# taz.de -- Kahlschlag bei der Afghanistan-Politik: Der Afghanistan-Ausverkauf | |
> Zum dritten Jahrestag der Taliban-Machtübernahme wickelt die Ampel | |
> wichtige Institutionen ihrer Afghanistan-Politik ab – und kapituliert vor | |
> der Rechten. | |
Bild: Deutschland ist dann mal weg: Kabul im September für 2021, die Taliban h… | |
Die deutsche Politik macht sich gerade verstohlen von einem Acker, den sie | |
zwanzig Jahre lang mit einiger Verve, aber am Ende erfolglos bestellte: | |
Afghanistan. Laut Bundestags-Enquetekommission ist Deutschland dort | |
„strategisch gescheitert“. | |
Die Bundesregierungen seit 2001 aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen hielten | |
sich lange zugute, dass Deutschland in Afghanistan der zweitgrößte | |
Truppensteller und bilateraler Geber von Aufbauhilfe war. Inzwischen, da | |
sich am Mittwoch die erneute Machtübernahme der Taliban zum dritten Mal | |
jährt, ist Schluss mit großen Tönen. Berlin wickelt wichtige Institutionen | |
seiner Afghanistan-Politik ab und gibt es nicht einmal zu. | |
Seit August 2023 gibt es keinen für Afghanistan zuständigen deutschen | |
Botschafter mehr – im Kontrast etwa zu Japan, Frankreich, Italien und den | |
USA. Auf der Webseite des Auswärtigen Amts (AA) heißt es nur, die Botschaft | |
in Kabul sei „seit dem 15. August 2021 bis auf Weiteres geschlossen“. Auch | |
der dezidierte Sondergesandte wurde abgeschafft. Afghanistan gehört jetzt | |
als Nischenthema zum Riesenportfolio eines Diplomaten, der Südasien und den | |
Indopazifik bearbeitet. Als die UNO im Juni zu Gesprächen mit den Taliban | |
nach Katar lud, hielten weder er noch das AA es für nötig, sich dazu | |
öffentlich zu äußern. | |
Auch dass die Ampelregierung die Direktpräsenz ihrer | |
Entwicklungsorganisation GIZ in Afghanistan zum Jahresende beendet und alle | |
örtlichen Mitarbeiter*innen entlässt (offiziell laufen deren Verträge | |
aus), machte erst eine Medienanfrage publik. Als die Taliban 2021 auf | |
Kabul vorrückten, wollten die GIZ und das ihr vorgesetzte | |
Entwicklungsministerium (BMZ) ihr lokales Personal nicht einmal außer | |
Landes bringen. Man dachte, auch die Taliban würden fortgesetzte deutsche | |
Hilfe schon goutieren – noch so eine Fehleinschätzung. Dann nahmen die | |
Taliban mehrmals afghanische GIZ-Sicherheitsanalysten fest. Sie hielten sie | |
wohl für Spione. | |
Schon im Sommer 2021 hatte Berlin in einer glatten Kehrtwende wie alle | |
westlichen Verbündeten die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit | |
Afghanistan eingestellt. Nur humanitäre Akuthilfe gibt es noch. Die | |
Einsparungen bei Hilfsgeldern, GIZ und Botschaft passen gut zu den | |
Lindner’schen Mittelstreichungen, die AA und BMZ überproportional treffen. | |
## Für Abschiebungen interessant | |
Das einzige Feld, auf dem Afghanistan in der deutschen Politik noch für | |
Getöse sorgt, ist die Asylpolitik. Die brutale Attacke in Mannheim | |
befeuerte all jene, die in Afghanen und Moslems generell gefährliche | |
Messerstecher sehen. Dabei hatte das Bundesinnenministerium (BMI) schon | |
vorher mit Nachbarländern Afghanistans wie Pakistan und Usbekistan | |
verhandelt, Schwerkriminelle und sogenannte Gefährder abzunehmen und weiter | |
zu den Taliban zu verfrachten. Das stellt man sich wohl ähnlich vor wie die | |
Auslieferung der militanten Antifaschist*in Maja T. nach Ungarn | |
mithilfe von Österreichs Behörden. | |
Die Debatte weitete sich rasch auf Syrer*innen und Afghan*innen aus, | |
denen immer mehr Politiker*innen von ganz rechts bis in die SPD keinen | |
subsidiären Schutz in Deutschland als Kriegsflüchtlinge mehr geben wollen. | |
Die Kriege in beiden Ländern seien vorbei, behaupten sie, bestimmte Gebiete | |
dort „sicher“, also könnten die Menschen zurückkehren. | |
Ja, gekämpft wird dort inzwischen deutlich weniger. Aber zutiefst | |
menschenrechtsfeindliche Fraktionen gewannen die Oberhand. Will man | |
Menschen jetzt dorthin zwangsausfliegen, um festzustellen, ob sie nicht | |
doch verhaftet, gefoltert oder gar hingerichtet werden – und so Anspruch | |
auf politisches Asyl hätten? Sogar mit den eben noch geächteten Regimen | |
wollen die Abschiebebefürworter*innen dafür auf einmal reden. | |
## Aufnahmeprogramm aufgegeben | |
Schließlich wickelt Nancy Faesers BMI parallel auch noch das | |
Bundesaufnahmeprogramm für verfolgte Afghan*innen ab. Auch das läuft | |
übers Budget: [1][Für 2025 stellt es einfach keine Mittel mehr dafür ein]. | |
Auslöser hier war die perfide Kampagne rechtslastiger Medien mithilfe eines | |
geleakten Briefes des deutschen Botschafters in Pakistan. Der behauptete | |
darin, zur Evakuierung vorgesehene afghanische Richter*innen, die – | |
übrigens in Kooperation mit renommierten deutschen Einrichtungen – in ihrem | |
Land gegen erhebliche islamistische Widerstände an einer Justizreform | |
arbeiteten, seien „Scharia-Richter“ und damit potenziell islamistische | |
Gefährder. | |
Der Botschafter und die Bundesregierung hätten wissen müssen, dass die | |
Scharia in Afghanistan unter der vom Westen gestützten | |
Taliban-Vorgängerregierung eines von drei verfassungsmäßigen Rechtssystemen | |
darstellte (und nicht nur aus Handabhacken bei Dieben besteht – was damals | |
auch nicht vorkam). Und dass künftige Richter*innen in Afghanistan | |
natürlich auch die Scharia studierten. Das macht sie genauso wenig zu | |
Islamisten, wie ein Mediziner beim Studium der Pocken zum Virus wird. | |
Das Schlimme: Die Ampel knickte sofort ein. Sie stoppte das Programm und | |
führte zusätzliche „Sicherheitsbefragungen“ mit dubiosen Fragen ein, | |
[2][nach denen viele Antragsteller*innen ihre Einreisezusage | |
verloren]. Sie können nun nur in Pakistan untertauchen oder sich auf Gedeih | |
oder Verderb zurück unter die Macht der Taliban begeben. „Deutschland, aber | |
brutal“ könnte man als Titel über diese Debatte setzen, in Abwandlung eines | |
Plakatslogans der AfD, jener Partei, deren Maximen seit Langem besonders in | |
der Asylpolitik durch die angebliche Brandmauer bis in die politische Mitte | |
sickern. | |
Mit seinem institutionellen Kahlschlag gibt Berlin ein zentrales | |
außenpolitisches Politikfeld auf, [3][auf dem es nach wie vor brennt]. | |
Berlin sollte bedenken, dass es mit seinem Scheitern in Afghanistan | |
erheblich dafür mitverantwortlich ist, dass deren Regime wieder ans Ruder | |
kam. Daraus erwächst durchaus eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber den | |
Menschen (von) dort. | |
13 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Haushaltsentwurf/!6021098 | |
[2] /Aufnahme-von-Afghaninnen/!5992364 | |
[3] /Aufbau-antiwestlicher-Staatenallianz/!6013843 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Taliban | |
Entwicklungspolitik | |
Ampel-Koalition | |
Das Milliardenloch | |
Isaf | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Taliban | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Flucht | |
Afghanistaneinsatz | |
Afghanistankrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Deutsche Afghanistan-Aufarbeitung: Eine schlechte Bilanz | |
Bundesregierung und Parlament machten schwere Fehler in Sachen Afghanistan. | |
Auch die Bundeswehr richtete vor Ort einigen Schaden an. | |
Afghanistan wieder Abschiebeziel: Abflug zu den Taliban | |
28 Personen wurden am Freitag überraschend nach Afghanistan ausgewiesen. | |
Die Frage, was sie verbrochen haben, lässt die Bundesregierung | |
unbeantwortet. | |
Afghanistan-Protestcamp in Berlin: „Das Regime wird normalisiert“ | |
Mit einem Zeltlager auf dem Alexanderplatz machen Aktivist*innen auf die | |
seit drei Jahren andauernde Taliban-Herrschaft in Afghanistan aufmerksam. | |
Drei Jahre Taliban-Regime in Afghanistan: Es gibt nicht viel zu feiern | |
Die Taliban wollen seit ihrer erneuten Machtübernahmen einen „wahrhaft | |
islamischen Staat“ errichten. Jetzt vermelden sie angebliche | |
Wirtschaftserfolge. | |
Trotz Gerichtsbeschluss ausgeflogen: Abschiebung um jeden Preis | |
Ein Gericht hat die Abschiebung von Mehdi Nimzilne verboten – doch Sachsens | |
Behörden ignorierten den Beschluss offenbar. Jetzt sitzt er in Casablanca | |
fest. | |
Haushaltsentwurf: Afghanistan-Aufnahme wackelt | |
Menschenrechtsorganisationen warnen vor den Kürzungen im Haushaltsentwurf. | |
Die Aufnahme gefährdeter Afghan*innen wird dadurch erschwert. | |
Aufbau antiwestlicher Staatenallianz: Annäherung an die Taliban | |
Russland und China bewegen sich Schritt für Schritt in Richtung einer | |
vollen diplomatischen Anerkennung des afghanischen Taliban-Regimes. |