigkeiten und Socken begnügt, verstehe ich nicht.
8 Jan 2024
## LINKS
[1] /Italienische-Weihnachtsgeschichten/!5735391
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Befana
[3] /Die-Wahrheit/!5422822
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
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Italien
Neujahr
Kuchen
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Zucker
Bali
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