Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Leichtathletik-WM in Budapest: Der kleine Bolt
> Noah Lyles hat bei der Leichtathletik-WM in Budapest den 100-Meter-Sprint
> gewonnen. Nun tut der Amerikaner alles, um im Gespräch zu bleiben.
Bild: Noah Lyles jubelt nach seinem Sieg über 100 Meter
Was 9,83 Sekunden dauert, sollte doch eigentlich schnell erzählt sein. Wenn
es nach [1][Noah Lyles] geht, der am Sonntagabend bei den WM in Budapest in
dieser Zeit den 100-Meter-Lauf der Männer gewann, könnte die Erzählung
dieser knappen 10 Sekunden allerdings 11 Monate dauern. Dann nämlich finden
in Paris die Olympischen Sommerspiele statt, und so lange will der
Amerikaner im Gespräch bleiben.
„Das ist der Beginn einer Dynastie“, sagte der 26-Jährige nach seinem Sieg.
Zweiter wurde Letsile Tebogo aus Botswana, der mit 9,87 Sekunden exakt eine
tausendstel Sekunde schneller war als der Brite Zharnel Hughes. Tebogo,
gerade mal 20 Jahre alt, ist der erste Afrikaner in der Geschichte der
Männerleichtathletik, der über 100 Meter eine WM-Medaille gewann. „Es ist
wirklich erstaunlich für Afrika“, sagte er, „wir haben uns nach einer
Medaille gesehnt.“ Tebogo, Sieger bei den vergangenen U20-WMs, gilt als
eines der größten Talente im leichtathletischen Sprint, und vielleicht
gehört ihm ja die Zukunft.
Aber die Gegenwart gehört Noah Lyles. Der war keinesfalls als Favorit über
100 Meter nach Budapest gereist. Nur er selbst hat sich mit bemerkenswertem
Selbstbewusstsein als Favorit präsentiert. Auf Instagram hat er vor wenigen
Wochen mitgeteilt, er wolle 9,65 Sekunden laufen, und über 200 Meter
visiere er 19,10 Sekunden an. Letzteres wäre neuer Weltrekord, Ersteres
bliebe knapp hinter der 9,59-Sensationsbestmarke des zurückgetretenen
[2][Usain Bolt] aus Jamaika.
Lyles ist ein großer Verkäufer seiner selbst. „Ich glaube, dass die
Leichtathletik sich besser vermarkten muss“, sagte er vor der WM, und als
Beispiel, wie das geht, führte er sich selbst an: „Es ist einfach, mich zu
vermarkten, denn ich bin da draußen, ich bin aufgeregt, ich bin glücklich,
ich lasse mich auf die Zuschauer ein.“ In Interviews berichtete er auch
offen von psychischen Problemen, die er während und nach Covid hatte. Vor
Kurzem beschlossen Lyle und Netflix, einen Dokumentarfilm zu drehen, der an
seinem Beispiel zeigt, wie es im Training von Sprintern zugeht.
Egal, was er macht, Noah Lyles achtet er sehr darauf, dass er ganz groß
rauskommt. Nach seinem WM-Triumph bekräftigte er seinen Führungsanspruch
noch einmal. „Ich habe einfach geglaubt, dass ich der Schnellste bin, als
ich rausging“, sagte er. „Und das habe ich so lange geglaubt, bis ich die
Linie überquert hatte.“
## Spott der Kollegen
Tatsächlich hatte nur er an seinen Sieg geglaubt, vielleicht noch sein
Trainer, aber sehr viel mehr waren es nicht. Seine bisherige
100-Meter-Bilanz war eher dünn. Und die etablierten Sprinter hatten sich
über ihn zunächst einmal lustig gemacht. Der Titelverteidiger, Fred Kerley
aus den USA, spottete über Lyles’ 9,65-Prognose: „Das sagen sie alle, bis
sie geschlagen werden.“ Und der amtierende Olympiasieger Marcell Jacobs aus
Italien nannte die Ankündigung nur „lustig für die Leute“. Lyles solle do…
bitte erst reden, „wenn das letzte Rennen zu Ende ist, nicht das erste“.
Noah Lyles will bei der WM Budapest das Triple holen. Die Siege über 100
Meter, 200 Meter und mit der 4x100-Meter-Staffel hat seit der Ära des
legendären Usain Bolt niemand mehr geschafft, und dessen Fußstapfen sind es
ja, die Lyles ausfüllen möchte.
Den Spott der Konkurrenz hat Lyles erst einmal sehr gut gekontert. Kerley
und Jacobs erreichten in Budapest gar nicht das Finale, und überhaupt ist
der Männersprint seit Bolts Abgang in einer Krise. Bei den vergangenen drei
WMs gab es neun verschiedene Medaillengewinner. Von den drei besten
Sprintern der vergangenen WM im amerikanischen [3][Eugene] hat es bei
dieser WM keiner ins Finale geschafft. Die Sportart sucht noch nach jemand,
der den Jahrhundertsprinter Bolt aus Jamaika wenigstens halbwegs ersetzen
könnte.
Auf diese Stelle bewirbt sich Noah Lyles nun. „Wenn die Leute auf dieses
Jahr zurückblicken, werden sie sagen: ‚Das ist das Jahr, in dem Noah die
200, die 100 und die 4x100 gewonnen hat‘“, nahm er nach seinem Sieg in
Budapest den Mund voll.
## Lackmustest am Freitag
Über die 200-Meter-Strecke tritt Lyles am Freitag – anders als über die 100
Meter – als Favorit auf die Bahn. Hier war er schon zweimal Weltmeister.
Und zusammen mit seinem Trainer Lance Brauman arbeitete er zuletzt daran,
in der ersten Hälfte der halben Stadionrunde schneller zu werden. „Als ich
ihn bekam“, sagte Brauman, „sagte mir alle Welt, dass er ein 200- und
400-Meter-Typ ist. Aber er wollte ein 100-Meter-Läufer sein.“ Ein guter
Starter ist Lyles definitiv nicht, und das konnte auch Brauman ihm nicht
beibringen. Bei dem Finale in Budapest war er nach etwa 50 Metern erst auf
Platz vier, doch dann zeigte er sein Können.
Wenn Noah Lyles am Freitag auch über 200 Meter gewinnt – und danach
vielleicht noch mit seinen US-Kollegen die Sprintstaffel –, dann wird die
Erzählung seiner 9,83 Sekunden elf Monate dauern – bis Olympia. Wenn er
nicht gewinnt, dann wird seine Weltmeisterzeit schon nach 5 Tagen
auserzählt sein.
21 Aug 2023
## LINKS
[1] /!5937389/
[2] /Usain-Bolt-bei-der-Leichtathletik-WM/!5112790
[3] /Leichtathletik-WM-in-den-USA/!5865755
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Leichtathletik-WM
Laufen
Sport
Leichtathletik
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Leichtathletik-WM
Leichtathletik-WM
American Pie
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Olympiasieger Edwin Moses: „Weil ich die Dinge anders sehe als viele Trainer�…
Edwin Moses revolutionierte den 400-Meter-Hürdenlauf. Der Olympiasieger
über sein Leben, den Kampf gegen Doping und Rassismus.
Bilanz deutscher Leichtathletik: Keine einzige Medaille
So erfolglos war die deutsche Leichtathletik bei einer Weltmeisterschaft
noch nie. Der Verband sendet widersprüchliche Signale.
Erfolgreiche Deutsche Zehnkämpfer: Warum sie in die USA ziehen
Der WM-Mitfavorit im Zehnkampf, Leo Neugebauer, hat sich in einem College
eingeschrieben. Er ist nicht der einzige, der nicht in Deutschland bleibt.
Leichtathletik-WM in Budapest: Immer mehr, mehr, mehr!
Weltverbandspräsident Sebastian Coe fordert eine Verdichtung des
Wettkampf-Kalenders. Die Folgen sind bei den Weltmeisterschaften zu sehen.
Doping-Verdacht in der Leichtathletik: Ein Sprinter als Premium-Shopper
Christian Coleman ist Weltklasseläufer, aber häufig nicht da, wenn die
Dopingkontrolleure bei ihm klingeln. Das sorgt für Ärger in der Szene.
Olympianacht in Rio: Goldhamster, liebevoll beobachtet
Schland holt sein erstes Fußball-Gold und Usain Bolt sein neuntes
Sprintgold. Im Fünfkampf bocken die Pferde und Hockey ist ein
Weltraumsport.
Physiker haben nachgerechnet: Wie schnell ist Usain Bolt?
Der schnellste Mann der Welt heißt Usain Bolt. Doch den entscheidenden Lauf
bei der Olympiade hat er nicht voll durchgezogen. Wie schnell kann er
wirklich sein?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.