# taz.de -- Erfolgreiche Deutsche Zehnkämpfer: Warum sie in die USA ziehen | |
> Der WM-Mitfavorit im Zehnkampf, Leo Neugebauer, hat sich in einem College | |
> eingeschrieben. Er ist nicht der einzige, der nicht in Deutschland | |
> bleibt. | |
Bild: Leo Neugebauer beim Hochsprung bei einem Wettbewerb in Oregon (USA) 2022 | |
Es war im Juni, mitten in der Nacht in Deutschland, als die Sensation | |
perfekt war: Leo Neugebauer brach mit 8.836 Punkten den 39 Jahre alten | |
deutschen Rekord von Zehnkampflegende Jürgen Hingsen und stellte damit | |
sogar Welt- und Europameister Niklas Kaul in den Schatten. | |
Bisher war Neugebauer nur eingefleischten Leichtathletikfans ein Begriff, | |
denn der 23-Jährige lebt und studiert in den USA. Mit seiner neuen | |
Bestmarke gehört er nun aber plötzlich zu den großen Titelfavoriten bei den | |
derzeit stattfindenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Budapest – und | |
am Freitag muss Neugebauer ran, der Wettkampf der so vielseitigen Athleten | |
beginnt. | |
Bereits vor vier Jahren zog es Neugebauer in die USA. Dort studiert er dank | |
eines Sportstipendiums an der University of Texas, eine der | |
Leichtathletikhochburgen Amerikas. Im Rahmen der US-College-Meisterschaften | |
überbot Neugebauer den alten Hingsen-Rekord um 4 Punkte. Was auffällt: Der | |
23-Jährige ist nicht der einzige deutsche Zehnkämpfer, den es dorthin | |
verschlagen hat. | |
Neben Alexander Jung und Paul Kallenberg gibt es mit Till Steinforth sowie | |
Félix Wolter weitere Top-Zehnkämpfer, die weg aus Deutschland an | |
US-Universitäten gegangen sind. Mit Erfolg, denn sowohl Steinforth [1][als | |
auch Wolter übertrafen in dieser Saison erstmals die 8.000-Punkte-Marke]. | |
## Der Gang in die USA | |
Vor allem Wolter machte zuletzt auf sich aufmerksam, als er Mitte August | |
beim Thorpe Cup, einem Länderkampf zwischen Deutschland und den USA, seine | |
Bestleistung auf 8.299 Punkte hochschraubte. Für die Teilnahme an der WM | |
reicht es noch nicht, aber er sei auf dem besten Weg zur Olympia-Norm für | |
Paris, so Wolter im Gespräch mit der taz. | |
2020 entschied sich der heute 25-jährige Wolter für den Gang in die USA; an | |
der University of Pittsburgh machte er einen Master in Computer Science, ab | |
dem kommenden Semester ist er dort für seinen Doktor eingeschrieben. „Ich | |
brauchte eine neue Umgebung. Zu der Zeit war ich schon sieben Jahre im | |
Sport. Ich kam in ein Alter, wo man sich entscheiden musste, ob man jetzt | |
alles auf den Sport setzen oder ins Berufsleben eintreten will“, erzählt | |
Wolter. | |
Die bessere Vereinbarkeit von Sport und Studium, dazu ein Jahr ohne | |
Verletzungen führten zum Leistungssprung. Denn sein Alltag in Deutschland, | |
als er noch in München studierte, ließ keine Pausen zu. Damals fing der Tag | |
um 6 Uhr morgens an und endete erst gegen 22 Uhr, insbesondere die langen | |
Wege machten ihm zu schaffen. | |
## Besseres Zeitmanagement | |
„Am College wohne ich nur fünf Minuten von der Halle entfernt, sodass ich | |
im Vergleich drei Stunden am Tag mehr Zeit habe, um mich zu regenerieren | |
oder Hausaufgaben zu machen“, so Wolter. Das Training sei dort in den | |
Uni-Alltag eingegliedert, wodurch es leichter sei, das Akademische mit dem | |
Sportlichen zu verbinden. Um das Finanzielle hätte er sich aufgrund seines | |
Stipendiums keine Gedanken machen müssen; die Lebenskosten seien gedeckt. | |
Dass nun vermehrt deutsche Zehnkämpfer in die USA gehen, sei kein Zufall, | |
so Wolter. Zum einen würden immer mehr Athlet:innen auf die guten | |
Bedingungen, die das College-System bietet, aufmerksam. Zum anderen sei es | |
im Mehrkampf noch relativ einfach, als Ausländer ein Stipendium zu | |
ergattern. Auch dank der ausländischen Studierenden steige [2][das Niveau | |
der College-Meisterschaften] jedoch jedes Jahr weiter an. | |
Damals habe Wolter auch den Deutschen Leichtathletik-Verband um Rat | |
gebeten, dieser habe ihm aber von dem Schritt in die USA abgeraten. Die | |
Sorge, dass die Strapazen des College-Systems Athlet:innen auslaugen und | |
diese dann frühzeitig mit ihrem Sport aufhören, sei groß beim Verband, | |
berichtet Wolter. Tatsächlich betrachtet DLV-Cheftrainerin Annett Stein das | |
Ganze kritisch. | |
## Sport ist in der US-Gesellschaft verankerkt | |
„Die Leichtathletiksaison im [3][College] ist lang und kräftezehrend. | |
Außerdem ist sie nicht auf die Performance bei Welt- und | |
Europameisterschaften oder Olympia ausgelegt. Jeder Athlet oder Athletin | |
sollte selbst über seinen Weg entscheiden. Wir sehen zwar die Chancen, aber | |
auch die Risiken“, sagt Stein der taz. | |
Nach drei Jahren in den USA hat Wolter mittlerweile eine andere Sicht auf | |
die Dinge. „Wenn man zurückkehrt, erkennt man erst einmal, welche gute | |
Bedingungen man drüben hatte. Vielleicht hören deshalb einige | |
Athlet:innen nach ihrer College-Zeit auf“, sagt er leicht sarkastisch. | |
Natürlich würde sich Wolter das US-System auch in Deutschland wünschen, das | |
sei aber sehr unwahrscheinlich. „Das funktioniert in den USA nur so gut, | |
weil dort der Sport tief in der Gesellschaft verankert ist. Und davon | |
bewegen wir uns hierzulande ja eher weg.“ Wolter wünscht sich eine größere | |
Unterstützung durch den DLV. | |
Was Leo Neugebauer angeht, traut er ihm einiges bei der WM zu: „Leo ist | |
mein Favorit.“ | |
24 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.leichtathletik.de/news/news/detail/78038-8170-punkte-felix-wolt… | |
[2] https://www.ncaa.com/sports/trackfield-outdoor-men/d1 | |
[3] /Collegesport/!t5688729 | |
## AUTOREN | |
Katarina Schubert | |
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