# taz.de -- Afghanistan wieder Abschiebeziel: Abflug zu den Taliban | |
> 28 Personen wurden am Freitag überraschend nach Afghanistan ausgewiesen. | |
> Die Frage, was sie verbrochen haben, lässt die Bundesregierung | |
> unbeantwortet. | |
Bild: Die Maschine ist in Kabul gelandet – wie die Taliban abgeschobene Straf… | |
Nancy Faeser hatte nicht übertrieben. Bei der Wiederaufnahme von | |
Abschiebungen nach Afghanistan „sind wir schon relativ weit“, verkündete | |
die Bundesinnenministerin (SPD) am Donnerstagabend in der Tagesschau. Am | |
frühen Freitag dann hob ein Charterflugzeug der Qatar Airways vom Leipziger | |
Flughafen in Richtung Kabul ab, wo mittlerweile die Taliban herrschen. | |
An Bord waren laut Bundesregierung 28 afghanische Staatsbürger, „sämtlich | |
verurteilte Straftäter, gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“. Sie | |
waren laut Spiegel teils aus der Strafhaft geholt worden, als Faeser noch | |
im Fernsehstudio saß. | |
Beteiligt waren elf Bundesländer: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, | |
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, | |
Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Unter den | |
Ausgewiesenen könnten auch sogenannte Gefährder sein. Allerdings nur, wenn | |
sie bereits rechtskräftig verurteilt wurden. Der Täter von Solingen dürfte | |
ebenfalls nicht darunter sein. | |
Abschiebungen nach Afghanistan hatte die damalige Große Koalition 2021 | |
ausgesetzt, nur wenige Tage, bevor das bereits [1][umzingelte Kabul an die | |
Taliban fiel]. Gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Belgien, Griechenland, | |
Dänemark, den Niederlanden und Österreich hatte der damalige | |
[2][Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) noch kurz vorher versucht, | |
über die EU die schon wankende afghanische Regierung unter Druck zu | |
setzen], trotz der prekären Sicherheitslage abgelehnte Asylbewerber | |
anzunehmen. | |
## Was heißt hier „Straftäter“? | |
Auch damals wurde der Eindruck erweckt, dass Deutschland ausschließlich | |
„Gefährder“ und „schwere Straftäter“ abschiebe. Eine exakte | |
Gesamtübersicht, für welche Straftaten die Abgeschobenen verurteilt worden | |
waren, gaben Bund und Länder nicht. Oft hieß es lediglich, „unter den | |
Rückgeführten“ – wie die Sprachregelung auch heute wieder lautet – seien | |
„Sexualstraftäter“ und „Mörder“ gewesen. Genauere Informationen | |
verweigerten die Behörden unter Berufung auf den Datenschutz. | |
Flüchtlingsunterstützer*innen wussten aber, dass auch Menschen nach | |
mehrfachen, aber relativ geringen Verstößen gegen Betäubungsmittelgesetze | |
oder mehrmaligem Schwarzfahren abgeschoben wurden. | |
Dass Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag generell von | |
„Straftätern“, nicht von „schweren Straftätern“ sprach, die nach den | |
tödlichen Messerangriffen von Mannheim und Solingen in der Diskussion | |
standen, lässt wieder die Frage aufkommen, ob manche deutsche Behörden den | |
Straftäterbegriff weit auslegen, um die Abschiebezahlen nach oben zu | |
treiben. Auch jetzt wurde aus Bayern ein Mann abgeschoben, der wegen „einer | |
Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe“ | |
verurteilt worden war. | |
Ohnehin ist nicht klar, wie viele afghanische schwere Straftäter es | |
überhaupt gibt. Eine [3][Umfrage des Evangelischen Pressedienstes] unter | |
den zuständigen Ministerien ergab, dass es eine Statistik darüber gar nicht | |
gibt. | |
## Katar pflegt Beziehungen zu den Taliban | |
Hebestreit bestätigte auch die Spiegel-Angabe nicht, dass Katar in | |
Deutschlands Namen mit dem Taliban-Regime die Annahme der Abgeschobenen | |
ausgehandelt habe. Er sagte nur, die Bundesregierung habe „regionale | |
Schlüsselpartner um Unterstützung gebeten“. Die geheimen Verhandlungen | |
sollen zwei Monate lang gelaufen sein, und zwar über das Bundeskanzleramt. | |
Das Bundesinnenministerium sei für die Absprache mit den Bundesländern | |
zuständig, das Auswärtige Amt (AA) sei immer eingebunden gewesen, hieß es | |
am Freitag. Faeser hatte zuvor betont, dass „wir mit den Taliban nicht | |
reden“, jedenfalls nicht direkt. | |
Die Taliban signalisierten nach der Mannheim-Attacke im Mai Bereitschaft, | |
direkt mit der Bundesregierung über Abschiebungen zu verhandeln. Eine | |
Drittstaatenlösung – ohne ihre Zustimmung – lehnten sie ab. Katar hat sie | |
nun wohl überzeugt. Faktisch handelt es sich jetzt um eine indirekte | |
Dreierabmachung. | |
Katar verfügt über gute Beziehungen zu den Taliban. Schon seit den Zeiten | |
deren Kampfes gegen eine US-geführte Koalition in Afghanistan beherbergte | |
es ein Taliban-Verbindungsbüro. Darüber liefen auch die US-Verhandlungen | |
mit den Taliban, die 2021 zum Abzug aller ausländischen Truppen und | |
Zusammenbruch der westlich gestützten Islamischen Republik Afghanistan | |
führten. | |
Am Afghanistan-Einsatz war auch Deutschland beteiligt, das über die zwanzig | |
Jahre gerechnet zweitgrößter Truppensteller und biliateraler Geber von | |
Hilfe war. Er wird gerade im Bundestag parallel von einem | |
Untersuchungsausschuss und einer Enquete-Kommission aufgearbeitet. Letztere | |
kam in einem Zwischenbericht im Februar zu dem vernichtenden Urteil, dass | |
Deutschland dabei mit seinen Partnern „strategisch gescheitert“ sei. | |
## Eine ironische Wendung | |
Ironisch ist, dass die Kontakte, die das AA mit Katar aufbaute, um zu | |
erreichen, dass die USA die afghanische Zivilgesellschaft in eine | |
Verhandlungslösung mit den Taliban einbeziehen – was letztendlich | |
scheiterte –, nun dazu dienen, Abschiebungen zu den Taliban einzutüten. | |
Wie die Taliban abgeschobene Straftäter behandeln, ist unklar. Die | |
Bundesregierung äußerte sich bisher auch nicht auf die taz-Anfrage, ob die | |
Taliban die Abgeschobenen in Gewahrsam nehmen und ob sie Überprüfungen über | |
ihren Verbleib zugesagt haben. Die Taliban gewähren bestimmten | |
Organisationen, die sich dazu aber nicht äußern, Zugang zu ihren | |
Gefängnissen. Mit Ausnahme denen ihres Geheimdienstes. | |
Jeder Abgeschobene habe 1.000 Euro Handgeld erhalten. Damit hofft die | |
Bundesregierung Klagen von Betroffenen zu entgehen, wenn sie in ihrem | |
Herkunftsland zumindest in der Anfangszeit ihre Grundbedürfnisse nicht | |
decken können. | |
Hebestreit deutete an, dass Abschiebungen weitergehen könnten. Deutschland | |
verhandelt gerade ein Migrationsabkommen mit Usbekistan, wo Bundeskanzler | |
Olaf Scholz im September bei einer Reise nach Zentralasien einen Stop | |
plant. Schweden hatte über dieses Nachbarland Afghanistans 2023 fünf | |
Afghanen abgeschoben. | |
30 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Tragische-Szenen-am-Flughafen-Kabul/!5793857 | |
[2] /Abschiebung-von-Straftaetern/!6017064 | |
[3] https://www.sonntagsblatt.de/artikel/epd/umfrage-kaum-ein-land-kennt-zahl-s… | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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