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# taz.de -- Hilfsmittel bei Wettkämpfen: Schneller, höher, stärker
> Die Enhanced Games möchten alle Hilfsmittel erlauben, die bei Olympischen
> Spielen verboten sind. Was ist am Leistungssport überhaupt noch
> natürlich?
Bild: Mit welchen Mitteln: 10.000 Meter Läuferinnen während der Olympischen s…
Endspurt in der zehnten Etappe der Tour de France 1997 nach Andorra,
[1][Jan Ullrich] beginnt den Anstieg, der sich über Serpentinen hoch in die
Pyrenäen windet. Immer wieder dreht er den Kopf, schaut über die Schulter.
Nur wenige Meter trennen ihn von seinem Verfolger, dem Italiener Marco
Pantani. Ullrich zieht an, legt den Körper in den Lenker. „Jetzt räumt er
die Gegner richtig ab“, brüllt eine Moderatorenstimme bei Eurosport,
während „Ulle“ den Abstand vergrößert und schließlich seinen ersten
Etappensieg einfährt. Später folgt der Sieg der Tour. Jan Ullrich wird zur
deutschen Radsportlegende – bis 2006 herauskommt, dass er unter anderem mit
Epo gedopt hat und er für sämtliche Wettkämpfe gesperrt wird.
Epo ist ein Hormon, das die Produktion von roten Blutkörperchen im Blut
anregt. Künstlich zugeführt, wie bei Ullrich, verbessert es die Ausdauer
durch eine erhöhte Menge roter Blutkörperchen. Es kann aber auch das Risiko
für Thrombosen, Schlaganfälle und Herzinfarkte erhöhen. Seit 1990 ist es
[2][in internationalen Wettkämpfen verboten].
## Die verbesserten Spiele
Bis jetzt. Eine neue Sportveranstaltung möchte das Medikament zulassen.
Enhanced Games, auf Deutsch „verbesserte Spiele“, lautet ihr Name. Hier
hätte man Ullrich für seinen Konsum gefeiert, ja sogar dazu ermutigt,
weiter zu spritzen. Auch [3][alle anderen Dopingmittel] sollen bei der
Veranstaltung erlaubt sein. Ab dem kommenden Jahr soll sie stattfinden. Das
klingt erst mal absurd, aber wie natürlich ist Leistungssport überhaupt?
Überhaupt nicht, würde die Antwort lauten, [4][ginge es nach den Enhanced
Games]. Drogen, anabole Steroide so wie Hilfsmittel jeglicher Art sollen
erlaubt sein, um Athlet:innen zu neuen Bestleistungen zu verhelfen.
Damit möchte man ein Gegenmodell zum herkömmlichen Sport und speziell den
[5][Olympischen Spielen] etablieren.
Wagniskapitalgeber haben bereits mehrere Millionen Dollar in das Projekt
investiert. Der größte von ihnen ist Peter Thiel, Paypal-Mitgründer,
Superliberaler und Großspender für Donald Trump. Athlet:innen werden mit
hohen Preisgeldern gelockt. Für einen neuen Weltrekord sollen
Sportler*innen eine Million Euro erhalten.
Ob die verbesserten Spiele Realität werden, ist jedoch fraglich. Irgendwann
in der zweiten Jahreshälfte von 2025 sollen die Spiele das erste Mal
stattfinden. Ursprünglich war der Termin mal auf 2024 gesetzt. Bis heute
ist der Austragungsort unbekannt.
Die internationale Sportgemeinschaft zeigt sich über die Idee empört. „Wenn
man jegliche Art von Fair Play (…) vernichten möchte, wären die Enhanced
Games eine gute Möglichkeit, um das zu erreichen“, schreibt das
Internationale Olympische Komitee (IOC) in einem Statement. Ein schlechter
Witz sei die Sportveranstaltung in den Augen von Sebastian Coe, dem
Präsidenten des Welt-Athletikverbands WA.
Was die meisten Sportveranstaltungen von den verbesserten Spielen
unterscheidet: Sie halten sich an die Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur
Wada. Diese gibt in einer jährlich aktualisierten Liste vor, welche
Hilfsmittel, Substanzen oder Trainingstechniken erlaubt sind und welche
nicht.
Damit möchte die Wada den „Geist des Sports“ wahren. Dieser Geist bestehe
darin, den Wettkampf zwischen natürlichen Athleten aufrechtzuerhalten und
„den menschlichen Körper zu zelebrieren“.
## Unnatürliche Hilfsmittel
Aber wie natürlich ist der Wettkampf bei herkömmlichen Sportveranstaltungen
wie den [6][Olympischen Spielen] oder der [7][Tour de France]? Schließlich
machen sich Sportler:innen auch heute schon Technik und Wissenschaft
zunutze, um den entscheidenden Zentimeter höher zu springen und die
Millisekunde schneller zu laufen.
Beim simulierten Höhentraining etwa setzen sich Athlet:innen einem
künstlich erzeugten Sauerstoffmangel aus. Dafür begeben sie sich in
Kammern, die den Luftdruck verändern, oder trainieren mit Masken, die die
Sauerstoffzufuhr reduzieren. Als Folge produziert der Körper mehr Epo,
damit sich mehr rote Blutkörperchen im Blut befinden, um den geringeren
Sauerstoffgehalt auszugleichen. Wenn man das Training oft genug wiederholt,
bleibt der erhöhte Gehalt an roten Blutkörperchen auch während des
Wettkampfs bestehen und sorgt dafür, dass Athlet:innen mehr Ausdauer
haben.
So hat Höhentraining denselben Effekt wie die künstliche Epo-Zufuhr: ein
erhöhter Gehalt roter Blutkörperchen im Blut. Warum ist das eine erlaubt,
aber das andere nicht?
„Natürlichkeit im Sport meint, dass die Kraft bei einem Wettkampf im
Wesentlichen vom Körper erbracht werden muss“, sagt Gunter Gebauer,
Sportphilosoph an der Freien Universität Berlin. Dass man künstliche Mittel
einsetzt, um die Kraft des Körpers zu stimulieren, sei mit diesem Ideal zu
vereinbaren, solange sichergestellt wird, „dass der Körper die Instanz ist,
die die Leistungssteigerung bewirkt“.
## Keine klare Grenze
Doping beginnt also dort, wo die Kraft des Körpers auf eine Art und Weise
erweitert wird, die über die körperlichen Grenzen hinausgeht. „Substanzen
werden verboten und gelten als Dopingmittel, wenn sie eine unphysiologische
Reaktion hervorrufen“, sagt Gebauer.
Beim Höhentraining schüttet der Körper das Epo dabei selbst aus. Um es mit
den Worten der Wada auszudrücken: Höhentraining steigert das „natürliche
Talent des Körpers“, Epo-Doping nicht.
## Prothesen als Streitpunkt
Ein weiterer Schauplatz, auf dem über die Frage der Natürlichkeit
gestritten wird, sind Prothesen im Leistungssport. Der WA verbot sie als
technische Hilfsmittel in verschiedenen Fällen bei den Olympischen Spielen.
„Die Prothese, die Athlet:innen beim Sport benutzen, ist nicht die
Prothese, die sie auch im Alltag benutzen. Sie wird nur für den Sport
gebraucht. Das unterscheidet sie vom körpereigenen Bein“, sagt der
Sportphilosoph. Auch aus der Biomechanik gibt es Stimmen, die die
Vergleichbarkeit von Prothesen und Körperteilen anzweifeln.
Mit der Idee des natürlichen Wettkampfs lässt sich ein Verbot von Prothesen
also erklären. Wie sinnvoll das ist und inwiefern es mit dem Ziel der
Gleichstellung kollidiert, ist eine andere Frage.
## Ein Katz-und-Maus-Spiel
Während die Doping-Kontrolleur:innen immer neue Nachweismethoden
entwickeln, sind die Dopenden immer auf der Suche nach neuen Mitteln. „Man
kann immer nur die Hilfsmittel aus dem Sport verbannen, deren unnatürliche
Wirkung nachgewiesen wurde“, sagt Gebauer. Weil Sportartikelhersteller und
Pharmakonzerne regelmäßig neue Produkte auf den Markt bringen, öffnen sich
immer wieder Zeitfenster, in denen eine Technologie oder ein Medikament
erlaubt ist, weil man den Doping-Effekt einfach noch nicht nachweisen kann.
Neuartige Sprintschuhe, wie sie Athlet:innen bei den Olympischen Spielen
2024 trugen, könnten so ein Mittel sein. „Super Spikes“ nennt sich die neue
Schuhart. Eine [8][Carbon-Platte in der Mittelsohle] und einen speziellen
Schaumstoff sollen den Schuh leichter und dynamischer machen.
Eine kürzlich erschienene Studie der Universität Michigan fand heraus, dass
die Schuhe die Leistung der Athlet:innen um bis zu zwei Prozent steigern
können. „Wenn die Schuhe die Leistung um zwei Prozent steigern, verfälschen
sie den Wettkampf völlig“, sagt Gebauer. „Ich gehe stark davon aus, dass
sie verboten werden.“ Noch aber sind sie erlaubt.
Die britische Zeitschrift The Telegraph hat die Leichtathletikrennen ab 800
Meter aufwärts untersucht und festgestellt: Alle Goldmedaillen wurden von
Athlet:innen mit Super Spikes gewonnen.
## Streben nach einem Ideal
Was unterscheidet herkömmliche Sportarten also von den Enhanced Games?
Schließlich gibt es auch hier Hilfsmittel wie die Super Spikes. Das
Epo-Höhentraining zeigt aber: ob natürlich oder unnatürlich kann im
Endeffekt aufs Gleiche hinauslaufen. „Eine ganz klare Grenze zu den
Enhanced Games wird man nie ziehen können“, sagt Gebauer.
Als Ideal wird im herkömmlichen Sport Natürlichkeit angestrebt. Das
unterscheidet ihn von den Enhanced Games – einer Veranstaltung, bei der die
beste Substanz das Rennen gewinnt, die beste Prothese das schwerste Gewicht
stemmt. „Wenn man das Ideal der Natürlichkeit aufgibt, geht im Sport eine
große Qualität verloren“, sagt Gebauer. „Die Faszination bei einem Sprint
besteht eben darin, dass man nicht auf einem Moped sitzt oder angeschoben
wird, sondern die Kraft mit dem Körper verrichtet.“
10 Sep 2024
## LINKS
[1] /Jan-Ullrichs-Comeback-in-den-Medien/!5972889
[2] /Doping-bei-der-Tour-de-France/!6020733
[3] /Doping-im-Schwimmsport/!6007591
[4] /Dopingspiele-als-Gegenmodell/!5994422
[5] /Olympia-in-Paris-2024/!6013048
[6] /Schwerpunkt-Olympische-Spiele-2024/!t5058793
[7] /Doping-bei-der-Tour-de-France/!6020733
[8] /Die-peinlichste-Sportart-der-Welt/!6009968
## AUTOREN
Jerrit Schloßer
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