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# taz.de -- Leichtathlet Nils Schumann: Kein Laufbursche
> Nils Schumann wurde vor 16 Jahren Olympiasieger über 800 Meter. Danach
> lief vieles schief. Jetzt fordert er die Freigabe von Doping. Echt?
Bild: Nils Schumann jubelt am 27. September 2000 im Olympiastadion von Sydney.
Erfurt taz | Die erste Runde auf Zeit laufen. Die zweite Runde powern. Mehr
ist da nicht. Das sind die 800 Meter, wie Nils Schumann sie versteht. Mit
dieser simplen Philosophie hat es der Läufer aus Bad Frankenhausen in
Thüringen weit gebracht. Er ist Olympiasieger geworden. 2000 in Sydney.
Mehr geht nicht für einen Leichtathleten aus Deutschland. Die Szene wird ja
beherrscht von Läufern aus Ostafrika.
Nils Schumann, der damals für einen Verein namens SV Creaton Großengottern
an den Start ging, hatte mit 22 Jahren alles erreicht. Er war ganz oben auf
dem Olymp angekommen. Es war wie ein millionenschwerer Lottogewinn, der das
Tor in ein verborgenes Reich aufstößt – der das Leben aber auch komplexer
und komplizierter macht. Und anstrengender, weil die Öffentlichkeit nun
etwas abhaben will von diesem seltenen Exemplar, dem deutschen
Olympiasieger mit dem sympathischen Auftreten und der frechen
Renngestaltung.
Er hat die Schwierigkeiten damals schon erahnt, im Oktober des Jahres 2000,
als er das erzwungene Wunder von Sydney bei einer Tasse Grüntee in Erfurt
aufarbeitete: „Es war mein Lebenstraum, Olympiasieger zu werden, und dann
ist es plötzlich passiert, dann war ich es halt“, sagte er. Irgendwie sei
das auch ernüchternd, ja enttäuschend gewesen. Und trotz des spektakulären
Erfolgs auch einsam. „Man freut sich wie ein kleiner Junge vier Wochen auf
Weihnachten. Und am 25. Dezember ist wieder alles vorbei.“
Der Olympiasieg war das Größte, klar, aber er war auch ein Joch. Denn was
sollte jetzt noch kommen? Den deutschen Rekord über 800 Meter von Willi
Wülbeck brechen, diese 1:43,65 Minute? Weltmeister werden? Die Golden
League gewinnen? Wäre er doch bloß Zweiter geworden oder Dritter, der
innere Antrieb wäre auf Hochtouren weitergelaufen. Das waren Schumanns
Gedanken nach dem großen Coup in Australien.
## Vom Jäger zum Gejagten
Nils Schumann fiel in ein Motivationsloch. „Ich litt an der Unfähigkeit,
mir große, neue Ziele zu schaffen. Ich wurde von der Last, Olympiasieger
geworden zu sein, ein bisschen erdrückt. Bis zum Olympiasieg hat vieles
sehr gut geklappt, danach leider nicht mehr so“, sagt er heute. Nils
Schumann sitzt in einem Café in Erfurt, er trinkt schwarzen Tee, draußen
ist es nasskalt und grau. Die Leute, die an der Glasfront vorbeilaufen,
stoßen Atemwolken aus und tragen dicke Schals.
Schumann sieht ganz anders aus als damals in Sydney. Er hat sich den
Schädel rasiert und trägt einen schwarzen Vollbart. „Vor Olympia war ich
derjenige, der angreifen konnte, der das Unerreichbare schaffen will“, sagt
er. „Das lag mir.“ Er wurde vom Jäger zum Gejagten. „Ich war jemand, der
schnell aufsteigt. Es ging in jungen Jahren immer relativ rasch nach oben.
Ich musste erst lernen, mit Krisen umzugehen. Und diesen Kelch habe ich bis
zur Neige ausgekostet.“
Da erzählt einer, der sich nichts mehr vormacht, der eine schwierige Zeit
aufgearbeitet hat. Schumann arbeitet heute in Erfurt als Personal Trainer.
Er hat eine kleine Firma, zwei Söhne. Sein Leben ist geordnet.
## Schumann verweigerte sich
Nils Schumann ist nach Sydney nur noch ein großes Rennen gelaufen. Er wurde
im Jahr 2002 Dritter bei den Europameisterschaften. In den Jahren danach
gab es viele Querelen, viele Verletzungen. Schumann überwarf sich mit
seinem Heimtrainer Dieter Hermann, verließ den SV Creaton Großengottern und
startete für die LG Nike Berlin. Er wollte die Provinz hinter sich lassen
und in der großen Welt ankommen. Er verließ auch „Rübe Marketing“ aus
Erfurt und ging zu Klaus Kärcher, der die Eisschnellläuferin Anni
Friesinger in seinem Portfolio hatte. Auch das ging nur zwei Jahre gut.
Schumann wollte nicht den Showman spielen, für alle und jeden da sein. Er
brauchte nicht die wöchentliche Story über sich in der Zeitung. Schumann
verweigerte sich – nicht immer, aber immer öfter. Er setzte der
Selbstvermarktung schon bei unserem ersten Gespräch klare Grenzen: „Ich
will nicht zum Star und Medienexperten werden. Ich will mich nicht
präsentieren. Und ich schwängere auch nicht Jenny Elvers, um noch mal eine
Schlagzeile zu bekommen.“
Er verdiente nicht schlecht, aber den Flow, den er auf der Tartanbahn
gespürt hatte, der war weg. Die Achillessehne machte auch nicht mehr mit.
Er, der sich immer wie wahnsinnig geschunden hat, verlor das Vertrauen in
den Körper. „Ich stand am Rand der Invalidität. Es ging um mein Leben. Der
Athlet, den es vorher gab, der war nicht mehr da. Das hat mich schon ein
bisschen zerstört“, sagt er. Dazu kamen negative Schlagzeilen.
Seine damalige Freundin, die Hochspringerin Amewu Mensah, wurde zwei Jahre
wegen Dopings gesperrt, obgleich sie wohl nur ein verunreinigtes
Nahrungsergänzungsmittel eingenommen hatte. Für die Kampagne „Keine Macht
den Drogen“ hatte das Paar vorher geworben. Blöd gelaufen.
## Wehmut und Frust
Dann wechselte Nils Schumann nach Magdeburg zum berüchtigten Trainer Thomas
Springstein. In der Öffentlichkeit, die manchmal keinen Wert auf
Differenzierungen legt, gilt der als „Dopingtrainer“, weil da diese Sache
war mit den Sprinterinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer.
Dieser Ruf verfestigte sich, als bei Springstein nach einer Razzia der
Staatsanwaltschaft verbotene Substanzen im Kühlschrank gefunden wurden. Auf
ein paar Fläschchen prangte ein N. Der Schluss lag nahe, dass sie für Nils
Schumann gedacht waren. Der Deutsche Leichtathletik-Verband ermittelte
gegen den Thüringer. Das sei eine „öffentliche Hinrichtung“ gewesen, find…
Schumann, der dieses Vorgehen bis heute nicht verstehen kann.
Zweifel blieben. Er ließ, wie der Spiegel schreibt, sein Blut mit UV-Licht
bestrahlen und besuchte auch einen Arzt in Spanien, laut Schumann ein
„Ernährungsberater“. Aber warum fährt er dafür extra nach Spanien, wenn …
doch mithilfe seines holländischen Managers Jos Hermens schon früh seine
Ernährung umgestellt und auf Milchprodukte verzichtet hatte? Es gehe für
einen Leistungssportler darum, alles auszureizen, antwortet Schumann, sich
in Graubereiche zu begeben. Aber Doping? „Nein.“
Wenn Nils Schumann zurückblickt auf seine irgendwie unvollendete
Profisportkarriere, die 2009 zu Ende ging, dann schwingt Wehmut mit,
bisweilen auch ein bisschen Frust. Vielleicht wäre es besser gewesen, er
hätte es wie die Biathletin Magdalena Neuner gemacht, überlegt er, und auf
dem Höhepunkt der Karriere aufgehört.
## Ernst gemeint oder Provokation?
„So reif war ich aber leider nicht“, sagt Schumann. „Ich hätte vielleicht
auch eine Auszeit nach dem großen Triumph gebraucht. Dann hätte man die
Wellen, die am Anfang hoch schlagen, über sich drüber laufen lassen
können.“ Vielleicht hätte er es auch als Fußballprofi probieren sollen,
denn bis 17 hat er ja ziemlich gut gekickt. Dieses Spiel mit dem Konjunktiv
betreibt Schumann auch in seinem ersten Buch „Lebenstempo“, das gerade im
Herder-Verlag erschienen ist.
Es ist eine Fitnessfibel. Er philosophiert über Achtsamkeit und
Barfußlaufen. Er schreibt auch etwas zum Thema Doping. Das ist kein
Larifari, sondern hat es in sich. Der Olympiasieger über 800 Meter legt
kein Dopinggeständnis ab, aber er regt die Freigabe von Doping an. Das ist
in etwa so, als würde ein angesehener deutscher Politiker sich als Fan des
nordkoreanischen Despoten Kim Jong Un outen und in ihm den Retter der
Weltgemeinschaft sehen.
Gänzlich krude wird es, wenn Schumann das Gedankenexperiment anstellt,
Pharmakonzerne könnten noch nicht zugelassene Medikamente und Gentherapien
an Leistungssportlern erproben. Auf diese Weise würden „Leistungssportler
zu Helden, die für unser aller Wohl Leben und Gesundheit riskieren“, steht
in seinem Buch, das er mit zwei Freunden geschrieben hat.
Ist das ernst gemeint oder eine gezielte Provokation, um Aufmerksamkeit zu
bekommen? „Das ist ein Gedanke, den man mal nach außen werfen muss“, findet
der 37-Jährige. Als ehemaliger Spitzenathlet sei man dazu verpflichtet,
über sich und seine Erfahrungen zu reflektieren. Deutschland sei außerdem
„ein Land der Dichter und Denker“, warum nicht über die Dopingfreigabe
debattieren, zumal das Antidopingsystem krachend gescheitert sei. Aber
nicht nur das: „Auch die Idee vom heroischen, mit einem Lorbeerkranz
bestückten Athleten ist gescheitert.“
## Wie schaffen die das?
Aus dem „Naivling“, als der er die Sportwelt betreten hat, ist nach Jahren
der Quälerei und der enttäuschten Hoffnungen offensichtlich auch ein
kleiner Zyniker geworden. Ist das nicht auch verständlich, wenn er wie ein
Besessener trainiert und nur fünf Wochen im Sommer topfit ist, während
andere Athleten auf wundersame Weise über Monate ihre Höchstform halten?
Wie schaffen die das? Warum darf er, der so viel Verletzungspech hatte,
nicht einmal Mittel einnehmen, die die Regeneration beschleunigen? Warum
wurde er vor seinem Olympiasieg x-mal getestet und andere Athleten
womöglich gar nicht?
Schumann fragt sich, was er wohl falsch gemacht hat, wie oft er der Dumme
war. Aus dem Bedauern über einen grassierenden Zustand der Ungerechtigkeit
und der verzerrten Maßstäbe hat er zu einer radikalen Position gefunden,
die nicht so recht passen mag zu diesem umgänglichen Typen.
Noch vor zwei Jahren hat er anders gedacht. Eine Dopingfreigabe sei nicht
sinnvoll, weil das Risiko des Medikamentenmissbrauchs zu hoch sei, hatte er
in einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger gesagt. Warum hat er
seine Skrupel überwunden? „Ich habe ein Buch geschrieben und viel
nachgedacht.“ Dass er sich mit dieser intellektuellen Trotzreaktion zum
Außenseiter macht, in der Sportszene vielleicht sogar zum Paria, scheint
ihn nicht sonderlich zu stören. Nils Schumann hat mal wieder überzogen.
Früher hat der Olympiasieger das im Training mit brutaler Regelmäßigkeit
getan.
21 Feb 2016
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Leichtathletik
Doping
Doping im Spitzensport
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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