# taz.de -- Zwei Städte mit großen Erwartungen: Santa Lucia kehrt heim! | |
> Wenn Heilige mit aufgekratzter Freude erwartet werden … dann befindet man | |
> sich wahrscheinlich in Italien. | |
Bild: Die Heilige Santa Lucia | |
Als ich vor einigen Wochen die sizilianische Küstenstadt Siracusa besuchte, | |
erlebte ich in einer Grabstätte eine skurrile Begegnung. Es war ein | |
Sonntag, ich kam vom Flohmarkt am Platz vor der Kirche Santa Lucia al | |
Sepolcro, als ich bemerkte, dass der kleine oktogonale Bau neben dem | |
Kirchenschiff ausnahmsweise geöffnet war. | |
Neugierig lief ich die Treppen hinunter und landete in einem winzigen Raum, | |
in dessen Ecke eine Frau oder besser gesagt die Marmorskulptur einer Frau | |
lag. Mit der einen Hand presste sie ein Kreuz gegen ihre Brust, mit der | |
anderen hielt sie eine Feder und ein Buch, als wolle sie etwas | |
aufschreiben. | |
Statt ruhig und besinnlich, wie zu erwarten in einer Grabkammer, war es | |
sehr laut, der Wächter telefonierte per Facetime und lief aufgeregt hin und | |
her. Irgendwann marschierte er zielstrebig auf die liegende Skulptur zu, | |
drehte sein Handy um und rief ergriffen: Guarda, Santa Lucia dorme! Schau, | |
Santa Lucia schläft! | |
Als er kurz darauf auflegte und meine etwas verwunderte Gestalt bemerkte, | |
erzählte er mir, weshalb er so aufgekratzt sei und die Tradition, an einem | |
Grab in sich zu gehen, so beherzt breche – zum einen, weil Santa Lucias | |
Reliquien sowieso nicht hier liegen, sondern in Venedig, zum anderen, und | |
das sei viel wichtiger: Weil sie bald zurückkehre. „Santa Lucia kommt | |
zurück nach Hause! Santa Lucia kehrt heim!“ | |
## Der Verheiratung entkommen | |
Der Legende nach bekannte Lucia sich schon früh zum Christentum, was im | |
dritten Jahrhundert nicht nur ungewöhnlich, sondern schier lebensgefährlich | |
war. Ihr Wunsch, nie zu heiraten, wurde anfangs schlicht ignoriert, als ihr | |
Vater starb, verlobte man sie sofort. Als ihre Mutter dann aber nach einem | |
Besuch von Lucia am Grab der heiligen [1][Agatha in Catania] überraschend | |
von einer schweren Krankheit genas, nahm diese die Berufung ihrer Tochter | |
an und lies sie die Verlobung auflösen. | |
Leider verkraftete der abgewiesene Verlobte diese Wendung schlecht. Er | |
zeigte Lucia als Christin an, sie wurde festgenommen, gefoltert, hinter | |
einem Karren durch die Stadt geschleift, es heißt, man riss ihr die Augen | |
aus. Auf Gemälden erscheint sie meist so: Als schöne Frau, die ein paar | |
Augen auf einem Tablett serviert. Vielleicht weisen diese auf besagte | |
Folter hin, vielleicht auch auf eine anderen Version der Geschichte, in der | |
Lucia sich die Augen selbst ausriss und dem Verlobten schickte. Vielleicht | |
auch darauf, dass sie eine gewisse Klarsicht bewies, wusste, wofür sie zu | |
leben und zu sterben bereit war. | |
Tatsächlich, so erfuhr ich später, bereitet sich die Stadt in diesen Tagen | |
auf die Rückkehr der Reliquien vor. Zum ersten Mal seit zehn Jahren wird | |
die Heilige am 14. Dezember in ihre Heimatstadt zurückkommen und eine Woche | |
lang verweilen. | |
Ich erzähle das alles, zum einen, weil ich, obwohl ich nicht religiös bin, | |
gerührt war zu sehen, wie ergriffen dieser Mann von dieser Aussicht zu sein | |
schien. Zum anderen, weil [2][auch Rom] sich derzeit auf Besuch | |
vorbereitet: Seit knapp einem Jahr putzt sich die Hauptstadt heraus wie für | |
ein Rendezvous. | |
## Rom putzt sich | |
Die Brunnen werden poliert, die Fassaden gestrichen, ganze Stadtviertel | |
erneuert, Tunnel gegraben, es gibt eine neue Metrolinie. Alles ist ein | |
bisschen schöner und um einiges teurer geworden, wenn man sich darüber | |
wundert, bekommt man als Antwort meist ein resigniertes Schulterzucken: | |
„Eh! E cosi, e Il Giubileo!“ | |
Il Giubileo, das Jubiläum, steht für das heilige Jahr, ein Jahr, in dem | |
Gläubige aus aller Welt nach Rom reisen, um durch eine Pforte der vier | |
Papstbasiliken zu laufen und damit, so heißt es, auf einen Schlag von allen | |
Sünden befreit zu werden. Da sich diese Möglichkeit seit 1300 nur alle | |
fünfundzwanzig Jahre bietet, erwartet Rom 2025 knapp fünfundvierzig | |
Millionen Pilgerinnen und Pilger. | |
Ich überlasse Ihnen, wo ihre Sympathie liegt, bei jenen, die sich schnell | |
befreien lassen wollen oder bei jener, die bereit war, für ihre Überzeugung | |
mehr als nur ein paar Schritte durch ein Tor zu tun. Meine liegt, wie Sie | |
sicher ahnen, eher in Siracusa. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein | |
schönes Jahresende und, Jubiläum hin oder her: ein sehr frohes 2025. | |
10 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Annabelle Hirsch | |
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