| # taz.de -- Nachruf auf Milan Kundera: Mit geistiger Freiheit | |
| > Sein Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ verhalf der | |
| > tschechischen Literatur zu Weltruhm. Nun ist Milan Kundera in Paris | |
| > gestorben. | |
| Bild: Zeitlebens unbequem, im Exil ein Erfolgsschriftsteller: Milan Kundera im … | |
| „Es gibt Prüfungen und Verführungen, die kommen in der Geschichte nur ab | |
| und zu vor, und niemand widersteht ihnen“, schrieb Milan Kundera Anfang der | |
| 1970er Jahre in seinem Roman „Abschiedswalzer“, den er damals als den | |
| Epilog, so der ursprüngliche Name, seines literarischen Schaffens sah. | |
| Es war die Zeit kurz nach der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings | |
| – diesen Versuch tschechoslowakischer Reformkommunisten, einen „Sozialismus | |
| mit menschlichem Gesicht zu schaffen“, sah Kundera als einen historischen | |
| Akt. „Es gibt kein anderes Volk auf der Welt, das eine ähnliche Prüfung so | |
| wie wir bestand und dabei ein solches Maß an Entschlossenheit, Vernunft und | |
| Einigkeit bewiesen hätte“, erklärte Kundera kurz nach dem [1][Einmarsch | |
| sowjetischer Panzer 1968] in seinem Essay „Das Los der Tschechen“. | |
| Eine Befreiung durch einen Pakt angeblicher Brudervölker mag eine seltene | |
| Prüfung sein, bei der Widerstand sinnlos ist. Der Verführung war Kundera, | |
| der 1929 im mährischen Brünn in eine Familie von akademischen Musikern und | |
| Literaten hineingeboren wurde, schon 20 Jahre zuvor erlegen: Kurz nach der | |
| Matura am traditionsreichen Brünner Gymnasium war er in die Kommunistische | |
| Partei eingetreten, die sich gerade erfolgreich an die Macht geputscht | |
| hatte. | |
| Die Faszination mit den Kommunisten hielt nicht lange. Schon 1950, zu | |
| [2][Beginn des stalinistischen Terrors], der in der Tschechoslowakei bis zu | |
| 250.000 Opfer forderte, wurde Kundera aus der Partei ausgeschlossen. Die | |
| Anschuldigung, damals einen Studienkollegen verraten zu haben, wies er | |
| immer entschieden von sich. | |
| Kundera galt als literarisches und dichterisches Ausnahmetalent, ein | |
| beliebter Dozent an der Prager Filmhochschule FAMU, auf der er nach | |
| Abschluss seines Studiums das Fach „Weltliteratur“ unterrichtete. Mit | |
| Ausklingen des Stalinismus Mitte der 1950er wurde er zwar erneut in die | |
| Partei aufgenommen, blieb jedoch ein unbequemer Genosse, dem die | |
| Liberalisierungen der 1960er Jahre nie genug waren. | |
| ## Als unliebsam abgeschrieben | |
| Das Schicksal der tschechischen Literatur sei abhängig vom Grad der | |
| geistigen Freiheit im Land, erklärte Kundera auf dem IV. | |
| Tschechoslowakischen Schriftstellerkongress 1967 und sicherte sich damit | |
| schon einen Platz unter denen, die das Regime später als unliebsam | |
| abschreiben würde. | |
| Die Prüfungen und Verführungen seiner Zeit waren dem Literaten Kundera auch | |
| Inspiration: Sein Parteiausschluss 1950 war bedingt dadurch, dass die | |
| Staatssicherheit ihm auf die Schliche gekommen war, wie er sich über einen | |
| ihrer Funktionäre lustig gemacht hatte. Der Vorfall inspirierte Kundera | |
| später zu seinem Roman „Der Scherz“, der die politische Atmosphäre in der | |
| Tschechoslowakei der 1950er und 60er Jahre nachempfindet. | |
| In seinem Protagonisten Ludvík zeichnet Kundera seine eigene Ernüchterung | |
| von der kommunistischen Ideologie nach, ein Thema, das sich neben dem des | |
| Verlorenseins durch den Verlust der Heimat, ihrer Folklore und Traditionen | |
| wie ein roter Faden durch Kunderas Werk zieht, wenn auch oft in Metaphern. | |
| ## Im Streit mit Václav Havel | |
| „Man kann nie wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das | |
| man weder mit früheren Leben vergleichen noch in späteren korrigieren | |
| kann“, schreibt er in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Als der | |
| Erfolgsroman 1984 erschien, lebte Kundera schon neun Jahre im Exil in | |
| Frankreich. In Tschechien sollte der Roman, der der tschechischen Literatur | |
| zu Weltruhm verhalf, erst 2006 offiziell erscheinen. | |
| Auch im nachkommunistischen Tschechien galt Kundera, der Exilant, als | |
| unbequem. Seitdem Václav Havel ihm 1968 widersprochen hatte – bei Kunderas | |
| Theorie über das historische Los der Tschechen handele es sich um | |
| selbstgerechten Größenwahn, sagte der spätere tschechische Präsident –, | |
| blieben die beiden Denker auf Distanz. | |
| „Wegen der Dissidenten, die an die Macht gekommen waren und uns hassten“ | |
| seien sie nach der Samtrevolution nicht nach Tschechien zurückgekommen, | |
| erklärte Kunderas zweite Frau Věra 2019. | |
| Sein Werk jedoch, dem seine Heimatstadt Brünn anlässlich seines 94. | |
| Geburtstages im April dieses Jahres eine eigene Bibliothek gewidmet hat, | |
| lässt offen, ob er je wirklich weggegangen ist. „Ich denke, dass man das | |
| Leben mit allem Für und Wider annehmen muss“, schrieb Kundera in seinem | |
| „Abschiedswalzer“. Am 11. Juli ist Milan Kundera in Paris gestorben. | |
| 12 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alexandra Mostyn | |
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