# taz.de -- Olympiasieger Edwin Moses: „Weil ich die Dinge anders sehe als vi… | |
> Edwin Moses revolutionierte den 400-Meter-Hürdenlauf. Der Olympiasieger | |
> über sein Leben, den Kampf gegen Doping und Rassismus. | |
Bild: Edwin Moses bei den Olympischen Sommerspielen 1984 in L.A | |
taz: Herr Moses, Leichtathletik ist olympische Kernsportart. Vor Jahren | |
waren die Golden-League-Meetings große Veranstaltungen. Heute stehen andere | |
Sportarten im Fokus. | |
Edwin Moses: Als ich noch lief, war Leichtathletik eine der meist | |
respektierten Sportarten der Welt. Die Stadien waren voll. Ich weiß | |
wirklich nicht, was passiert ist. Denn im Laufe der Jahre gab es viele | |
bedeutende Athleten wie Michael Johnson und Usain Bolt. Ich bin jedenfalls | |
glücklich, dass ich in den goldenen Zeiten gelaufen bin. | |
taz: Sie wurden 1976 und 1984 Olympiasieger. Wären Sie 1980 in Moskau | |
gelaufen, als die USA die Spiele boykottierten, hätten Sie wohl auch dort | |
Gold geholt. Wie ging es Ihnen damals? | |
Moses: Ich habe den Lauf nicht im Fernsehen gesehen, er wurde in den USA | |
nicht übertragen. Es war schlimm, nicht dabei zu sein. Ich bin kurz vor den | |
Spielen von Moskau mit 47,13 in Mailand neuen Weltrekord gelaufen, also | |
1,57 Sekunden schneller als der Olympiasieger von 1980, Volker Beck aus der | |
DDR. Aber so ist das Leben. In der Geschichte gibt es viele Dinge, die | |
keinen Sinn ergeben. | |
taz: Sie lebten in den 80ern in West-Berlin. Waren Sie mal in Ost-Berlin? | |
Moses: Viele Male, über den Grenzübergang Checkpoint Charlie. Mit meiner | |
damaligen Frau aus West-Berlin waren wir ab und zu in einer Bar in | |
Ost-Berlin. Sie war Künstlerin und kannte sich gut aus. Unsere Wohnung in | |
Berlin-Rudow war etwa 300 Meter von der Mauer entfernt. Ich lief immer an | |
der Westseite entlang. Viele Jungs in der Nachbarschaft wussten, wer ich | |
war, und riefen meinen Namen. | |
taz: Sie sind damals auch oft im Ostblock gestartet. Warum? | |
Moses: Amerikaner traten dort kaum an, aber ich fand es wichtig, an Orten | |
hinter dem Eisernen Vorhang zu laufen, wo man mich nicht erwartete. | |
taz: Der US-Bürgerrechtler Martin Luther King besuchte im September 1964 | |
Ost-Berlin und redete in zwei Kirchen. Wussten Sie das? | |
Moses: Ich sollte es wissen, habe es aber wohl vergessen. Ich kann mich nur | |
noch daran erinnern, dass er damals nach Europa gereist war. | |
taz: Es war eine Möglichkeit, gegen Rassismus zu kämpfen. Im Sport waren | |
Sie, Muhammad Ali und viele weitere die Protagonisten. Wie sieht es heute | |
in den USA mit Rassismus aus? | |
Moses: Im Alltag kann man Rassismus nur sehr schwer in den Griff bekommen. | |
Es gibt eine Menge davon in unserem Land. Manche Leute glauben, dass sie | |
die Macht und das Recht haben, andere Menschen wie Scheiße zu behandeln. | |
Das ist nie zu akzeptieren. | |
taz: Sie waren in der 1981 in Baden-Baden beschlossenen Athletenkommission | |
des Internationalen Olympischen Komitees. Wie war es für Sie? | |
Moses: Der IOC-Präsident Samaranch hat mich ausgewählt, weil ich offen über | |
Dopingbekämpfung und Professionalisierung sprach. Ich sollte einst als das | |
Gewissen des olympischen Sports und das Gewissen der Athleten fungieren. | |
Ich konnte sehr kritisch sein. Das hat zu Fortschritten geführt, wie den | |
Dopingkontrollen, die in den USA eingeführt wurden. Außerdem trafen 1981 | |
der Leichtathletikverband und das IOC eine Vereinbarung, die es | |
ermöglichte, den Sport zu professionalisieren. Athleten durften mit | |
Sponsoren Verträge schließen. Dies war vorher nicht erlaubt. 1984 in Los | |
Angeles konnten sie erstmals Geld verdienen. | |
taz: Sind Sie mit Ihrer Art angeeckt? | |
Moses: Ich war Wortführer, ich war kein Sportpolitiker. Zwei meiner | |
Kollegen aus dieser Zeit sind heute zwei der mächtigsten Männer im Sport. | |
Thomas Bach und Sebastian Coe leiten das IOC und den | |
Weltleichtathletikverband. Ich wollte nie so sein. Ich weiß, dass | |
Veränderungen von Leuten herbeigeführt wurden, die über den Tellerrand | |
hinaus schauen, die nicht mit allem einverstanden sind und die keine Angst | |
vor Konsequenzen haben, wenn sie ihre Meinung sagen. | |
taz: In den 1980er-Jahren wurden Sie im Népstadion in Budapest beim | |
Grand-Prix-Meeting vom Publikum immer gefeiert. War es ein Unterschied, ob | |
Sie im Ostblock oder in London und Paris gestartet sind? | |
Moses: Ja, es war etwas ganz Besonderes. Ich wusste, dass die Menschen | |
wegen der nicht vorhandenen Reisefreiheit mich sonst nie zu Gesicht | |
bekommen würden. Deshalb war ich, glaube ich, neunmal in Budapest, mehr als | |
bei jedem anderen Meeting. In Zürich war ich selten. Ich kam mit dem | |
Hauptorganisator nicht zurecht, und sie wollten mir nicht das zahlen, das | |
ich wert war. Aber ich bin gerne in Prag und Bratislava gestartet. Oder in | |
Warschau, als der Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa die kommunistische | |
Regierung zwang, liberaler zu werden. Ich bin sogar in Belfast gelaufen, | |
als es kaum jemand getan hat. Auch in Taiwan. | |
taz: Der deutsche Harald Schmid besiegte Sie 1977 beim Istaf in Berlin, | |
bevor Sie fast zehn Jahre ungeschlagen blieben. Später war er hinter Ihnen | |
mehrfach Medaillengewinner bei Olympia und Weltmeisterschaften. | |
Moses: Harald Schmid hat mich gepusht, ich wusste, dass er sehr schnell | |
laufen kann. Das gilt auch für meine Landsleute Danny Harris und Andre | |
Phillips, die mich am Ende meiner Karriere besiegt haben. | |
taz: Waren Sie befreundet? | |
Moses: Ich stand eigentlich niemandem, gegen den ich lief, persönlich nahe. | |
Ich wollte nicht mit Leuten befreundet sein, gegen die ich antrete. | |
Vielleicht sind sie im 100-Meter-Lauf ein bisschen kameradschaftlicher als | |
wir im 400-Meter-Hürdenlauf. | |
taz: Vor Jahren berieten Sie den [1][Norweger Karsten Warholm], | |
Olympiasieger von Tokio 2021. Seit Juli 2021 hält er den Weltrekord von | |
zunächst 46,70 Sekunden, den er im August 2021 auf 45,94 verbesserte. Wie | |
groß war Ihre Leistung daran? | |
Moses: Ich würde mir das nicht anrechnen lassen, aber ich weiß, dass es für | |
ihn und seinen Trainer hilfreich war. Als ich ihn das erste Mal traf, lag | |
er bei 48,3 oder 48,6 Sekunden. Ich habe ihn nie im Alltag gecoacht, eher | |
philosophisch. Wenn man über den Sinn des Laufens spricht, ist das für | |
jeden gut. Ich habe in den letzten fünf Jahren mit einigen der besten | |
Sportlerinnen gearbeitet, sie haben sich alle verbessert. Weil ich die | |
Dinge anders sehe als viele Trainer. Manchmal erkläre ich ihnen Dinge, von | |
denen sie vorher nie gehört hatten. Angeben will ich damit aber nicht. | |
taz: Sie selbst sind viele Jahre ohne Trainer gelaufen? | |
Moses: Ich hatte anfangs einen Trainer in der Highschool und dann zwei | |
Jahre lang einen im Morehouse College in Atlanta. Danach habe ich mehr als | |
zehn Jahre mein Training selbst gesteuert. Es hat ganz gut funktioniert. | |
taz: Was sagen Sie zum Thema Doping? Die Testprogramme sind präziser als | |
vor 30 Jahren. | |
Moses: Die Wissenschaft und die Technik sind sehr viel besser geworden, | |
aber [2][es bleibt ein Katz-und-Maus-Spiel]. Was sich am positivsten | |
auswirkt, ist die Art, wie Analysen heute durchgeführt werden. In den | |
Achtzigerjahren stand ein Mann mit Reagenzgläsern im Labor. Jetzt nimmt man | |
den Urin, gibt ihn in die Maschine, und alles ist computergesteuert. Da | |
kann man viele Substanzen nachweisen. Andererseits gibt es heute | |
wahrscheinlich doppelt so viele Medikamentenkategorien und Drogen wie | |
früher. Die Herausforderung besteht zudem darin, kleine Mengen zu finden, | |
weil Betrüger mikrodosieren. Es wird immer Athleten geben, die sich nicht | |
abschrecken lassen. Überall auf der Welt gibt es Menschen, die alles tun | |
würden, um Olympiasieger zu werden. | |
taz: Sie waren viele Jahre auch in der Usada, der nationalen | |
Antidopingagentur, engagiert. War es schwer, den einst 7-fachen | |
Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong wegen seines massiven Dopingbetruges | |
zu überführen? | |
Moses: Theoretisch nicht, die Daten lagen vor. Andere Leute behaupteten, | |
dass alles, was wir bei der Usada hatten, nicht ausreicht oder dass wir | |
ihren Forschungen nicht glauben oder dass sie der Prüfung in einem | |
Gerichtssaal nicht standhalten würden. Es war ein schwieriger, langwieriger | |
Fall. Wir bekamen viele Hassmails und Morddrohungen, aber es hat die Art | |
verändert, wie Leute die Dopingbekämpfung sehen. Niemand steht über dem | |
Gesetz. Die meisten Menschen haben keine Ahnung, was hinter den Kulissen | |
vor sich ging. Die Wahrheit hat letztlich gesiegt. Das war wichtig. | |
7 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Purschke | |
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