| # taz.de -- Verfehlte Werbekampagne des Senats: Arm, aber peinlich | |
| > Berlin startet eine neue bundesweite Imagekampagne. Die ist misslungen, | |
| > spiegelt aber auch wider, was aus der Stadt inzwischen geworden ist. | |
| Bild: Diese Kampagne ist noch nicht mal auf die interessante Art schlecht | |
| Liebste Berliners und alle, die es werden wollen, ich habe eine traurige | |
| Mitteilung zu machen: [1][Berlin ist tot.] Mutmaßlich umgebracht vom | |
| eigenen Senat. Das war vorauszusehen, werdet ihr sagen. Diese | |
| Stadtentwicklung konnte nur tödlich enden. Wenn man nix gegen die Armut | |
| tut, dann wird aus „arm, aber sexy“, eben schnell „arm und krank“ und | |
| darauf folgt nun mal tot. Wir nehmen’s gelassen. | |
| Diese Haltung ist sehr berlinerisch von euch und ich will an dieser Stelle | |
| auch keine große Fassbrause aufmachen, aber nun wurde vom Regierenden die | |
| Grabrede angekündigt. Am 12. September soll sie kommen. | |
| In Form von 16 Motiven auf 1.500 Flächen in Berlin und in Medien: Der | |
| [2][Senat hat eine neue Imagekampagne] gestartet und sich dafür mit einer | |
| Agentur zusammengetan, die wohl auf Dad-Jokes spezialisiert ist. Die | |
| Slogans klingen genauso, wie sich Touris die Berliner Schnauze vorstellen, | |
| nur in Konservativ und Spröde. Es ist wie eine Busfahrt mit deiner Tante | |
| aus Niederrodenbach und sie sagt, „Ach, da ist ja der Fernsehturm, wie | |
| nennt ihr den noch gleich? Spargel? Rotstift? Ihr Berliner habt doch für | |
| alles so witzige Spitznamen“ … nur trockener als das und irgendwie mit | |
| einem leicht traurigen Unterton. | |
| Beispiel? „Wir können unfreundlich, aber auf die nette Art.“ Die | |
| Verantwortlichen nennen das selbstironisch. Ich nenne es: Die Stimmung in | |
| der Stadt nicht gelesen. Die Menschen hier, die sich nicht überlegen, | |
| welches Start-up sie mit Papas Geld als nächstes gründen sollen, brauchen | |
| gerade mehr Herz als Schnauze. Besonders von Politik und Verwaltung. | |
| ## Nicht witzig | |
| Es gibt noch mehr. Wie gesagt: Es sind sechzehn Motive. „Was wir von Mauern | |
| halten, wisst ihr ja.“ Moment. Ist das nicht derselbe Senat, der den | |
| [3][Görlitzer Park] einzäunen und abschließen möchte? Gegen den Willen der | |
| Anwohner*innen und des Bezirks? Das ist nicht „selbstironisch“, das ist | |
| gehässig. | |
| Wenn man sich den Rest durchliest – und da wird man wohl nicht dran | |
| vorbeikommen –, befällt einen eine gewisse Melancholie und das traurige | |
| Gefühl, verlassen worden zu sein. Berlin ist nicht mehr chaotisch, aber | |
| cool. Nicht mehr hart, aber frei. Denn die Stimmung schlägt um, wenn aus | |
| Prekarität Elend wird. Wenn Menschen, die hier ihr Leben, ihre Lieben und | |
| ihre Arbeit haben, die diese Stadt gestalten und prägen, es sich nicht mehr | |
| leisten können, auch hier zu wohnen. | |
| Schlechte Infrastruktur ist nicht witzig. Sie trifft besonders Behinderte | |
| und chronisch kranke Menschen. Familien mit Kindern und Leute mit wenig | |
| Geld. | |
| Lange Zeit konnte ich in Berlin kreativer und freier sein als irgendwo | |
| sonst. Der finanzielle Druck, die soziale Unsicherheit, wachsender | |
| Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit, Ableismus, das krasse | |
| Erstarken reaktionärer Gruppen: Sie drohen gerade all das zunichtezumachen, | |
| wofür die Stadt steht. „Wenn wir nix auf die Reihe kriegen, warum stehen | |
| dann alle Schlange?“, das war vor zehn Jahren. Doch war seitdem einer der | |
| an der Kampagne Beteiligten mal in Berlin? Wenn ja, dann sicherlich nicht | |
| östlich vom Wannsee. | |
| Diese Kampagne ist noch nicht mal auf die interessante Art schlecht. In der | |
| Pressemitteilung heißt es, sie wäre mutig. Aber da ist kein Mut, nur | |
| Abstand zum Zeitgeist. Alles ist so uninspiriert, wie diese Stadt zu werden | |
| droht. Berlin hat wenn, dann eine Imagekampagne verdient, die so peinlich | |
| ist wie die Posse um den BER. Nur eben nicht ganz so teuer. | |
| 6 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Abschied-von-Berlin/!5771142 | |
| [2] https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2024/pressemitte… | |
| [3] /Aktionswoche-Goerlitzer-Park/!6031265 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Dede Ayivi | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Diskurspogo | |
| Berlin | |
| Berliner Senat | |
| Marketing | |
| Imagekampagne | |
| Queer | |
| Kolumne Diskurspogo | |
| Kolumne Diskurspogo | |
| Kolumne Diskurspogo | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gewalt gegen queere Personen bleibt hoch: Queerfeindliche Gewalt steigt | |
| Der 3. Queer Monitor bringt neue Rekordzahlen. Muslime seien nicht öfter | |
| Täter als andere. Das Problem sind Männer. | |
| Eine späte Diagnose: ADHS und die Perspektiven of Color | |
| Wenn Matze im Unterricht nicht mitkommt, muss man das mal checken lassen. | |
| Wenn Malik das gleiche Verhalten zeigt, wird die Sache nicht ernst | |
| genommen. | |
| Weniger Geld für freies Theater: Stroh, das wir uns leisten müssen | |
| Die freien darstellenden Künste sind von massiven Kürzungen bedroht. Dabei | |
| machen sie Kunst für Menschen, für die sonst kaum welche gemacht wird. | |
| Diskriminierung im Alltag: Erklären statt googeln | |
| Personen aus marginalisierten Gruppen werden manchmal übergriffige Fragen | |
| gestellt. Am besten ist, sie direkt zu konfrontieren, findet unsere | |
| Autorin. |