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# taz.de -- Dopingspiele als Gegenmodell: Aufstand der Milliardäre
> Doping freigeben? Reiche Investoren wollen im Rahmen der Enhanced Games
> menschliche Bestleistungen und medizinische Fortschritte vorantreiben.
Bild: Der australische Schwimmer James Magnussen würde bei den Enhanced Games …
Michael Sagner ist mit Hund und Mobiltelefon in einem Londoner Park
unterwegs und hat nun Zeit, ein paar Dinge zurechtzurücken. Er sagt: „Es
gibt viele Missverständnisse. Das Thema ist sehr komplex.“ Der
Sportmediziner meint die „Enhanced Games“ („die verbesserten Spiele“), …
deren wissenschaftlicher und medizinischer Beratungskommission er zählt,
[1][und die sich auf ihrer Website] recht forsch als Gegenmodell zum
intransparent vom Doping verseuchten olympischen Sport und dem „korrupten
IOC“ präsentieren.
Die vorgeschlagene Lösung all des Übels: Abschaffung der Dopingtests und
das Ermöglichen von neuen Weltrekorden durch die offene, wissenschaftlich
begleitete Einnahme von leistungssteigernden Mitteln. Finanziert wird das
Ganze von großzügigen Investoren. Weltrekorde sollen mit 1 Million
US-Dollar prämiert werden. Alle menschlichen Leistungen müssten gefeiert
werden, nicht nur die natürlich zustande gekommenen, schreiben die
Organisatoren der Enhanced Games. Ein Hoch also auch auf die Fortschritte
der Pharmakologie.
Es sind kaum Sportmediziner bekannt, die so etwas befürworten würden. Und
im Kreis der freien Berater der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), dem Sagner
einst angehörte, dürften solche Positionen sowieso Seltenheitswert haben.
Der Deutsche Sagner, der eine Privatklinik leitet und am King’s College
London arbeitet und neben der Sportmedizin auf dem Gebiet der
Präventivmedizin forscht, hat einen Ruf zu verlieren.
So ist es ihm zuvorderst ein Anliegen, sich von dem konfrontativen Kurs der
Macher der Enhanced Games abzugrenzen. Es sei etwa unnötig, sagt er, vom
korrupten IOC zu sprechen. Er habe gerade erst um Mäßigung der
Formulierungen auf der Website gebeten. Vergeblich. Es sei argumentiert
worden, damit erreiche man mehr Aufmerksamkeit bei der Presse.
## Angst vor dem Sterben
Michael Sagner gibt ob des provokativen Tons zu bedenken, dass die
Investoren der Enhanced Games weniger am Sport an sich interessiert seien
als an der fast schon spirituellen Suche nach dem langen Leben. Ihr
eigentlicher Antrieb sei die Angst vor dem Sterben. Auf der Website ist es
etwas altruistischer formuliert: Hautaufgabe sei es, mit den Spielen eine
Plattform aufzubauen, die „auch wissenschaftliche Durchbrüche anregt und
den menschlichen Fortschritt fördert.“
Bekanntestes Gesicht unter den drei Investoren ist derzeit der
[2][deutsch-US-amerikanische Milliardär Peter Thiel], Mitbegründer von
Paypal und bei der vergangenen US-Präsidentschaftswahl Unterstützer von
Donald Trump. Wobei Sagner sagt, demnächst würde voraussichtlich eine noch
prominentere Persönlichkeit als Investor dazustoßen. Mehrere Millionen
Dollar soll Thiel bereits in die Anti-Aging-Forschung gesteckt haben. Viel
Geld hat er auch dafür bezahlt, damit er nach seinem Tod eingefroren und
bei entsprechendem medizinischen Fortschritt wieder ins Leben zurückgeholt
wird. Der indisch-amerikanische Unternehmer Balaji Srinivasan und der
Deutsche Christian Angermayer träumen ebenfalls vom längeren Leben und sind
mit viel Geld an Longevity-Start-ups beteiligt. Geschäftlich und
freundschaftlich sind die drei schon länger verbunden. Bekennende
Libertäre, für die die Freiheit des Individuums über allem steht.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Trump-Wahl 2017
Balaji Srinivasan Kandidat war, die Food and Drug Administration (FDA), die
US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel, zu leiten. Denn Angermayer, der in
London wohnt, brachte kürzlich für die Enhanced Games eine kleine
Einschränkung ins Spiel. Die Einnahme von Medikamenten, die von der FDA
nicht zugelassen seien, sollten für die Sportler verboten sein. Vielleicht
können die Investoren bald wieder ihren Einfluss geltend machen.
Auf der Website der Enhanced Games sind die Grenzen des Erlaubten nicht
näher definiert. Für die schrankenlose Freigabe hat sich der Australier
Aron D’Souza, immerhin Präsident der Enhanced Games und ebenfalls ein
Kompagnon von Thiel, ausgesprochen. Der Athlet solle frei über seinen
Körper bestimmen können. Sportmediziner Sagner lehnt das kategorisch ab.
Das sei mit ihm nicht zu machen, sagt er. „Wenn Gewichtheber sich etwa vor
dem Wettkampf Adrenalin spritzen, sind für wenige Minuten erhebliche
Leistungssteigerungen möglich, aber die Leute gehen ein extrem hohes
gesundheitliches Risiko ein.“
## „Moralisch verwerflich“
Das Konzept der Enhanced Games scheint noch etwas unausgegoren zu sein.
Sagner betont, er könne als unabhängiger Berater nicht für die Organisation
sprechen. Als im Juni vergangenen Jahres die Enhanced Games erstmals
vorgestellt wurden, kündigte man für Ende 2024 die ersten dopingtestfreien
Spiele an, die Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Kampfsportarten und
Gewichtheben umfassen sollen. Mittlerweile ist man von einer konkreten
Terminnennung abgerückt.
Die PR-Arbeit läuft dagegen auf Hochtouren. In den vergangenen Wochen sahen
sich die angegriffenen Hüter des olympischen Sports genötigt, Stellung zu
beziehen. Als „Blödsinn“ hat Sebastian Coe, der Präsident des
Leichathletik-Weltverbandes, die angekündigten Spiele jüngst bezeichnet.
Das Internationale Olympische Komitee erklärte: „Die Idee der Enhanced
Games verdient keinen Kommentar.“ Und fügte an: „Wenn man jegliches Konzept
von Fair Play und fairem Wettbewerb im Sport zerstören will, wäre dies ein
guter Weg, dies zu tun.“ Die Nationale Anti-Doping-Agentur in Deutschland
urteilte: „ethisch und moralisch absolut verwerflich“.
Michael Sagner erklärt dagegen: „Ich will die Ethik in den Sport
zurückbringen und den Athleten realistisch helfen.“ Es werde sehr viel
gelogen. Er verweist auf das dysfunktionale Sportsystem. Für seinen Befund
gibt es durchaus Argumente. Nur 53 Prozent der deutschen Kaderathleten
verneinten 2011 [3][bei einer anonymen Umfrage der Stiftung Deutsche
Sporthilfe] die Frage, ob sie regelmäßig dopen würden. Der Rest antwortete,
ja, oder gar nicht. Aus seinen Gesprächen mit der Wada und anderen
Anti-Doping-Organisationen, die er immer noch führe, erzählt Sagner, wisse
er, dass die Täter immer zehn Schritte voraus seien. Substanzen ließen sich
maskieren.
„Das Problem momentan ist, dass die Athleten nicht sagen, welche Mittel sie
nutzen. Wenn es nicht im Verborgenen geschieht, können die Ärzte
überprüfen, wie leistungsfördernd oder gesundheitsschädlich die Substanzen
sind und die Athleten entsprechend schützen.“ Sagner würde das
Überwachungssystem der Athleten noch engmaschigeer und strikter regeln als
es die Wada bislang vorschreibt. Er ist für regelmäßige Tests, Screenings
und Blutuntersuchungen.
## Verschiebung des Erlaubten
Und Dopingmittel wie Steroide oder Testosteron würde er nicht verbieten. In
niedrigen Dosen sei Testosteron eine relativ sichere Methode zur
Verbesserung der Leistung. „Ich bin nicht dafür, aber die Frage ist, wo
ziehen wir die Linie, ohne Moralapostel zu sein.“
Was Sagner vorschwebt, ist eine Verschiebung des Erlaubten und kleinere
Verbotszonen. Aber warum sollten Athleten nicht weiterhin am Rande der
Verbotszone agieren, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Und warum sollte
man dem bislang Verbotenen den Anstrich des Normalen geben? Exklusiv für
einen kleinen Kreis von Elitesportlern?
Das hat doch sehr experimentelle Züge. Verständlich, dass [4][Athleten
Deutschland] in einer Stellungnahme erklärt, die Sportler wollten nicht zu
„medizinischen Versuchskaninchen“ werden. Das könne man so sehen, erklärt
Sagner, aber niemand werde gezwungen.
Der australische Schwimmer James Magnussen, der bei den Olympischen Spielen
2012 Silber über 100 Meter Freistil gewann, hat dieser Tage sein Interesse
an den Enhanced Games bekundet. Seine Beweggründe? „Vor allem ist es das
Geld …Und es ist Entertainment. Ronaldo spielt doch auch in Saudi-Arabien.“
## Schriller Aufruf
Neben der Ineffektivität des bestehenden Anti-Doping-Systems greifen die
Enhanced Games eine weitere Schwachstelle des olympischen Sports an. Das
IOC streicht üppig Gewinne ein und lässt seine Protagonisten teils am
Hungertuch nagen. Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten
Deutschland, sagt: „Wir fordern schon lange, dass wir an den IOC-Einnahmen
beteiligt werden.“ Das Modell der Enhanced Games hat aus seiner Sicht
wiederum ein anderes Problem. „Es ist wie bei der Formel 1, es ist keine
Chancengleichheit gegeben. Wer erhält die teure medizinische Förderung und
wer nicht?“
Manches bei den Enhanced Games scheint noch nicht so durchdacht zu sein,
und manches wirkt schrill. Die dem Libertarismus so verpflichteten Macher
haben einen inklusiven Sprachführer auf ihre Website gestellt, der vom
Gebrauch des Wortes „Doping“ abrät: „Wie bei anderen Verunglimpfungen gi…
es keine akzeptable Alternative.“ Und statt von Betrug solle man lieber von
Wissenschaftsdemonstration sprechen. Ein Dank für die Inspiration des
inklusiven Sprachführers geht dann an die LGBTQIA-Bewegung.
Für ausgewählte Studenten dieser Welt [5][gibt es einen besonderen Aufruf:]
„Wenn Sie in Paris, Kalifornien oder Queensland studieren, protestieren
Sie, um Ihre Universität daran zu hindern, der rassistischen olympischen
Bewegung die Nutzung der Sporteinrichtungen Ihres Campus während der
Olympischen Spiele 2024 in Paris, 2028 in Los Angeles oder 2032 in Brisbane
zu erlauben.“ Und an alle gerichtet ist die Botschaft: „Wir ermutigen
Whistleblower aktiv dazu, alle Formen von Inhalten, die Fehlverhalten des
IOC aufdecken, auf sichere Weise zu übermitteln. Anträge auf Anonymität
werden respektiert.“
Der Aufstand der Milliardäre gegen den olympischen Sport wirft Fragen über
Fragen auf. Doch Aron d’Souza, der Präsident der Enhanced Games antwortet,
auf eine Bitte der taz um ein Gespräch: „Wir befinden uns in einer Reihe
von Gesprächen mit wichtigen Verhandlungspartnern, sodass wir diese
Möglichkeit zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen müssen.“
10 Mar 2024
## LINKS
[1] https://enhanced.org/
[2] /Rechtsstreit-mit-Klatschportal-Gawker/!5307824
[3] /Studie-Dysfunktionen-im-Sport/!5072516
[4] https://athleten-deutschland.org/
[5] https://enhanced.org/on-campus/
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
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